Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


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ein und begann stattdessen einen Feldzug für die klassische Musik. Im Februar fing es mit einem Beethoven-Zyklus an; dem folgten Werke von Bach, Händel, Mozart und Bruckner. Im Sommer gab es einen besonderen Zyklus zu Wagner, verwoben mit Wortbeiträgen von dessen Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain.146 Es half, dass gerade zu dieser Zeit Richard Strauss Präsident der Reichsmusikkammer war. Auch seine Werke wurden großzügig im Rundfunk aufgeführt, dazu die Arbeiten der nächsten beiden herausragenden zeitgenössischen Komponisten: Hans Pfitzner und, mit einigem Abstand, Paul Graener.147

      Allerdings war Goebbels’ Programmpolitik alles andere als aus einem Guss, weil er Schwierigkeiten hatte, das ideale Gleichgewicht zu finden. Zum einen wandelte sich die Politik ständig, zum anderen war er sich nicht immer ganz sicher, was die Menschen wirklich hören wollten. Folglich mangelte es seinen Direktiven an Schlüssigkeit. So wollte er 1934 das Programm lockerer gestalten und zugleich seine Qualität verbessern, was zu den erwähnten Musik-Zyklen führte, aber auch, im Dezember 1934, zur Etablierung einer Studio-Jazzband namens »Die Goldene Sieben«. Während London und Paris beeindruckt gewesen sein dürften, gab es in Deutschland Proteste, sowohl aus der Bevölkerung als auch von NS-Hardlinern, und so verschwand im Herbst 1935 mit der Goldenen Sieben der Jazz wieder aus dem Programm.148 Goebbels, weiterhin davon überzeugt, dass auch die Musik eine politische Funktion hatte, ordnete nun an, dass auf Kosten der ernsten mehr leichte Musik gesendet werden sollte, während er zugleich den Anteil der Wortbeiträge zurückfuhr.149 Aber Mitte 1938 – Radio München sendete stundenlang leichte Unterhaltungs- und nur 40 Minuten Kammermusik –, änderte Goebbels wiederum plötzlich die Richtung und forderte »mehr ernste, weniger reine Unterhaltungsmusik. Übertragungen von Symphonien«, ein »seriöses Programm«.150 Grund dafür dürften der »Anschluss« Österreichs sowie die greifbaren Spannungen anlässlich der Sudetenkrise gewesen sein. Etwas später bestand das Programm aus über 68 Prozent Musik und 16 Prozent Wortbeiträgen zum Tagesgeschehen.151 Dann schlug Goebbels wieder einen neuen Kurs ein und forderte im Juli 1939, als die Aufrüstung in vollem Gange war, die Ausweitung des Unterhaltungsprogramms.152 Die Nationalsozialisten, lässt sich vermuten, spürten, dass ein weiterer Weltkrieg in der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stoßen würde, weshalb sie die Menschen schon im Vorwege zu beruhigen suchten.

      Film und Bühne

      Der Film wandte sich mit bewegten Bildern und Ton an das Publikum. Worin bestand der Wesensunterschied zum Radio? Das Produkt – der vermarktbare Film – war raumzeitlich auf Zelluloid gebannt und konnte mehr als einmal gezeigt werden. Weil er eine Geschichte erzählte, war er, wie es schien, von höherem Unterhaltungswert als die Propaganda, die dahinter zurückstand. So ausschließlich galt das jedoch nicht, weil ein Film auch dann propagandistische Wirkung zeitigen konnte, wenn er ideologisch ausgerichtete Bilder präsentierte und auf hinterhältige Weise verdeckte politische oder soziale Botschaften als Nebenprodukte der Haupthandlung vermittelte. Kracauer behauptete also 1947 zu Recht, dass »alle Nazifilme mehr oder weniger Propagandafilme waren – sogar die reinen Unterhaltungsfilme, die mit Politik anscheinend nichts zu tun haben«.153

      In den ersten Monaten nach der Machtergreifung versuchte Goebbels, den in der Krise steckenden deutschen Film organisatorisch und finanziell in den Griff zu bekommen, von den seiner Auffassung nach vorhandenen ästhetischen und ideologischen Mängeln gar nicht zu reden. Ökonomisch war die Filmindustrie infolge der anhaltenden Wirtschaftskrise und dem zum Ende der Weimarer Republik hin erlittenen Qualitätsverlust im Januar 1933 so gut wie bankrott. Goebbels nahm institutionelle Veränderungen vor, die im Herbst 1933 in der Schaffung einer Reichsfilmkammer innerhalb der RKK gipfelten. Begleitet wurde die Zentralisierung von einer finanziellen Stabilisierung, wozu auch die Erhöhung der Eintrittspreise von bisher 10 auf 60 Pfennig, dann einer Mark gehörte, sodass Kinobesitzer wieder die Gewinnzone erreichten. Immerhin konnte die Filmindustrie von 1932 bis 1936 einen Gewinn von 90 Millionen Mark realisieren; fast 28 Millionen davon erhielten die Verleiher.154 Ferner wuchs die Zahl der Kinobesucher zwischen 1933 und 1939 von 245 auf 624 Millionen und entsprechend die Zahl der Kinos von etwa 5000 auf 7000.155

      Weil etwas Revolutionäres so schnell nicht zu haben war, folgte der Film in der Anfangszeit der NS-Diktatur in Form und Inhalt Mustern, die sich bereits in der Weimarer Republik bewährt hatten; harmlose Filme aus dieser Zeit, die nach der Machtergreifung fertiggestellt worden waren, durften gezeigt werden, während die problematischen verboten wurden. Die bewährten Genres jedoch – große Kostümfilme, historische Filme, Operetten, Melodramen und Komödien – wurden weiterhin von der 1917 gegründeten Ufa produziert, die seit 1927 dem Medienkonzern Alfred Hugenbergs angehörte. Sie besaß ein Quasi-Monopol, bis unter der Schirmherrschaft von Goebbels neuere oder kleinere Firmen Fuß gefasst hatten: Tobis, Berlin-Film, Wien-Film, Bavaria und Terra. 1933 produzierte die Ufa den Film Viktor und Viktoria, eine Komödie mit Renate Müller in der weiblichen Titelrolle. Sie wurde Hitlers Lieblingsschauspielerin, starb jedoch schon 1937, angeblich durch Suizid, weil die Gestapo Behauptungen zufolge sie und ihren jüdischen Liebhaber verfolgt hatte. Eine weitere Produktion war Ein Lied für Dich (1933), ein Operettenfilm mit dem (»halb-jüdischen«) Tenor Jan Kiepura in der Hauptrolle. Regie führte Joe May, ein Jude, der danach Deutschland verließ und nach Hollywood ging, wo seine Karriere jedoch im Misserfolg endete. 1934 kam Maskerade in die Kinos, ein reich ausgestatteter österreichischer Kostümfilm unter der Regie von Willi Forst. Die weibliche Hauptrolle spielte Olga Tschechowa, und die Kostüme entwarf Oskar Strnad (ebenfalls Jude).156 Die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler, die zwischen 1933 und 1939 in deutschen Filmen auftraten, hatten ihre Karriere in der Weimarer Republik begonnen, und nur wenige von ihnen bekannten sich zum Nationalsozialismus.157 Zu diesen gehörte Jenny Jugo, die Hauptdarstellerin in Ein Lied für Dich; sie war häufig zu Gast bei Familie Goebbels und auch bei Hitler, ebenso wie Olga Tschechowa, eine Nichte Anton Tschechows. Zu denen, die schon vor der Machtergreifung Nationalsozialisten gewesen waren, gehörten der junge Schauspieler Veit Harlan und höchstwahrscheinlich Luise Ullrich, Mathias Wieman und Paul Hartmann.

      Nach der Machtergreifung gehören viele zum engeren Bekanntenkreis von Goebbels und Hitler, wie etwa Anny Ondra, die Ehefrau von Max Schmeling. Die beiden wohnten neben den Goebbels auf der Halbinsel Schwanenwerder im Wannsee. Heute liegen die wahren Überzeugungen der Stars, wie sich den detaillierten Eintragungen in des Propagandaministers Tagebüchern entnehmen lässt, offen zutage, während die jeweiligen Memoiren mindestens apologetisch gefärbt sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg behaupteten sie, als Künstler das Privileg des Unpolitischen gehabt zu haben oder, wichtiger noch, als Künstler zwangsläufig neutral geblieben zu sein, um besser in die Rolle eines Heiligen oder Schurken, eines Kommunisten oder Nationalsozialisten schlüpfen zu können.158

      Das war eine lahme Ausrede angesichts der Tatsache, dass viele Schauspieler sich bereits in der Weimarer Republik politisch exponiert hatten und dies auf die eine oder andere Weise auch im sogenannten Dritten Reich tun würden. Exemplarisch dafür ist Heinrich George, der im ersten wirklich bemerkenswerten Nazifilm, Hitlerjunge Quex (1933), einen kommunistischen Vater spielte, der allmählich seinen Weg zum Nationalsozialismus findet, den sein Sohn Rudi schon seit Längerem beschreitet. In der Weimarer Zeit war George überzeugter Marxist gewesen und hatte auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten gestanden; unter Hitler setzte er seine Karriere als in der Wolle gefärbter Nationalsozialist fort.159

      Während die Partei nach der Machtergreifung ihre rituellen Botschaften über die Ätherwellen dröhnen ließ, beeilte sich die Filmindustrie, dem mit Filmen nachzueifern. Schließlich wollte man sich loyal zeigen. Nach zumindest einem misslungenen Versuch war das erste bemerkenswerte Beispiel für eine Reihe von Filmen über die NSDAP SA-Mann Brand, der am 14. Juni im Berliner Ufa-Palast Premiere hatte; Hitler war in der zweiten Vorstellung zugegen. Der Film bediente ein Muster, das bereits aus Romanen über die »Kampfzeit« der Partei bekannt war: Vor der Machtergreifung kämpften Nationalsozialisten, zumeist SA-Männer, heldenhaft in der großen Stadt gegen Rotfront-Angehörige, wobei Juden, häufig in der Uniform sowjetischer, von Moskau ausgesandter Kommissare als schurkische Drahtzieher hinter den Kulissen wirkten. Immerhin konnten einzelne Marxisten, da sie über innere Werte verfügten und nur verführt worden waren, auf die richtige – Hitlers – Seite gezogen werden, häufig im Rahmen einer Liebesgeschichte oder eines Generationenkonflikts. Letzteres war ein Motiv, das die HJ