Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


Скачать книгу

von ihm selbst zusammengerufenen Gericht, dass »die Tötung des Fra Agostino … außerhalb der Gerichtsbarkeit« stehe – eine zeitnahe Verteidigung der Vorgänge um den »Röhm-Putsch«, der gerade vermeintlich niedergeschlagen worden war. Bergengruens abschließende Interpretation des Herrschers taugte zur Erklärung historischer Tyrannen, las sich aber keineswegs zufällig auch wie eine Rechtfertigung Hitlers. Vom Großtyrannen heißt es, »dass er zu handeln hat einzig nach den Grundsätzen seiner Wesenheit, nicht aber nach Richtmaßen, die außerhalb seiner entstanden sind«.68 Rosenbergs Völkischer Beobachter feierte das Buch als »Führerroman der Renaissancezeit«.69

      Das war die post-industrielle Literatur. Die vorindustriell orientierte Prosa und Poesie beschäftigte sich mit der »rassischen« Abkunft der Deutschen im Wege der »Ahnenpflege«. Es ging darum, die Wurzeln der deutschen Bevölkerung möglichst weit zurückzuverfolgen, um glaubhaft behaupten zu können, es führe eine ununterbrochene Linie von den frühen Germanen und ihrer Kultur zum jetzigen Volk. Da solch eine Linie aufgrund der Vermischung der Germanen mit anderen Ethnien und der Schwierigkeit, die frühe Stammesgeschichte angemessen zu rekonstruieren, bestenfalls lückenhaft war, enthielten »historische« Romane üblicherweise mehr fiktive Elemente, als wissenschaftlich vertretbar war. Die »Ahnenpflege« war tatsächlich nur unkritische Ahnenverehrung, die den altgermanischen Stämmen Eigenschaften zuschrieb, welche sie in Wahrheit nie besessen hatten, die jedoch der nationalsozialistischen Weltanschauung zupass kamen. An die Stelle von Tatsachen trat die Fiktion.70

      Ein beliebtes Genre in diesem Bereich waren Romane um die Sagenwelt der Wikinger, wie Werner Jansen, Will Vesper und Hans Friedrich Blunck sie schrieben. Der Arzt und SS-Standartenführer Jansen war ein rabiater Antisemit; sein Roman Die Insel Heldentum (1936) schilderte Stammesfehden von äußerster Brutalität und handelte vom Niedergang der Wikinger auf Island. Mochten sie auch töricht und tollkühn sein, gehorchten sie doch den Gesetzen ihres Blutes und wussten, dass »der Einzelne nichts, die Sippe alles« galt.71 Für den NS-Literaturkritiker Norbert Langer reflektierte der Roman Gesetze des Denkens und Fühlens.72 Walter Best erklärte ihn in Das Schwarze Korps zur Pflichtlektüre für jeden SS-Mann, weil Jansen zeigen könne, dass »der geschichtliche Ablauf unserer Vergangenheit nur dann einen Sinn auch in Tod und Untergang hat, wenn die Erben dieser Geschichte die Lehren daraus zu ziehen vermögen«.73 Will Vespers Helden waren Isländer, Islandreisende oder Menschen, die mit germanischen Göttern in Kontakt kamen.74 Hans Friedrich Blunck, 1933 Nachfolger Heinrich Manns als Vorsitzender der Sektion für Dichtung in der Preußischen Akademie der Künste, schilderte im Roman König Geiserich (1936) die idealen Eigenschaften früher germanischer Führer. König Geiserich, eine historische Figur (389–477), war bei Blunck mit selbstloser Liebe zu seinem Volk, staatsmännischer Weisheit sowie moralischer und physischer Stärke ausgestattet. Geiserich führte die Vandalen durch Spanien nach Nordafrika, um dann bei Karthago zu regieren. Nebenbei unternahm er Feldzüge, die u. a. zur Plünderung Roms führten. Er blieb die ganze Zeit unverheiratet, um seinem Volk besser dienen zu können – ein unübersehbares Kompliment an Hitler.75

      Solche Phantasien über Blut und Sippe konnten auch zu einer anderen Zeit spielen und sich zum Beispiel mit germanischen Bräuchen im Früh-oder Hochmittelalter beschäftigen. Josefa Berens-Totenohls Roman Der Femhof spielt um 1350 im Westfälischen. Auf dem Femhof bewahrt Magdlene, Tochter und einziges Kind eines wohlhabenden Bauern namens Wulf, Vorläufer von NS-Erbhofbauern, das Blut und die Tradition ihrer Vorfahren. Sie verliebt sich in einen Landarbeiter, der einmal im Versuch, seinen rechtmäßigen Besitz zu wahren, einen Mann tötete. Magdlenes Vater ist gegen die Verbindung und ersticht den Freier, nachdem ein Femegericht ihn zum Tode verurteilt hat.76 Angeblich hat die Feme das Gerichtsbarkeitssystem der germanischen Stämme konstituiert; wohl nicht zufällig wurde sie von illegalen Freikorpskämpfern in den zwanziger Jahren wiederbelebt. Sie sprachen das Urteil und vollstreckten es gegen Verräter in ihrer Mitte. (Martin Bormann und Rudolf Höß, der erste Kommandant von Auschwitz, wurden während der Weimarer Republik wegen Fememorden zu Gefängnisstrafen verurteilt.) Im Roman gibt es trotz des Todes des jungen Mannes Nachkommenschaft für die Familie Wulf, hat er doch mit Magdlene gegen den Willen des Vaters geschlafen, und so trägt sie das Kind nach seinem Tod aus. Die Autorin zeigt damit den Nutzen der Feme und den Vorrang einer ununterbrochenen Blutsverwandtschaft von urfernen Zeiten an bis zur zukünftigen Genealogie der Familie Wulf auf, die im Folgeroman – Frau Magdlene – geschildert wird. Ihre Botschaft lautet, dass man die Bräuche der Gemeinschaft übertreten kann und infolgedessen bestraft werden muss, dass aber die Langlebigkeit der Sippe höher steht als das individuelle Glück.77 Das Buch war im Dritten Reich höchst erfolgreich, mehr als eine Viertelmillion Exemplare wurden verkauft.78

      Mit dem außerehelichen Beischlaf und der unehelichen Geburt von Bauer Wulfs Enkel werden Themen eingeführt, die den Großteil der völkischen Literatur vor der nationalsozialistischen Herrschaft und währenddessen bestimmen, unabhängig davon, ob sie in grauer Vorzeit oder in der Gegenwart spielen. Die typische Literatur der NS-Zeit handelt von Wikingern, Germanen und Genealogien.79 Ferner geht es um Frauenbilder, Eugenik, Rassenbewusstsein bis hin zur Fremdenfeindlichkeit, Liebe zum Landleben, Besiedlung (Osteuropas), Handwerk und einen damit einhergehenden Hass auf die Stadt und ihre Eigenschaften. Lässt man ästhetische Erwägungen beiseite (Saul Friedländer hat die ganze Melange zutreffend als »Kitsch« bezeichnet), ergibt sich ein Muster aus männlich dominierten archaischen Strukturen und anti-intellektuellen Impulsen, eine antimoderne, von verschwommenen Gefühlen regierte Welt.80

      Vielfach war die NS-Literatur von biopolitischen, organologischen Obsessionen beherrscht. In der germanozentrischen Welt dieser Autoren galt die Mutter, wie im Beispiel von Magdlene Wulf, als Quell alles lebenswerten Lebens. In der NS-Ideologie wie in der entsprechenden Literatur war Mutterschaft die Hauptaufgabe der Frau. Danach kam ihre Rolle als Gehilfin des Mannes, als eugenische und erotische Partnerin. Schilderungen verehrungswürdiger Mütter finden sich in vielen NS-Romanen, besonders in Walter Bauers Das Herz der Erde (1933), in dem der Autor allein das Klischee pflegt.81 Bauer schilderte die Mutter in den höchsten Tönen einer alles Erlaubte überschreitenden Gefühligkeit. In einer quasi-masturbatorischen Szene entkleidet sich die schwangere Alma und, von »Nachtluft umweht«, spürt sie »die Kraft ihres Leibes«. Einige Seiten später heißt es: »Ich habe dich erkannt, Mutter. Sollten ihre Brüste nicht mehr seinem Durste dienen? Sie war seine Mutter.« Dann wieder sieht Alma sich in einem Ladenfenster und findet sich »stark, braun, mütterlich gesund«.82 Auch andere Romane huldigten dem Mutterkult, ja, der Fruchtbarkeit an sich. Jansen hat dafür die Isländer vorgesehen, Steguweit den Weltkrieg, als Deutschland selbst die Mutter war, Otto Paust zeichnet die Freikorps als mütterlich, während Karl Benno von Mechow, Hans Carossa und Ernst Wiechert dafür das Land wählen.83 Der SA-Barde Heinrich Anacker fasste das Thema für die Nationalisten in einem Gedicht zusammen, in dem eine Mutter drei Söhne geboren hatte, damit sie für Deutschland sterben konnten, und Hans-Jürgen Nierentz empfahl, ebenfalls in einem Gedicht, zimperlichen Frauen, ruhig auf die Geburt ihres Kindes zu warten.84

      In gewissen Szenarien, in denen das Mädchen, die Mutter (für völkische Eugenikanhänger nur ein Gebärgefäß) als erotisches Lustobjekt hätte fungieren können, wichen die Autoren häufig der Versuchung aus, um nicht, wie die Naturalisten oder Expressionisten – Hauptmann und Halbe, Schnitzler und Wedekind – der Pornographie bezichtigt zu werden.85 Vielmehr wurden Freundinnen und sogar Ehefrauen als »Kameraden«, pragmatische Gehilfinnen des Mannes, dargestellt.86 Oder es gab die Möglichkeit, sie zu infantilisieren und dadurch zu marginalisieren, damit sie die organische Hierarchie mit der Vorherrschaft des Mannes nicht gefährden konnten.87

      Die Gesetze der Eugenik mussten beachtet werden, sonst waren die natürlichen Folgen solcher Vernachlässigung unabwendbar. Idealerweise sollten Männer wie Frauen für die Volksgemeinschaft ein Vorbild an genetischer Gesundheit sein und den (auch außer-)ehelichen Geschlechtsverkehr meiden, wenn erbliche Belastungen vorlagen. In Betina Ewerbecks Roman Angela Koldewey (1939) ist dies das Schicksal des Malers Martin, den die Medizinstudentin Angela nicht heiraten kann, weil es in seiner Familie eine Erbkrankheit gibt.88 (Ewerbeck war die Ehefrau des führenden SS-Arztes Kurt Blome, der später im Nürnberger Ärzteprozess zu den Angeklagten gehörte.) Edwin Erich Dwinger ließ einen seiner Freikorpsanführer predigen: »Mit der Verhätschelung der Armen beginnt das Ungesunde, mit der Bevorzugung der Kranken der Selbstmord!«89 Mit getragenem Ernst schilderte