Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


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Stelle im Wald niedergelegt worden, zuweilen habe man es ertränkt oder lebendig begraben, um einen schnelleren Tod herbeizuführen.«90 Das Veröffentlichungsjahr der Bücher von Ewerbeck und Griese fällt mit dem Beginn der NS-Euthanasiekampagne zusammen, die behinderte Kinder als »lebensunwertes Leben« zum Tode verdammte.91

      Auch Rassereinheit war ein Thema für die eugenischen Eiferer. In der erstickenden Atmosphäre der Xenophobie gerieten die Juden, als potenzielle »Rassenschänder«, als Erste zur Zielscheibe, vor allem die nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt eingewanderten Ostjuden, obwohl die Assimilierten weiterhin die überwiegende Mehrheit der jüdischen Bevölkerung bildeten. Danach kamen die Schwarzen und schließlich die Sinti und Roma (»Zigeuner«).92 Hitlers zeitweiliger Mentor Dietrich Eckart wurde gefeiert, weil er, so glaubte man, die »jüdische Frage« in den Mittelpunkt der nationalen Aufmerksamkeit gerückt habe. In Romanen wurde Juden häufig angelastet, sie hätten das deutsche Volk und insbesondere das Heer nach dem November 1918 betrogen. Die Folge, so wurde insinuiert, seien die Verstrickung der Juden in alle möglichen Korruptionsnetzwerke und, damit einhergehend, sexuelle Übergriffe auf »arische« Frauen.93 Auch die Jazzbegeisterung der zwanziger Jahre war völkischen Autoren zufolge das Ergebnis jüdischer Manipulation der von »Negern« erfundenen Jazzmusik.94

      Die Angst der Nationalisten vor Menschen dunkler Hautfarbe hielt sich vor und nach 1933 zwar in Grenzen, weil es nur wenige davon – als Zeugnis von Deutschlands kolonialer Vergangenheit – im Lande gab. Dennoch fehlten sie nicht im Katalog der völkischen Phobien und waren dergestalt Gegenstand eugenischer Besorgnisse. Vor allem der Schriftsteller Hans Grimm, einst Korrespondent in (Deutsch-)Südwestafrika, fachte den Hass auf Schwarze an, als er in seinen Büchern vor »Rassenvermischung« warnte. Das begann mit Volk ohne Raum, zuerst veröffentlicht 1926 und mit über 300 000 verkauften Exemplaren ein Bestseller im sogenannten Dritten Reich. Es folgten Geschichten wie in Lüderitzland (1936), in denen er die Deutschen in Südwestafrika (dem heutigen Namibia) verherrlichte, die Hereros, die Opfer des ersten deutschen Genozids (1903/04), dagegen verunglimpfte. »Kaffern« röchen schlecht, meinte Grimm, und die Mädchen, sexuell zügellos, seien fortwährend darauf aus, weiße Männer zu verführen. Auch Hanns Johst warnte vor »schwarz-weißen Mesalliancen« wie in Marseille, wo 1936 »achtzehntausend Mischlinge … zur Schule angemeldet« worden seien.95

      Lektüre über angeblich feindselige Nachbarländer, allen voran über den geheimnisvollen Riesen Sowjetunion, nicht zuletzt, weil dort, so hieß es, Juden lauerten, die im Hintergrund die Strippen zögen, wurde zum beliebten Zeitvertreib. Angeblich konspirierten die Juden dort mit den herrschenden Kommunisten, um deutsche Minderheiten zu unterdrücken – anständige Bauern, die sich unter Katharina der Großen oder später auf der Krim und im Kaukasus niedergelassen hatten. Deutsche, nicht Russen oder ukrainische Kulaken waren in diesen Darstellungen die Opfer der vom Kreml inszenierten Hungersnöte, an denen Millionen starben. Zudem würden die Deutschen dort von wilden Bergvölkern gejagt. Waren die Russen keine Juden, dann eben hässliche und grässliche Tataren ohne Sitte und Anstand, dem Wodka verfallen.96 Als sich 1938 die Sudetenkrise entwickelte, kamen außerdem Romane über die deutschen Minderheiten in der Tschechoslowakei auf den Markt, in denen die Tschechen als gerissene Schurken dargestellt wurden.97 So wurde psychologisch vorbereitet, womit Hitler dann sein Streben nach Raum im Osten für die »Volksgemeinschaft« rechtfertigen sollte.

      In seinen Büchern polemisierte Grimm auch gegen Briten und Franzosen, in denen er hauptsächlich skrupellose Händler und rücksichtslose Kolonisatoren sah. Ähnlich, wenn auch weniger auf die Kolonien bezogen, verfuhr Karl Aloys Schenzinger im Roman Anilin (1937), in dem deutsche Wissenschaftler als Erfinder gegen unfaire englische Konkurrenten kämpfen.98 Wenn es in Romanen gegen Briten und Franzosen ging, drehte es sich hinsichtlich der Ersteren meist um Handelsprobleme, in Bezug auf die Letzteren um Intellekt und Moral: Das von den Franzosen mit der Aufklärung ausgerufene Zeitalter der Vernunft werde durch die in Paris zu beobachtenden Orgien und Perversionen korrumpiert.99

      Durch diese ganze Literatur zieht sich ein dünner Faden an Anti-Intellektualität, der mit der Irrationalität der NS-Ideologie selbst korrespondiert. »Denken« sei »ein Strudel«, sagt der Graf zu Kapitän von Orla in Wiecherts Das einfache Leben, nachdem Orla versucht hatte, »die Wunder des Universums« ausfindig zu machen.100 Von Mechow bezweifelte eine »gelehrte Schulphilosophie vom Schreibtisch«, und in Tüdel Wellers Roman Rabauken (1938) wird jedes Gespräch über Freud und Psychoanalyse von Juden geführt.101 In Will Vespers Geschichten von Liebe, Traum und Tod (1937) ist »tüchtiges, ehrliches Wissen« mehr wert als eine akademische Karriere.102

      Der Intellektuelle war in der Großstadt zu Hause, darum brachten die Schriftsteller im Dritten Reich dem Urbanen ganz besondere Verachtung entgegen, während sie das Landleben verherrlichten. Für diese Neoromantiker war die Stadt ein Prisma, das in Verdichtung alles Schlechte zeigte, dem ihre Ablehnung galt. Die Häuser der Stadt waren laut Wiechert wie »Gräber in einem toten Land«.103 Er verwarf, wie ein ihm Gleichgesinnter richtig bemerkte, alles, was nicht Natur war, während alles, was von ihr stammte, vollkommen war.104 Für Autoren wie Will Vesper, Fritz Stelzner und Kuni Tremel-Eggert war die Stadt anonym und seelenlos.105 Bordelle und verbotener Sex seien kein Umfeld für das Gebären und Aufziehen von Kindern. Die Stadt sei voll von Juden und den eitlen Vergnügungen, die Korruption und Raub boten. Dort konnten aus ihrer Sicht nur Kommunisten leben.106

      Was aber blühte auf dem Lande im Gegensatz zur anonymen Industriestadt? Natürlich das Bauerntum, darüber hinaus aber die alten Handelsgeschäfte und Handwerke, all das, was Frauen und Männer mit ihren Händen verrichteten. Viele Romane und auch Gedichte feierten die Tugenden des Handwerkers und Kunsthandwerkers; dem zugrunde lag Hitlers Maxime, »Arbeiter der Stirn und der Faust« seien einander gleichwertig. In Ernst Wiecherts ostpreußischer Abgeschiedenheit sieht Kapitän von Orla seinen Lebensinhalt darin, fischen zu gehen, im Wald zu roden und Zimmermannsarbeit zu verrichten.107 Ähnlich heben andere Schriftsteller Arbeiten wie Sattlerei, Maurerei und Blechschmiederei hervor.108 Heinz Steguweit jubelte dichterisch: »Der Schreiner sprach zum Dichter stolz:/Wir sind von gleichen Sorten;/ich schaff mit Säge, Hobel, Holz,/mit Hammer, Nagel oder Bolz –/Du schreinerst fein mit Worten.«109

      Die Glorifizierung der Handarbeit entsprach der Verherrlichung von Ländlichkeit, Dörflichkeit und heimatlicher Scholle durch NS-Schriftsteller. Das Ländlichkeitsideal war nicht den Vorstellungen Hitlers entsprungen, sondern einem frühen Gefolgsmann, dem Agrarpolitiker Richard Walther Darré; allerdings benutzten Hitler und Goebbels dieses Ideal, um die Massen in den ländlichen Gebieten anzusprechen.110 Auch literarisch ging die Idolisierung des Landlebens bereits auf vorindustrielle Zeiten zurück, wobei alle anschließend durch die industrielle Revolution verursachten Veränderungen standhaft geleugnet wurden. Schon im späten 19. Jahrhundert hatten sich der Bayer Ludwig Thoma und der Steiermärker Peter Rosegger als die unbestrittenen Vorkämpfer des Ländlichen hervorgetan. Thoma gehörte zu Goebbels’ Lieblingsschriftstellern.111

      Die Ländlichkeit wird in den Büchern deutscher Schriftsteller zwischen 1933 und 1939 sehr holzschnittartig gezeichnet: Zumeist geht es um das Alltagsleben des Bauern, um seinen Acker und dessen Früchte, um die Arbeitstiere (Traktoren fehlen), Vieh, das versorgt oder verkauft werden muss. Die (erweiterte) Familie, die ihn unterstützt und die zu ernähren er die Verantwortung trägt, besteht aus seiner Ehefrau, den Kindern (vorzugsweise Söhnen als Erben), manchmal auch Schwägern und Enkeln und, mangels Maschinerie, dem mit auf dem Hof lebenden Knecht. Die Menschen sind archaisiert dargestellt und sprechen den lokalen Dialekt, lesen kaum und ernähren sich von einfacher Kost. Sie gehen im Sonntagsstaat in die Kirche, treffen sich, um in gemeinsamer Runde Bier oder Wein zu trinken oder wichtige Familienfeste zu feiern. Die Ehefrauen leben zumeist unterm Joch, die Töchter erst recht; häufig werden sie gegen ihren Willen verheiratet; Bekannt- und Freundschaften gibt es wenige, dafür sind sie umso enger. Wie im Mittelalter lasten uralte Flüche, böse Vorahnungen schwelen, vor allem, wenn Untaten verübt worden sind. Die Vorsehung spielt ihre Rolle – eine Macht, auf die Hitler sich gerne berief. Naturkatastrophen werden tapfer bewältigt, wobei das Überleben nicht immer gesichert ist. Aber der Bauer und die Seinen halten auf der von ihnen bewahrten Scholle stand, wenn die patriarchale Daseinsweise ernsthaft und bisweilen unwiderruflich bedroht wird – vor allem durch Einflüsse einer nahe gelegenen Stadt. Aber alles in allem sind diese ländlichen Szenerien in ihrem So-Sein festgeschrieben,