Volksgemeinschaft entfernt. Zweitens ging es um – populäre oder anspruchsvolle – Unterhaltung, um die Leute bei Laune zu halten und ihre Aufmerksamkeit von Alltagsproblemen wie der Arbeitslosigkeit in der Frühzeit des Regimes oder dem Mangel an Kartoffeln und Schuhleder auf dem Höhepunkt des Krieges abzulenken. Daher war kein Genre und kein noch so unschuldiges Produkt künstlerischen Schaffens bar eines politischen Wertes – und alles unterlag der Zensur. Drittens galt es, ausländische Regierungen zu beeindrucken, um dem NS-Regime Glaubwürdigkeit als Anwalt der Zivilisation zu verschaffen. So entschloss sich Hitler beispielsweise, Richard Strauss auch nach 1935 nicht auf die schwarze Liste zu setzen, obwohl er dazu Anlass gegeben hatte. Während des Krieges trat die Aufgabe, das Ausland zu beeindrucken, hinter die Einflussnahme auf bestimmte Gruppen in den besetzten Gebieten zurück. Die Flamen in Belgien etwa wurden mit Nachdruck an das gemeinsame »germanische« Erbe erinnert.33 Schon diese drei Aufgaben verdeutlichen, dass man nach dem Krieg mit Recht behaupten konnte, dass Kulturschaffende die NS-Herrschaft durch ihre Komplizenschaft legitimiert und verklärt hatten – was der prominente Schauspieler Bernhard Minetti, der von der Vergabe von Film- und Bühnenrollen erheblich profitiert hatte, bestritt.34
Nicht jede Kunstgattung galt als für die politischen Erfordernisse gleichermaßen geeignet. Hier trug der Film den Sieg davon. Es würde, so die Einschätzung, vergleichsweise einfach sein, NS-konforme Bilder auf die Leinwand zu bannen und in Filmgeschichten Nazilegenden zu erfinden. Dergestalt erklärte Goebbels schon bald nach der Machtergreifung den Film zum erstrangigen »Führungsmittel des Staates«, in dem sich politische Ideen ästhetisch umsetzen ließen. Zu solchen Ideen zählten beispielsweise die Straßenkämpfe zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten gegen Ende der Weimarer Republik, bewegend aufbereitet als Geschichtsfilm, oder das Ideal einer gesunden, eugenisch tadellosen Familie, denn »die Keimzelle des Staates ist die Familie«. Scheinbar harmlose Unterhaltungsfilme, Komödien etwa, würden den sogenannten Volksgenossen das »Ausruhen in den Kampfpausen« ermöglichen, damit sie als treue Mitglieder der Rassengemeinschaft weitermachen könnten.35
Das nächstbeste Medium, und mit dem Film verwandt, war die Bühne. Sie müsse den politischen Zielen erst angepasst werden, damit sich »politisches Selbstbewusstsein am Theater« entwickeln könne, wie der gefeierte Bühnenautor Hanns Johst meinte. Das Theater müsse dazu beitragen, den deutschen Menschen zu formen, »einen Menschen nationalsozialistischer Gesinnung und Haltungen«, orientiert an den Germanen der Edda-Sage, deren Praktiken als beispielhaft galten. Rasse, Kult, Heldentum und insbesondere die Opferbereitschaft des Einzelnen für die Gemeinschaft – das alles seien Themen für die Tragödie im neu zu entwickelnden Drama. Die Individualität sollte nicht zuletzt im Schauspielbetrieb durch die Abschaffung des überkommenen Starsystems geopfert werden. Oberstes Darstellungsziel des neuen Theaters war das »Ringen um die großen Fragen des deutschen Daseins«.36
In den bildenden Künsten trat das Rassemotiv ebenfalls zutage. Die Maler sollten »rassisch« perfekte deutsche Menschen zeigen, damit das Volk die Vorzüge der Eugenik zu schätzen lernte. Außerdem konnten Bilder Erwartungen wecken und Wünsche befördern, etwa Liebe zur Natur, zur »Scholle« und zur Besiedlung des europäischen Ostens. Territoriale Bräuche und nationale Legenden waren ebenfalls angemessene Themen, denn »der Liebhaber der Geschichte und des völkischen Lebens wird dabei auf seine Rechnung kommen«.37 Hauptzweck der mit der Malerei verwandten Architektur sollte die Hervorhebung des Monumentalen in der Staatsidee des Nationalsozialismus sein, eine weitere Variante des Heldenthemas.38
Die Literatur diente vergleichbaren Zwecken: Bücher konnten beispielhafte Darstellungen rassisch erwünschten Verhaltens bieten. An die Stelle des Expressionismus und Naturalismus vergangener Zeiten sollte ein »völkischer« oder »heroischer« Realismus treten, gegründet in »Blut und Boden« und der germanischen Vergangenheit. Vermeintliche Existenzfragen Deutschlands hatten in Roman und Novelle im Zentrum zu stehen: die Liebe zum Land und zum Siedlertum, familiäre Werte, wie sie die Deutsche Frau verkörperte – das ewige Sinnbild für Tugend, Bescheidenheit und Fleiß, die Hüterin des Blutes, immer bereit, den kampfbereiten männlichen Beschützer zu unterstützen.39 Für derlei war der historische Roman das geeignete Genre, der von den prähistorischen Wikingern erzählte, von Hermann dem Cherusker, der die Römer besiegte, und von Widukind, der Karl dem Großen Widerstand leistete. Erzählen ließ sich auch von den Bauernkriegen, von Heinrich dem Löwen, Baron vom Stein, deutschen Erfindern und Gelehrten und natürlich vom Ersten Weltkrieg und dem »Dolchstoß« des Jahres 1918.40
Und wie mochte die Musik zur politischen Kultur der nächsten tausend Jahre beitragen? Musik ist, so der New Yorker-Kritiker Alex Ross, »immer in der Welt, ist weder schuldig noch unschuldig, sondern Gegenstand der ständig sich wandelnden menschlichen Landschaft, in der sie sich bewegt«.41 Folgt daraus politische Neutralität? Ihrer Struktur nach ist Musik – so viel ist klar – am wenigsten zu ideologischer Kommunikation geeignet, es sei denn, es handelt sich um ein Opernlibretto oder einen Liedtext. Nur in dieser Hinsicht konnten Komponisten und Dichter zusammenwirken. So musste Friedrich W. Herzog, ein Gefolgsmann Alfred Rosenbergs, hohl klingen, wenn er eine Musik forderte, »die erfüllt ist von der Ausdrucksgewalt der nationalsozialistischen Idee. Als revolutionäre Musik wird sie dem Fortschritt dienen, als nationale Musik wird sie neu sein, und als sozialistische Musik wird sie in das Herz eines jeden Volksgenossen, ohne Rücksicht auf Alter, Stand und Geschlecht, dringen und verstanden werden.«42 Der vorsichtigere Goebbels war indes nicht bereit, die Musik in die patriotische Pflicht zu nehmen, sondern wollte nur, dass die Welt das Monopol der deutschen Musik anerkannte.43 Aber die Musik konnte Gefühle beeinflussen und hatte damit, etwa bei politischen Veranstaltungen oder im Radio, durchaus emotionalen Wert.44
Rechnet man auch Radio und Presse zu den Kulturgattungen, eröffneten sie den direktesten propagandistischen Zugang zu den Massen. Sofern die NS-Führer sich nach der Machtergreifung als Revolutionäre empfanden, betrachteten sie den Rundfunk als revolutionären Akt par excellence. Und sofern sie sich als modern empfanden, war das Radio die Innovation ihrer Wahl – das Instrument ideologischer Indoktrination und Kontrolle schlechthin, einsetzbar für Ansprachen und andere nicht-musikalische Sendungen wie Hörspiele und Reportagen zu aktuellen Ereignissen. Überdies konnte Musik, wie der Film, Hitlers Untertanen aufmuntern und für künftige Schlachten stählen, dasselbe galt für entsprechend zugeschnittene Wortbeiträge: Quiz, Humor, bunt Gemischtes und natürlich Sportreportagen. Im Unterschied zu Drama und Oper – der Unterhaltung für die Oberschichten – und dem Film – der hauptsächlich die Unterschichten amüsierte – war das Radio ein klassenüberschreitendes Medium.45
Und schließlich die Presse. Angesichts einer weitgehend alphabetisierten deutschen Bevölkerung übertraf die Reichweite der Printmedien die des Radios, zumal sich einzelne gesellschaftliche Gruppierungen damit noch treffsicherer ansprechen ließen und letztlich fast jede Zielgruppe erreicht werden konnte. Die Bandbreite war groß, reichte von Parteizeitungen mit deftigen Slogans bis zu elegant formulierten politischen Herleitungen, deren Logik auch den Hochgebildeten einleuchten sollte. Die Presse konnte Kunst abbilden, Kapitel aus der hohen Literatur oder scheinbar Unverfängliches mit einer verborgenen ideologischen Bedeutung bringen. Zudem zeigte der Nürnberger Gauleiter Julius Streicher mit seinem rüden antisemitischen Kampfblatt Der Stürmer schon früh, wie man mit hämischen Karikaturen von deutschen Juden Hass säte.46
Literatur
2009 äußerte sich der amerikanische Kultur- und Literaturhistoriker Sander L. Gilman zur NS-Literatur dahingehend, dass »es einfach uninteressant sei, sich mit der massenhaften Literatur der NS-Zeit zu beschäftigen«.47 Schriftsteller wie Josef Magnus Wehner, Hans Zöberlein oder Kurt Eggers »repräsentieren nicht die ›wahre‹ Literatur im Deutschland der Jahre 1933 bis 1945«. Gilman begründete seine Ansicht nicht, dachte aber allem Anschein nach an gravierende Mängel in Form und Inhalt – an eine Literatur, die nicht der hauptsächlichen Tradition deutscher Belletristik im 19. und 20. Jahrhundert entsprach. Doch abgesehen davon war Literatur, was deutsche Schriftsteller an Prosa oder Poesie hervorbrachten; ob es gut oder schlecht war, steht auf einem anderen Blatt. Was damals von NS-Autoren oder von Schriftstellern, die ganz oder nur zeitweise im Dritten Reich lebten, zu Papier gebracht wurde, war genuin deutsche Literatur, gleichgültig, ob abgeleitet oder originell oder eine Mischung aus beidem.