Aber nun übernahm der neue LFC die Rolle des Everton-Rivalen.
Liverpools Antrag auf Aufnahme in die Second Division wurde positiv beschieden. Am 2. September 1893 bestritt der LFC sein erstes Spiel in der Football League, das er gegen Middlesbrough Ironopolis mit 2:0 gewann. Das erste League-Tor erzielte mit Malcolm McVean einer der Schotten, die McKenna nach der Klubgründung geholt hatte. Liverpool gewann 22 seiner 28 Spiele und wurde ungeschlagen Erster – mit 50 von 56 möglichen Punkten. Aufgestiegen war der Klub damit aber noch nicht. Der Meister der Second Division musste sich zunächst noch mit dem Tabellenletzten der First Division messen, auf Liverpool wartete also eine Begegnung mit Newton Heath, dem Vorläufer von Manchester United. Im Ewood Park, dem Stadion der Blackburn Rovers, schlug Liverpool die „Heathens“ mit 2:0.
Mittlerweile herrschte eine harte Rivalität zwischen den Städten Liverpool und Manchester. Auslöser war der 1894 eröffnete Manchester Ship Canal, der Manchester einen direkten Zugang zur irischen See eröffnete. Auf dem 58 Kilometer langen Kanal, der dem Verlauf der Flüsse Mersey und Irwell folgt, konnten nun die Ozeanriesen vom Mersey-Delta bis zu den Docks in Manchester und Salford fahren. So umging Manchester die hohen Gebühren der Liverpooler Hafenverwaltung. Logisch also, dass die Stadt Liverpool erbitterten Widerstand gegen das Bauwerk leistete und den notwendigen Parlamentsbeschluss um drei Jahre verzögerte. Letztendlich allerdings umsonst: Obwohl 64 Kilometer vom offenen Meer entfernt, stieg Manchester Anfang des 20. Jahrhunderts zum drittgrößten Hafen Großbritanniens auf.
Nach Liverpools Aufstieg in die First Division kam es am 13. Oktober 1894 erstmals zu einem Derby mit Everton. 44.000 Zuschauer pilgerten in den Goodison Park, darunter der Oberbürgermeister und weitere lokale Prominenz. Ein einwöchiges Trainingslager konnte nicht verhindern, dass Liverpool mit 0:4 unter die Räder kam. Das Rückspiel endete vor 30.000 Zuschauern an der Anfield Road immerhin 2:2. Am Ende der Saison 1884/95 war der LFC nach nur sieben Siegen in 30 Spielen und mit lediglich 22 Punkten auf dem Konto Letzter der Tabelle. Nach einer 0:1-Niederlage gegen den Champion der Second Division, den FC Bury, stieg Liverpool nach nur einer Spielzeit im Oberhaus wieder ab. Und das, obwohl der Gegner den Großteil des entscheidenden Spiels mit zehn Mann auskommen musste, nachdem der Torhüter vom Platz gestellt worden war.
Ein „Meistermacher“ kommt
McKenna versprach den schnellen Wiederaufstieg und rekrutierte für dieses Vorhaben weitere Schotten. So u. a. den kräftigen Mittelstürmer George Allan von Leith Athletic, der zwar nur 1,73 Meter groß war, aber dafür 86 Kilo auf die Waage brachte. Nur ein Jahr nach dem Abstieg war der LFC im Sommer 1896 tatsächlich zurück in der First Division. Auf dem Weg dorthin wurde der Ball 106-mal im gegnerischen Tor versenkt. Neuzugang Allan traf 25-mal, obwohl ihn der schottische Verband für die ersten acht Spiele gesperrt hatte. Denn Allan hatte nicht nur in Liverpool unterschrieben, sondern auch beim FC St. Bernard’s aus Edinburgh.
Nach dem Wiederaufstieg übergab McKenna die Mannschaft an Tom Watson, einen erfahrenen Manager und „Meistermacher“, womit der Klub seine Ambitionen unterstrich. Zuvor hatte der aus Newcastle stammende Watson den als „the team of all talents“ getauften FC Sunderland zur englischen Meisterschaft geführt (1891/92, 1892/93, 1894/95). Er ist bis heute der erfolgreichste Manager in der Geschichte dieses Klubs. Beim FC Liverpool wurde er mit einem Jahresgehalt von 300 Pfund zum bestbezahlten im englischen Fußball.
Unter dem neuen Manager wurde das Spiel der „Reds“ defensiver und kontrollierter, was nicht jedem Fan gefiel. 1896/97, die erste Saison unter seiner Regentschaft, schloss die Mannschaft als Fünfter ab und lag damit erstmals vor Everton. Erstmals kam nun auch ein Akteur des LFC in der englischen Nationalelf zum Einsatz: Harry Bradshaw, ein echter Liverpooler, war dabei, als England Irland am 20. Februar 1897 in Nottingham mit 6:0 besiegte. Es blieb Bradshaws einziges Länderspiel. Am ersten Weihnachtstag des Jahres 1899 starb er nur 26-jährig. Im Sommer 1898 hatte der Stürmer Liverpool verlassen und anschließend für Tottenham Hotspur und Thames Ironworks (Vorläufer von West Ham United) die Stiefel geschnürt. Während seiner Zeit bei Thames Ironwork wurde er im Spiel von einem Gegner mit einem Tritt so heftig am Kopf getroffen, dass er fortan unter Kopfschmerzen litt. Bei Kopfbällen dämpfte er die Schmerzen, indem er sich die Ohren zuhielt. Bis Bradshaw schließlich einer Gehirnblutung erlag.
Einige Wochen nach Bradshaws Debüt für England, am 3. April 1897, schaffte es ein weiterer Spieler der „Reds“ in den Rang eines Nationalspielers: George Allan lief an diesem Tag für Schottland gegen England auf. Die Schotten gewannen in London mit 2:1. Die Parallelen zwischen dem ersten englischen und dem ersten schottischen Nationalspieler des FC Liverpool sind frappierend: Beide bestritten nur ein Länderspiel, und beide starben jung – Allan am 17. Oktober 1899 im Alter von nur 24 Jahren an Tuberkulose. Nach einer Saison in Glasgow bei Celtic war er im Sommer 1898 nach Liverpool zurückgekehrt. Beim folgenden Meisterschaftsspiel trugen Liverpools Spieler ihm zu Ehren schwarze Armbänder. Allan schoss in 98 Spielen 55 Tore für den LFC.
Zur Saison 1898/99 verpflichtete Liverpool den schottischen Mittelfeldspieler Alexander Galloway „Alex“ Raisbeck, der zuvor für die Hibs aus Edinburgh und Stoke City gespielt hatte. Raisbeck, der großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte, avancierte zum ersten Star in der Klubgeschichte. Eine weitere Neuerwerbung war der nur 1,65 Meter große und 57 Kilo schwere Rabbi Howell von Sheffield United. Als England Irland im April 1895 mit 9:0 schlug, war Howell der erste Rom gewesen, der das Trikot der Three Lions trug. In Liverpool geriet Howell wiederholt mit den strengen Kluboberen aneinander, die auf perfektes Benehmen – auch außerhalb des Spielfelds – größten Wert legten.
Dank der Verstärkungen flirtete der FC Liverpool 1898/99 erstmals mit einem nationalen Titel. Sogar das „Double“ aus Meisterschaft und Pokal schien möglich. In der First Division lieferte man sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Aston Villa. Aber am letzten Spieltag fegten die „Villans“ die „Reds“ mit 5:0 aus dem Villa Park und verwiesen Liverpool auf Platz zwei. Im Hinspiel hatte der LFC noch mit 3:0 die Oberhand behalten. Im FA-Cup erreichten die „Reds“ das Halbfinale, wo sie auf Sheffield United trafen. Um den Finalisten zu ermitteln, bedurfte es vier Begegnungen. Zunächst wurde in Bolton gespielt, wo die Partie mit einem 2:2-Remis endete. Auch die Wiederholung in Nottingham brachte keine Entscheidung. Erneut trennten sich die Teams unentschieden (4:4). Die dritte Auflage wurde im Fallowfield-Stadion von Manchester angepfiffen, das sich für diesen Anlass als viel zu klein erwies. 30.000 Zuschauer waren gekommen, die von den überfüllten Rängen immer wieder auf das Spielfeld strömten. Die erste Halbzeit dauerte 105 Minuten. Anschließend brach der Schiedsrichter die Partie ab. Liverpool führte zu diesem Zeitpunkt durch ein Tor von George Allan mit 1:0. Die vierte Begegnung in Derby gewann Sheffield mit 1:0. Das Tor des Tages fiel erst fünf Minuten vor dem Abpfiff.
Zwei Meisterschaften und ein „Kop“
In der Saison 1900/01 wurde der LFC erstmals Meister. Lange sah es nicht so aus, als würde man eine erfolgreiche Saison spielen. Im Februar 1901 gestaltete sich die Bilanz noch sehr bescheiden: 22 Spiele, zehn Siege, acht Niederlagen, vier Unentschieden. Doch ein fulminanter Endspurt katapultierte die „Reds“ noch an die Tabellenspitze. Die Mannschaftum Kapitän Alex Raisbeck gewann neun der verbliebenen zwölf Spiele, drei endeten unentschieden. Liverpools Topscorer war in dieser und den folgenden Spielzeiten Sam Raybould, der im Sommer 1900 vom örtlichen Klub New Brighton Tower gekommen war. Raybould traf in der Meistersaison 17-mal. 1902/03 war seine erfolgreichste Spielzeit, als er in der Liga 31 Tore schoss. Ein Rekord, der beim FC Liverpool erst 1931 von Gordon Hodgson gebrochen wurde.
Im April 1901 führte die Football League eine Gehaltsobergrenze ein. Das Gehalt des Profis durfte fortan wöchentlich vier Pfund nicht übersteigen. Der FC Liverpool gehörte zu den Vereinen, die ihren Spielern mehr gezahlt hatten, und sah sich deshalb zu einigen Umstellungen gezwungen. Damit der Klub seinen Spielern mehr als vier Pfund zahlen konnte, bekamen diese Arbeitsplätze im Klub und somit ein zusätzliches Gehalt. So wurde Kapitän Alex Raisbeck als Rechnungsprüfer angestellt.
Klubgründer John Houlding starb 1902 im südfranzösischen Cimiez (heute ein Stadtteil von Nizza) nach langer Krankheit. Sein Nachfolger als Klubvorsitzender wurde John McKenna, der von 1917 bis 1936 auch noch Präsident der Football League war. 1905 wurde der Besitz des Klubs umstrukturiert. Von den 3.000 LFC-Anteilsscheinen befanden sich 2.000 in den Händen der Familie Houlding.