David Urquhart

Reisen unter Osmanen und Griechen


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in der allgemeinen Beschreibung so dürftig ist und, sobald er ins einzelne geht, oft so verwirrt. Miletius ist hier schlechter als nichts, aber doch auf alle Fälle noch besser als Pouqueville4.

      Polybios ist wirklich der einzige Führer in Akarnanien und Ätolien, und aus dem Thukydides muß man das einzige glimmende Lichtchen borgen, das sich über die streitigen Lagen verbreitet, die mit dem Amphilochischen Argos zusammenhängen.

      Doch kehren wir nach Pleurona zurück. „Der Evenus“, sagt Strabo, „wendet, nachdem er bei Kalydon und Chalkis vorbeigekommen, seinen Lauf westwärts, nach der Ebene von Alt-Pleurona, und dann wendet er sich südlich zum Ausmünden.“ Gerade nun bei der beschriebenen Flußbiegung erhebt sich der mit diesen Trümmern besetzte Hügel, die in Hinsicht der Ausdehnung und des Stils zu den vorzüglichsten gehören. Einige der Steine waren neun Fuß lang; die Mauer ist gewöhnlich neun Fuß dick, an einer Stelle aber, die wie es schien, an die beiden Akropolis grenzte, war sie nur fünf Fuß mit Verstärkungen von fünfeinhalb Fuß im Geviert, welche die Binnenseite verdickten und auf welche wahrscheinlich Planken gelegt wurden, um die Bank (banquette, Brustwehr) zu bilden. Die Mauern umschlossen zwei Anhöhen, auf deren jeder eine Akropolis gestanden zu haben schien; die nordwärts gelegene war zum Teil zyklopisch. Das von der Mauer eingeschlossene Hochplateau mag etwa dreitausend Schritte im Umkreise halten, der niedrigere Teil ist wenigstens ebenso groß. Einige Ziegel und Mauersteine, härter als Feldsteine, waren die einzigen Überbleibsel, die ich sehen konnte. Eine griechische Faktion hat sich ein Denkmal gesetzt durch den völligen Umsturz solcher Mauern und solcher Stadt.

      Während wir das „fruchtbare Gefilde“5 von Pleurona durchzogen, holten wir einige Leute mit Mauleseln ein, die mit allen ihren irdischen Habseligkeiten beladen waren. Sie erzählten uns, sie wären aus der Gegend von Jannena entflohen, mit der Absicht, sich in Griechenland niederzulassen, aber bei dem Kastell von Rumili angehalten, wo man ihnen zwölf Prozent vom Wert ihrer Maulesel und ihres Gepäcks abgefordert hätte. Nicht im Stande, das verlangte Geld zu zahlen und erbittert darüber, daß man sie der aufgeregten Rache wieder entgegenjage, kehrten sie dahin zurück, woher sie gekommen waren. „Tausende,“ sagten sie, „rüsten sich, aus Albanien zu flüchten; aber wir wollen ihnen schon sagen, was es mit der ‚Freiheit’6 auf sich hat.“

      Ich weiß nicht, ob man diese Maßregel mehr als unpolitisch, oder als unmenschlich tadeln soll. Nach unserer Ankunft in Messolonghi erzählten wir diese Geschichte dem Distriktsgouverneur, welcher erklärte, die Forderung sei ganz ohne Wissen der Regierung gemacht, und er werde augenblicklich dem Ding ein Ende machen. Es ist aber überflüssig hinzuzusetzen, daß den Erpressungen, über die man sich beklagte, kein Ende gemacht wurde.

      Drei Stunden nach Sonnenuntergang trafen wir vor dem Tor von Messolonghi ein. Wir klopften an und schickten um Erlaubnis zum Einlaß, das wurde aber abgeschlagen; wir forderten Lebensmittel und konnten keine erhalten - bemerkenswerte Anfänge zur Zivilisation! Und solche Einrichtungen hält man wirklich für glückliche Nachahmungen Europas. Unsere Diener und unsere Zelte waren vorausgegangen, während wir die Trümmer von Pleurona untersuchten, die wir erst nach völlig eingetretenem Dunkelwerden verließen. Die Diener hatten Befehl, wenn sie fänden, daß wir nach Sonnenuntergang nicht eingelassen würden, außerhalb der Mauern das Zelt aufzuschlagen. Wir sahen und hörten nichts von ihnen; eines unserer aber Pferde brach seinem Geruchssinn folgend los und als wir ihm nacheilten, stolperten wir über die Zeltstricke, wohin es uns geführt hatte.

      In Messolonghi blieben wir drei Tage, fast immer den Verhandlungen zuhörend, oder auch sie veranlassend, die sich über das Protokoll und die Grenzen entspannen, über die Verhältnisse, Hilfsmittel und Aussichten von Akarnanien, über die von dem neuen Staat ausgeschlossenen Teile Ätoliens. Hier war eine große Zahl der griechischen Anführer und alter Armatolis versammelt: Vernachiotes, die Grivas und andere, die sich als halbe Taktikoi7 ansahen, das heißt, die auf der Liste der irregulären Regulären eingeschrieben waren, während andere ganz ungezähmt waren und sich selbst „Rebellen“8, nannten, zum Unterschied von den regulären Truppen.9

      Die vom militärischen Gesichtspunkt aus genommene Unzulänglichkeit der neuen Grenzen war so offenbar, daß sich der Spott darüber mit Entrüstung vermischte. Ich muß gestehen, daß mich die Verschlagenheit einzelner Bemerkungen nicht weniger überraschte als verwirrte. „Der Herzog von Wellington,“ sagten sie, „ist der erste Kriegsmann in Europa; wir freuten uns deshalb, daß solch ein Mann über unsere Grenzfrage entscheiden sollte. Er hatte in Spanien kommandiert, wo die Art der Kriegführung der unsrigen ähnlich ist, und wo Berge, Wälder und Felsen Manneszucht und Kriegskunst herausfordern. Was sollen wir aber nun von diesem Protokoll denken, das den Frieden dadurch zu schließen vermeint, daß es uns eben die Positionen abnimmt, um die der Krieg geführt wurde und die einzigen Verteidigungsposten, durch welche der Frieden gegenwärtig erhalten wird?“ Ich bemerkte, der Herzog von Wellington sei durch fehlerhafte Landkarten getäuscht worden. „Dann,“ entgegneten sie, „hätte er auf die Ereignisse blicken sollen. Nicht dieser Krieg allein hat es bewiesen, daß Griechenland zwei Tore hat und daß ihr das eine nicht schließen mußtet, während ihr das andere offen laßt, und überdies mußten die Positionen unsere militärischen Grenzen werden, die wir im Stande waren zu halten und durch deren Festhalten wir ohne die Hilfe eines Protokolls den Frieden während der letzten zwölf Monate erhalten haben, und wäre es möglich gewesen, noch bessere zu finden, so hätte man die nehmen müssen.“

      Wenn der Besitz der ausgeschlossenen Distrikte den Türken irgendeinen Vorteil bringen sollte, so könnte es nur dadurch geschehen, daß sie starke Kolonien anlegten, um alle Verbindung zwischen Albanien und Griechenland abzuschneiden. Das liegt aber natürlich ganz außer aller Frage. Sobald Griechenland unabhängig ist, kann die Pforte nicht länger wie bisher das System der griechischen Armatolis beibehalten. Keine türkische Bevölkerung könnte bewogen werden, sich zwischen den Albanesen und den Griechen anzusiedeln, sobald diese nicht länger von der Hilfe der Türken und ihrem Schutz gegen die Albanesen abhängig sind. Auf diese Weise ist dieser von Griechenland abgerissene Distrikt den Verheerungen der Arnauten preisgegeben und wird, statt der Türkei von Nutzen zu sein, nur dazu dienen, durch den Reiz des Plünderns den unruhigen Geist der Albanesen immer wach zu erhalten, unaufhörliche Zwistigkeiten zwischen der Pforte und Griechenland zu nähren und ein feindseliges Gefühl durch gegenseitige Anschuldigung und Gewalttaten zu verewigen. Hätten die Verbündeten in der öffentlich eingestandenen Absicht gehandelt, den Orient zu zerfleischen, so würden sie Preis und Bewunderung für ihre Einsicht und Erfindungsgabe geerntet haben. Das waren die Bemerkungen von Makris und Grivas.10

      Auf die Engländer fällt alles Gehässige der Maßregel. Die Auslieferung der Griechen in Parga11 an ihren albanischen Feind hat den Namen Englands in Schmach gebracht, auf den man sonst mit Scheu und Ehrfurcht blickte. Später diente die Politik, welche aus den Ionischen Inseln die Familien derer vertrieb, die Ali Pascha12 „Klephti“ (Räuber) nannte (man vergleiche Hobhouse13), mit dazu, diese Provinz in Ali Paschas Hände zu bringen. Das Volk sieht jetzt in der gegenwärtigen Maßregel nur eine Fortsetzung derselben Politik. Es besteht Zweifel: Jene früheren Ereignisse würden nimmer so zum Volk gedrungen sein, ihr Eindruck würde nie so tief und so allgemein geworden sein ohne die Tätigkeit, womit die Regierungsbehörden selbst und ihre Agenten diese Nachrichten verbreiteten.

      Wir waren ausnehmend zufrieden mit dem Benehmen, den Reden und dem äußeren Ansehen der meisten rumeliotischen Anführer. Es ist wahrlich ein trefflicher Schlag Menschen; ihre Fehler entspringen unmittelbar aus den schwierigen Verhältnissen, in denen sie leben, aber, woher kommt ihre Artigkeit, ihre Weltkenntnis, die Leichtigkeit im Ausdruck, die Schärfe ihrer Beobachtung, die glühende Wißbegierde und die Gabe, das Erlernte anzuwenden?

      Messolonghi ist ein Platz, von dem man höchst schwer jemanden einen Begriff beibringen kann, der nicht türkische oder griechische Kriegführung gesehen hat. An beiden Seiten des Tores ist eine zwerghafte Nachahmung einer Bastion und einer Courtine, aber die Umgebung des Platzes ist nichts weiter als ein Weidengeflecht mit Erde darüber; rund herum fließt ein schmaler Graben mit drei Fuß tiefem Wasser. Diese Umzäunung erstreckt sich gegen Norden in einem Halbzirkel vom Ufer bis wieder zum Ufer. Indes findet sich noch eine Kraftanstrengung der Ingenieurkunst, die ich nicht vergessen