gerieten.
Ich sagte, ich hätte nach der griechischen Flagge gesehen, die statt des osmanischen Banners auf den Wehren flattern sollte, welche den Golf von Lepanto beschützen - aber es war keine da. Ich blickte nach einem Flaggenstock und ich sah deren drei dicht beieinander, gleich den drei Kreuzen auf einer katholischen Schädelstätte. Der eine trug ein weißes Tuch ohne Flecken, aber auch ohne Zeichen und Andeutung. Der zweite trug bunte Winkel von Rot, Weiss und Blau, mehr Geometrie in den Falten zeigend als eben Poesie, so begeisternd auch die zehn Jahrhunderte der Mannhaftigkeit dieser Flagge sind, oder die weitgedehnten Zonen, die von ihren Zügen Kunde geben. Der dritte zeigte Kreuzbalken von Blau im weissen Felde, gleich einem aufgerichteten Stundenglas und auf Eisberge und Schnee deutend. England, Frankreich und Rußland, Mächte, unter deren vereinter Herrschaft etwa 290 Millionen Menschen stehen, hatten sich verbündet, die türkische Flagge fortzuschaffen; sie besetzten als Freunde türkisches Gebiet, sie verbrannten deren Schiffe als Verbündete, sie versperrten deren Häfen als Neutrale; sie protokollierten Griechenland als Wohlwollende - sonderbare Rätsel für ein Zeitalter, das keinen Ödipus hat.
1Kleiner Hafen am Golf von Korinth an der Grenze der Phokis zu Akarnanien.
2Griechenlands Flagge sind neun waagrechte Streifen blau, und weiß, mit einem weißen Kreuze auf blauem Feld in der Ecke, zum Andenken des silbernen Kreuzes, das Konstantin während der Schlacht gegen Maxentius am Himmel erblickte, woher das Labarum der Griechen stammt.
3Tökóli entfaltete (1680) seine grüne Fahne des unabhängigen Ungarn vor dem türkischen Heer, um den Enthusiasmus der Muslime zu seinen Gunsten zu erregen. Die jetzige ungarische Fahne ist grün, weiß und rot. (Das zweite, christliche Wappen Ungarns, seit König Stephan dem Heiligen, tausend Jahre nach Christi Geburt, ist im roten Felde ein silbernes Patriarchenkreuz aus goldener Krone auf grünem Hügel; Anm. d. Übers.) Noch ganz neuerdings haben die Tscherkessen Grün zur Nationalflagge gewählt, nicht nur um sich durch ein Nationalzeichen von ihren Feinden zu unterscheiden, als vielmehr um ihren Glaubensbrüdern im Süden anzudeuten, das Behalten alles dessen, was ihnen teuer sei, hänge ab von der Erhaltung der auf dem Kaukasus entfalteten Fahne.
4Sigismund Báthory (1572-1613), Reichsfürst und Fürst von Siebenbürgen (Red.).
VIERTES KAPITEL
DAS WESTLICHE GRIECHENLAND - GRIECHISCHE MEINUNGEN VOM HERZOG VON WELLINGTON - MESSOLONGHI - DAS FÜLLHORN - SCHLACHT VON LEPANTO
Wir wurden in Lepanto vom Kommandanten, Obrist Pieri, empfangen, einem Korsioten, der Artillerie-Chef war und uns, wie nebenbei sich selbst, mit der Erzählung seiner verschiedenen Heldentaten unterhielt. Hier hatten wir die erste Unterredung mit einigen Sulioten über das Protokoll. Sie drückten ihren Schmerz und ihre Besorgnis kräftig aus, sagten aber, die Nation werde von jeder öffentlichen Äußerung ihrer Gefühle durch die Furcht abgehalten, als widersetzlich gegen den Willen der Höfe zu erscheinen und von diesen für unruhig und wankelmütig gehalten zu werden. Ohne das, sagten sie, würde Kapodistrias Regierung nicht einen Tag geduldet werden.
In Lepanto sind von tausend Familien noch fünfhundert griechische nachgeblieben; 6 000 Stremmata1 gehören den Griechen, 25 000 früher den Türken, die jetzt Nationaleigentum geworden sind. Die griechischen Ländereien sind aber so viel schlechter als die ehemals türkischen, daß, obgleich diese um zwei Dritteile höher besteuert sind, die Griechen doch ihre eigenen Felder verlassen, um die türkischen zu bebauen.
Am 20. Mai verließen wir Lepanto mit Tagesanbruch und kamen durch eine kleine fruchtbare Ebene, die sich in einem Halbkreise erstreckt, mit der Basis von Rizina, an deren Ende Lepanto liegt, bis zu den niederen Vorhügeln des Gebirges Korax, das sich bis zum Kastelle von Rumili hinzieht. Die Ebene ist dicht mit Ölbaumwurzeln bestreut; gegen die See hin ist sie sumpfig, aber das könnte leicht ausgetrocknet werden. Die niedrigen Hügel, über die wir jenseits des Kastells kamen, sind aus einer alaunartigen und erdigen Masse gebildet, die leicht vom Wasser weggeschwemmt wird. Demgemäß ist die Ebene in kleine vereinzelte Massen geschieden, mit abschüssigen Seiten, flachen Zwischenräumen und Gipfeln, zu jedem Anbau geeignet, während die steilen Seiten jede Baumart tragen und das Gemälde mit Reiz erfüllen können. Wir sahen nichts von den warmen Schwefelquellen in der Nähe von Kakaskala, die diesem Teile der Lokrier den Beinamen des stinkenden verschafften. Der Paß ist von Natur sehr befestigt, indem sich der Fußpfad über den Rücken des Berges windet, der fast lotrecht aus der See entsteigt. Nachdem wir über einen niedrigeren Höhenzug gekommen waren, erreichten wir das schöne kleine Tal Kavuro Linute, wohin Miletius das alte Molykria versetzt. Hier wurde im Schatten einer prächtigen Platane bald Feuer angemacht, wir hingen unsere Waffen an die Äste und ließen unsere Pferde grasen im gelben, weißen und roten Klee und im wilden Hafer und Korn. Unsere Teppiche wurden ausgebreitet und bald erschien die Kaffeekanne und die erquickliche Pfeife.
Dieses kleine, aber zauberische Tal gewährt eine Ansicht wie man sie in Morea selten antrifft. Es ist von unregelmäßigen, aber nicht bedeutenden Hügeln eines weichen Sandsteines umgeben, die in Gestalt und Wesen abwechselnd, mitunter nackt, mitunter bewaldet sind. Durch das Tal fließen zwei Bäche mit tiefen Betten, an denen Reihen schattiger und schöner morgenländischer Platanen wachsen. Wenn man eine Zeit lang die Ansicht von Bäumen entbehrt hat, freut man sich ordentlich über die Schönheit des Laubwerkes und der Gestalt, an der Kühle ihres Schattens und fühlt die Lieblichkeit oder lernt ihren Wert kennen. Nicht weniger Erholung gewährte mir die Aussicht auf die jetzt uns umgebenden Hügel, denn meine Augen waren ermüdet von der Eintönigkeit der Kalkgebirgsketten in Morea, denen es eben so sehr an malerischem, als an geologischem Interesse mangelt, und die um so ermüdender werden, als die Gebirgspfade abscheulich sind und es ihnen an Quellen und Schatten fehlt.
Es freute mich auch, daß ich mich wieder in West-Griechenland befand, einem Land, das mit ausgedehnten Trümmern des entferntesten Altertums angefüllt ist, die, obgleich jetzt darniederliegend und selbst zu den Zeiten des Glanzes von Griechenland schon danieder lagen, schon damals als Muster griechischer Kriegsbaukunst dienten.2 Das Land wurde von Leuten bewohnt, welche die Verfeinerung und Wissenschaft Griechenlands mitbrachten und die Tätigkeit ihres Stammes, und auf einem reicheren Boden eine Zuflucht suchten und fanden vor den Verfolgungen, und Ruhe vor den endlosen und blutbefleckten Zwistigkeiten, die den Peloponnes verheerten.
Diese Gegend ist ganz besonders der Schauplatz mythologischer und dichterischer Gebilde gewesen. Ihre militärische Bedeutsamkeit, die der Erhaltung des neuen Staates so wichtig ist, wurde durch die Ereignisse verherrlicht in den Kriegen Philipps, der Römer, der Goten, der Gallier und der letzten Revolution. War es der glücklichste und einzig friedliche Teil Griechenlands während der Tage seines alten Glanzes, so ist seit jener Zeit bis zur gegenwärtigen das Gegenteil das Schicksal des Landes gewesen, seit der Entvölkerung unter Augustus, die den Zweck hatte, Nikopolis zu bevölkern, bis zur Entvölkerung durch das letzte Protokoll, die gar keinen Zweck hatte.
Anderthalb Stunden3 vom Fluß Kavuro Limne erblickten wir den Evenus durch einen Gürtel von majestätischen Platanen und schlanken Weiden, die eine Art von Vorkulisse zu einem kleinen Waldtheater abgaben. Der Fluß glitt im reißenden aber klaren Strom durch sein breites und steiniges Bett und glänzte durch den Vorhang von tiefgrünem Laubwerke. An der anderen Seite erhob sich ein steiles und durchbrochenes, mit Gesträuchen bewachsenes Ufer. Es gehörte kein großer Aufwand von Phantasie dazu, in diese thespische Szene die fabelhaften Gruppen Meleagers mit dem Eber, Dejanirens und des Kentaurs zu versetzen.
Wir ließen den Fluß rechts und wandten uns rund um den Fuß des Berges Chalkis. Vergebens aber suchten wir nach Spuren, denen wir den Namen Makynia und Chalkis hätten geben können und an der anderen Seite des Flusses nach Tophialson und Kalydon. In der Regel besteht die Schwierigkeit darin, für die große Menge von Überresten Namen zu finden; wir aber waren in Verlegenheit mit einem Überfluß von Namen, ohne daß wir auch nur einen Säulenknauf oder Säulenschaft gefunden hätten, um die Namen anzubringen. Nachdem wir aber über den Fluß gegangen und rechts vom Weg eine kleine Anhöhe erstiegen, die unmittelbar auf Hypochorion hinblickte, befanden wir uns unerwarteterweise mitten unter sehr ausgedehnten hellenischen Ruinen, die wir mit dem Strabo in der Hand uns sehr wohlgefällig