David Urquhart

Im wilden Balkan


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Seehelden Thomas Cochrane (1775-1860) an, der in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts zahlreiche glänzende Siege für England eingefahren und daraufhin eine politische Karriere begonnen hatte. Doch sollte Cochrane England im Jahr 1817 verlassen, nachdem man ihm drei Jahre zuvor wegen eines Börsenskandals, an dem er eigentlich unbeteiligt war, die Ritterschaft aberkannt hatte. Er übernahm daraufhin Seekommandos in der ganzen Welt und befehligte von 1826-1828 auf Ansuchen des späteren griechischen Ministers Aléxandros Mavorkordátos die neu gebildete griechische Flotte, deren Hauptaufgabe es war, die Piraterie im Bereich der Ägäis einzudämmen.

      Urquhart gelangte 1827 nach Griechenland, wo er die letzten Ausläufer des Unabhängigkeitskampfes miterlebte. Nachdem Cochrane sein Kommando aus nicht mehr klar ermittelbaren Gründen aufgab und nach England zurückkehrte – Urquhart weist gelegentlich auf die erwiesene Unfähigkeit der griechischen Seeleute hin –, blieb unser Autor, der es bis zum Fregatten-Leutnant gebracht hatte und während des Angriffs auf Salona/Amphissa im Golf von Korinth schwer verwundet worden war, noch ein Jahr länger im Osmanischen Reich. Er reiste nach Konstantinopel, von wo er dann im Jahr 1829 nach England aufbrach und sich dort die Gunst König Williams IV. zu sichern verstand.

      Das erste Londoner Protokoll vom 22. März 1829 sollte die Lage in Griechenland beruhigen. Die Großmächte hatten vereinbart, dass Leopold von Sachsen-Coburg-Saalfeld die griechische Königskrone angetragen werden sollte, wobei ihn Urquhart als britischer Kommissar in seine neue Heimat begleiten sollte. Die Sache verlief jedoch im Sande, da Leopold, der spätere erste König von Belgien, das Angebot ablehnte. Denn nach dem Text des Protokolls dachte man an eine konstitutionelle Monarchie, wobei die europäischen Großmächte die wirkliche Souveränität über das Gebiet besaßen. Die Verhandlungen gingen weiter, und im Herbst 1831 wurde der Vicomte Stratford Canning zum britischen Sonderbeauftragten an der Hohen Pforte ernannt. Seine Aufgabe war es, strittige Grenzfragen zwischen Griechenland und dem Osmanischen Reich zu klären, die im dritten Londoner Protokoll vom 30. August 1832 Berücksichtigung finden sollten. Urquharts Kenntnisse der Region waren mittlerweile recht gut bekannt, und so verwundert es kaum, dass er von Canning damit beauftragt wurde, die fraglichen Gebiete zu bereisen.

      Der griechische Unabhängigkeitskampf war also bis zu einem gewissen Status quo gelangt und die Staatsgründung stand unmittelbar bevor: Das heutige Nordgriechenland befand sich nicht zuletzt aufgrund der Unzuverlässigkeit der Albaner, die ihrerseits eine politische Eigenständigkeit anstrebten, unter osmanischer Oberherrschaft, während der noch neu zu etablierende griechische Staat das heutige Mittel- und Südgriechenland sowie zahlreiche Inseln umfasste. Urquharts erste Reise nach Konstantinopel führte ihn durch zahlreiche der heftig umkämpften Gebiete, die nun entvölkert und ausgeplündert waren. Eine wirtschaftliche Genesung des Landes schien ihm unmöglich zu sein, was alles in allem zu einer tiefgreifenden Revision seiner persönlichen Ansichten führte.

      Bereits als Jugendlicher hatte er, der selbst vom Land stammte, massiv unter dem Wechsel der äußeren Bedingungen gelitten, denn ohne Personal und ausreichende Geldmittel konnte das elterliche Gut nicht mehr bewirtschaftet werden. Jetzt erlebte er wiederum, dass eine grundlegende Änderung der äußeren Umstände zum Schlechten führte, denn so beurteilte er nunmehr den griechischen Aufstand, der in seinen Augen einzig Vertreibungen, Raub, Tod und den wirtschaftlichen Niedergang ganzer Landschaften zur Folge hatte. Im hier vorgelegten Band deutet er jedoch an, dass er den Orient nach seiner ersten Reise noch mit einem tiefen Widerwillen gegen all das verließ, was er erlebt und gesehen hatte. Allerdings habe er zum damaligen Zeitpunkt das türkische Wesen noch nicht genügend begriffen, um zu einer angemessenen Bewertung des Gesehenen kommen zu können.

      In den Jahren 1830 und 1831 hielt er sich noch zwei Mal in den umkämpften Gebieten auf, für die die europäische Diplomatie noch immer nach einer geeigneten Lösung suchte. Diese zweite und dritte Reise, über die er in dem hier vorgelegten sowie in dem ersten Band Reisen unter Osmanen und Griechen. Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit berichtet, finden nun in jener Übergangsphase zwischen dem Ende der großem Kämpfe und der offiziellen Gründung des Königreichs Griechenland statt. Hier tritt Urquharts Sinneswandel ganz offen zutage: Das schlechte, abzulehnende Ereignis ist der griechische Aufstand, bei dem es sich nur um ein Ränkespiel der vereinigten europäischen Diplomatie zu Lasten Englands und vor allen Dingen der Türken handeln könne. Die Osmanen hingegen werden als die guten, großherzigen Verwalter eines riesigen Reichs dargestellt, das von Konstantinopel aus unter dem leichten Los des Islam regiert worden sei. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse werden idealisiert, erinnern ihn jedoch an die Tage seiner Kindheit auf dem Land, als sich die Welt noch in guter Ordnung befand. Die Kernaussage dabei ist, dass die Türkei trotz der gravierenden Einschnitte noch immer ein starker, lebenskräftiger Staat sei, an dem sich sogar England ein Vorbild nehmen könne. Als den eigentlichen Feind sowohl der türkischen als auch der britischen Interessen macht Urquhart nun Russland aus, das eine weltpolitische Hegemonie anstrebe und sich insbesondere in Südosteuropa sowie im Kaukasus zu Lasten des Osmanischen Reiches – und damit auch zu Lasten von dessen natürlichem Verbündeten, nämlich England, ausdehnen wolle. Doch darauf soll weiter unten noch einmal genauer eingegangen werden.

      Im Jahr 1833 machte sich Urquhart neuerlich auf den Weg nach Konstantinopel, von wo er nach Tscherkessien an der Ostküste des Schwarzen Meeres reiste. Welche Ziele er dabei verfolgte, ist nicht ganz klar. Einiges spricht jedoch dafür, dass er im offiziellen Auftrag unterwegs war, um die politische Lage zu sondieren und abzuklären, inwieweit Russland zu einer Ausdehnung seiner Interessenssphären bereit wäre und den englischen Interessen ein weiterer Schaden drohe. Urquhart tarnte sich während dieser Reise als Kaufmann und vermied es peinlichst, seine wahre Existenz zu erkennen zu geben. Bald darauf kehrte er nach London zurück. Dort gründete er sein Portfolio, in dem er zwischen dem November 1835 und dem Mai 1837 in 45 Heften die wichtigsten russischen Dokumente und Akten zur sogenannten Orientalischen Frage publizierte, um damit die Alleinschuld Russlands am Niedergang des Osmanischen Reichs und der daraus folgenden internationalen Verwicklungen zu erklären. Auch in der Gründung des modernen Griechenlands müsse man das Ergebnis einer russischen Verschwörung sehen.

      Allerdings blieb er nicht lange in England, und als man 1836 einen Botschaftssekretär für Konstantinopel suchte, der des Türkischen mächtig wäre, nutzte er diese Gelegenheit für eine Rückkehr in den so geliebten Orient und nahm diesen Posten gerne an. Allerdings wandelte sich Urquhart nun selbst zum Türken: Er kleidete und verhielt sich türkisch, gründete einen entsprechenden Hausstand und ließ sich David Bey nennen. Auch dem Vicomte John Ponsonby gegenüber, der die britische Gesandtschaft an der Hohen Pforte von 1832 bis 1841 leitete, verhielt er sich so schlecht, dass dieser sich nur mit weniger Nachdruck für Urquhart einsetzte, als dies notwendig gewesen wäre. Auslöser dafür dürfte unter anderem gewesen sein, dass Ponsonby zu den seinerzeit prominentesten Vertretern der sogenannten Whigs gehörte, also zu den politischen Gegnern Urquharts. Dieser stattete sozusagen als Nachtrag zu seiner Reise zu den Tscherkessen im Herbst 1836 auf eigene Kosten ein Schiff aus, das im Schwarzen Meer Handel treiben, aber auch die russische Blockade der kaukasischen Tscherkessen durchbrechen sollte. England hätte damit den die Waren verteuernden Transithandel durch Russland vermeiden können, denn der Suez-Kanal, der den Seeweg in das indische Kolonialreich so entscheidend verkürzen sollte, wurde ja erst im Jahr 1869 eröffnet. Vieles spricht dafür, dass Urquhart hier nicht ganz aus freien Stücken handelte, sondern dass er mit einer gewissen Rückendeckung aus London rechnen durfte. Oder sollte diese waghalsige Aktion gar einen russisch-englischen Krieg provozieren, bei dem die Türkei als natürlicher Verbündeter Englands hätte auftreten und sich einen neuen, stärkeren Einfluss auf die europäische Politik sichern können? Urquharts Unternehmung scheitert jedoch, da die russische Marine sein Schiff, das den bezeichnenden Namen Füchsin (engl. Vixen) trug, im Schwarzen Meer aufbrachte und festsetzte. Von London erwartete er nun eine Intervention der britischen Regierung, doch diese blieb aus, da der britische Außenminister Lord Palmerston zu diesem Zeitpunkt einem ernsteren Konflikt der beiden Großmächte aus dem Weg gehen wollte. Gleichwohl hatte die Sache für Urquhart persönliche Konsequenzen, denn wegen seines oft flegelhaften Benehmens und seiner offen gezeigten „Türkentümelei“ wurde er 1837 aus Konstantinopel abberufen, um sich dafür vor der britischen Regierung zu rechtfertigen. Auch der Tod seines königlichen Gönners in demselben Jahr, auf den die große