David Urquhart

Im wilden Balkan


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den Vornamen David trug, ist kein Zufall. Sogar Karas treuer Diener Hadschi tritt bereits in der literarischen Vorlage auf.

      Den Text schrieb Urquhart in einem gefälligen, wenn auch nicht ganz einfachen Englisch mit oftmals sehr langen Sätzen, die man in der deutschen Syntax und Grammatik meist nicht übernehmen kann. In der 1838 erschienen Übersetzung wurde diese Satzstruktur jedoch in der Regel nachgeahmt, was den Text an vielen Stellen unverständlich macht und nicht selten sogar zu Sinnentstellungen führt. Diese Mängel wurden in der vorliegenden Ausgabe weitestgehend behoben. Darüber hinaus wurde die bisweilen sehr schwerfällige Sprache des 19. Jahrhunderts an den modernen Sprachgebrauch angepasst. Dies gilt umso mehr für Worte und Formulierungen, die man heute nicht mehr ohne weiteres versteht. Dennoch sollte ganz bewusst keine Übertragung in ein modernes Deutsch erfolgen, weil dies dem zugrunde liegenden, für uns heute oft komplizierten Englisch keinesfalls entsprochen hätte. Sicherlich hätte man den gesamten Text noch viel weiter glätten können, aber damit hätte man ihn auch aus seiner Entstehungszeit gerissen. Da aber Inhalt und sprachliche Form eine Einheit bilden sollen, rechtfertigt dies eine eher behutsame Umwandlung in ein Deutsch, das einerseits mögliche Missverständnisse vermeidet, das sich andererseits aber auch als Sprache des 19. Jahrhunderts zu erkennen gibt. Solche Texte noch mehr zu schönen und an den jeweils herrschenden Zeitgeschmack anzupassen, wäre mehr als nur unseriös. Zum Zeitpunkt der Entstehung der ersten Übersetzung war man in Sachen der Orthographie ja noch relativ frei, das heißt, es gab noch keine allgemein verbindlichen Rechtschreiberegeln. In dieser Hinsicht wurde der Text jedoch im Wesentlichen an die heutigen Lesegewohnheiten angepasst, auch wenn Inhalt und Sprachgebrauch eine strikte Anwendung der neuen deutschen Rechtschreibung nicht zulassen. Somit bestand bisweilen die Notwendigkeit zu Kompromissen, aber die Bemühungen zielten auf ein insgesamt einheitliches Bild der verwendeten Orthographie ab.

      Weiterhin wurden in den Text einige Bilder zur Illustration eingefügt, die es weder im englischen Original noch in der zeitnahen deutschen Übersetzung gab. Die alten Stiche und Aufnahmen wurden indes nicht zufällig gewählt. Vielmehr stehen sie in einem direkten Zusammenhang mit Personen, Orten und Gegenständen, die im Text erwähnt werden und können daher als eine anschauliche Hilfe zu einem leichteren Verständnis dienen.

      Zuletzt finden sich unter dem Text eine ganze Reihe von Erläuterungen. Einige davon hatte bereits der Autor selbst eingefügt, und ein paar wenige stammen von dem frühen Übersetzer und wurden auch entsprechend gekennzeichnet. Daraus gehen zu einem großen Teil auch die literarischen Quellen und Vorbilder hervor, die Urquhart nutzte, etwa jene grandiose Geschichte des Osmanischen Reichs, die Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall verfasst hatte. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Namen, Sachen und Begriffen, die zur Zeit der Entstehung des Textes womöglich noch in aller Munde waren, die einem modernen Leser jedoch nicht mehr allzu viel sagen werden. Solche Erläuterungen hat nun der Herausgeber des Bandes hinzugefügt, der abschließend den Lektoren sowie den Verlegern seinen herzlichen Dank für die erhaltene Hilfe und Unterstützung ausdrucken möchte.

       Erster Teil der Reise:

      Reisen unter Osmanen und Griechen. Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit. Wiesbaden 2008 (Edition Erdmann).

       Weiterführende Literatur:

      Helmuth VON MOLTKE, Unter dem Halbmond. Erlebnisse in der alten Türkei (1835–1839). Hrg. von H. ARNDT. Wiesbaden 2008 (Edition Erdmann).

      K. KREISER u. Christoph K. NEUMANN (Hrg.), Eine kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart 2003.

      D. BREWER, The Flame of Freedom. The Greek war of Independence 1821–1833. London 2001.

      P. BARTL, Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995 Th. C. PROUSIS, Russian Society and Greek Revolution. DeKalb, Ill. 1994.

      G. Robinson, David Urquhart. Some Chapters in the Life of the Victorian Knight-errant of Justice and Liberty. Boston 1920 (Neudruck Oxford 1970).

      1 Die Erlebnisse dieses Teils der Reise sind in dem Band D. Urquhart, Reisen unter Griechen und Osmanen. Vom Peloponnes bis zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit. Wiesbaden 2008 (Edition Erdmann) erschienen.

      ERSTES KAPITEL

      RITT IN DAS TAL TEMPE – ANKUNFT IN AMBELÁKIA

      Als unser Mittagsschlummer vorbei und die Sonne schon aus unserem hohen Gesichtskreis verschwunden war, stiegen wir auf die Pferde und ritten nach Rapsána1. Wir ritten am Rand des Sees entlang, wendeten uns dann links über einen niedrigen Hügel und hinab in eine tiefe Schlucht oder „Lak“2, die in das Meer auslief. Wir konnten es zwar nicht sehen, aber ein nach Meer duftender Wind blies zwischen den Hügeln hindurch. Hier trafen wir auf eine Gesellschaft von Dorfbewohnern, die eben einen wilden Eber erlegt hatten. Mit viel Mühe machten wir uns von ihnen los, denn sie drangen darauf, wir sollten die Nacht in ihrem Dorf verbringen, und priesen den Speisezettel, auf dem der uns erwartende Schmaus stand: Zuerst kam der Eber, der mit seinen Rubinfarben ganz beredt zu unsern Sinnen sprach und, im vollen Redeschwung, auch durch seine schönen, gerundeten Formen; dann kamen die Zicklein, noch ganz zart und gerade erst vom Olymp zurückgekehrt3; Wildbret von einem schönen, erst vor einer Stunde geschossenen Wild, Sumpfvögel, Fasane, goldfarbene Wasserhühner, wilde Enten aus Nizeros1, und alles, was die Hürde, der Hühnerhof und die Milchkammer bieten konnte, ohne Zahl und Maß. Wir flohen indes die so furchtbaren Zurüstungen, und gerade als wir den steilen Hügel an der anderen Seite der Schlucht hinaufritten, sahen wir über dem Kessoba (Ossa) den Rand des Mondes hervortreten, der im tiefen und düsteren Schatten den fürchterlichen Spalt zeigte, welcher den Ossa vom Olymp trennt, wo in alten Zeiten die Musen thronten und durch den der Peneios fließt.

      Wir wendeten uns nach links, ritten am Fuß eines Höhenzuges hinunter, an dem entlang das Tempe-Tal2 verläuft, und sahen nun endlich von Thessalien aus die See und das Delta des Peneios. Silbern glänzte das Wasser im Mond, der hin und wieder durch die Bäume schien. Wieder gegen das dichterische Tal gewendet, kamen wir nach Rapsána, einem Trümmerhaufen, wo wir aber ein höchst bequemes Unterkommen fanden und uns ein Abendessen vorgesetzt wurde, das sich vor dem Küchenzettel der Bauern unterwegs nicht zu schämen brauchte. Die Nacht war weit vorgerückt, und ich musste am nächsten Morgen in aller Frühe nach Ambelákia3 aufbrechen. So kam also die immer schwere Stunde des Abschiednehmens heran. Kapitano Dimo erklärte, der Tag meiner Ankunft sollte als ein Festtag in Karia gefeiert werden, und ich wäre vor der Abreise gar nicht zu Bett gekommen, hätte ich nicht versprochen, den Olymp wieder zu besuchen und einige Monate dort zuzubringen. „Dann“, sagte er, „wollen wir ausgehen und Hirsche und Eber, Wölfe und Füchse jagen, Fasane, Rebhühner und all das Geflügel schießen, das auf dem Nizeros haust. Ab und an wollen wir die Leute besuchen, die drunten in den Ebenen leben, und wollen Fische schießen im Salembria1; dann mögt Ihr gehen, sooft Ihr Lust habt, nach dem Gipfel des Olymp und das ganze Land durchstreifen nach alten Steinen. Aber denkt daran und vergesst mir nicht die Kartoffeln.“

      Voll Ungeduld, zu dem Tempe-Tal zu kommen, verließ ich Rapsána bei Tagesanbruch. Bald darauf kletterte ich über den Kamm eines Felsens, und da trat mir plötzlich das Gemälde vor die Augen, dessen Umrisse wiederzugeben ich versuchen will. Gerade vor mir türmte sich die Felsmasse des Ossa empor. Drunten lag das enge Tempe-Tal, der grünliche Strom schlängelte sich durch die Bäume und bildete Inselchen in seinem Bett. Rechts öffnete sich das Tal und bildete eine dreiseitige Ebene. Die Seite des Ossa zur Linken und des Olymp zur Rechten hemmten die Aussicht, bis sie in der Ferne auf den Fuß eines Hügels traf, der in der Ebene vor dem Eingang nach Tempe lag. Dieser Hügel bildet die Grundlinie der anscheinend dreiseitigen Ebene. Dann eröffnen sich wieder in der Ferne jenseits des Hügels und der Außenlinie des Ossa an der einen, der des Olymp an der anderen Seite, zwei Ebenen, die wiederum Dreiecken gleichen, die dem Betrachter ihre Spitzen zuwenden. In der Ebene links, und fast dicht bei dem Ossa, kann man Larissa mit seiner lachenden Oase entdecken, in der zur Rechten Túrnovo1 mit dem weißen Bett des Titaressos, und jenseits derselben berühren die undeutlichen Bergketten des Pindos