Helga Torsten

Fürstenkinder Staffel 1 – Adelsroman


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kletterte herunter und kramte ein dickes Tau heraus, das er an dem streikenden Ottokar befestigte.

      »So, und nun schieben Sie ihn mal schön an den Straßenrand heran, damit ich gut vorbeikomme, ja?« kommandierte er. Man gehorchte ihm lachend und machte seine Späße.

      »Das fängt ja lustig an«, meinte Sybill und half ebenfalls mit. »Paß auf, Jürgen, der Fürst kauft dir deinen Ottokar noch fürs Schloßmuseum ab!«

      »Wenn er mir so viel dafür gibt, daß ich mir einen tollen Jaguar kaufen kann, soll er ihn meinetwegen haben«, grinste der baumlange Kommilitone vergnügt und schob aus Leibeskräften seinen Ottokar mit den andern weiter.

      »Für einen Jaguar willst du ihn hergeben?« lästerten die andern. »Das ist doch nicht dein Ernst? Dieses gute Stück?« Alles lachte, auch der Treckerfahrer. Als sie schließlich auf Trittbrettern, Lehnen und Kühler ihres Autoveteranen hinter dem riesigen Trecker in den Schloßhof rollten, eilte das ganze Gesinde herbei und bestaunte sie.

      »Na, also, da wären wir«, sagte Jürgen Bentloh und sprang als erster herunter. »Das ist also die gute Landluft.« Er rümpfte die Nase und sah sich vorsichtig um. »Hier scheint man haufenweise Schweine zu züchten. Es duftet jedenfalls sehr danach.«

      Sybille von Gereneck war ein paar Schritte abseits gegangen und sah aus großen, glänzenden Augen um sich. Ihr Blick glitt von den Verwaltungsgebäuden hinter dem Schloß zu den riesigen Stallungen hinüber, und als ein fröhliches Wiehern ihr Ohr erreichte, seufzte sie glücklich auf. Pferde!

      Den großen Ställen nach zu urteilen, sogar viele Pferde! Lieber Himmel, vielleicht würde sich irgendwann Gelegenheit zum Reiten bieten. Ihre dunklen Augen leuchteten sehnsuchtsvoll auf. Sie hatte vollkommen vergessen, daß sie nicht allein und nicht als Besucherin hierher aufs Schloß gekommen war, sondern zum Arbeiten. Erst als Claudia ihr vorsichtig auf die Schulter klopfte, besann sie sich wieder.

      »Komm, Sybill, man will uns unsere Unterkünfte zeigen.«

      Der Mann, der sie hergefahren hatte, ging quer über den riesigen Hof zum Schloßgebäude hinüber. Die Studenten folgten ihm.

      »Himmel, ein richtiges Schloß«, staunte Claudia. »Das hätte ich mir nicht träumen lassen, daß ich mal in einem richtigen Schloß wohnen würde!«

      »Nun, du würdest als Schloß­fräu­lein ganz sicher entzückend sein«, scherzte Jürgen Bentloh und lachte vergnügt.

      »Ich denke, Sybill würde besser in die Rolle passen. Heh, Sybill! Träumst du?«

      Claudia kicherte. »Jürgen will dich zum Schloßfräulein machen, und du träumst. Was meinst du, hättest du Lust, immer in diesen dicken Mauern zu leben?«

      Sie klopfte gegen die grauen Steinquader und schüttelte sich.

      »Im Winter ist es hier ganz gewiß schrecklich kalt. Nein, so ein alter Kasten, das wäre nichts für mich.«

      »Ach, das möchte ich nicht sagen. Da drin kann es sicher ganz schön gemütlich sein«, sagte Sybill langsam. »Heute sind auch solche Schlösser schon mit modernstem Wohnkomfort eingerichtet. Und dann – wie gemütlich kann es an einem Kaminfeuer sein.«

      »Seht, seht! Unsere Sybill bekommt ganz sehnsuchtsvolle Augen«, lachte Jürgen Bentloh. »Was meint ihr, wollen wir sie an den Gutsherrn verschachern? Sie würde eine ausgezeichnete Schloßherrin abgeben.«

      »Ach Jürgen, laß doch den Unsinn!«

      Sybill wurde ärgerlich. »Wenn das jemand vom Schloß hört!«

      »Vielleicht der Schloßherr selbst«, ulkte Claudia.

      »Na, da brauchst du nicht bange zu sein«, lachte Jürgen Bentloh. »Der Herr Fürst werden sich wohl kaum sehen lassen. Für unsere Abfertigung ist das Personal zuständig.«

      *

      Die Mamsell hatte die Studenten in ihre Unterkunft eingewiesen. Die Zimmer, die behaglich und nett waren, lagen nebeneinander an einem langen Gang und waren durch Verbindungstüren voneinander getrennt. Aber es gab keine Schlüssel.

      »Schade«, lachte Jürgen Bentloh, der das Zimmer neben Claudia hatte. »Nun wollte ich gerade um Mitternacht ein bißchen gespenstern kommen, und nun ist diese dumme Verbindungstür abgeschlossen.«

      »Na, na!« lachte einer der Kommilitonen und warf Jürgen einen anzüglichen Blick zu.

      Claudia errötete und ging in ihr Zimmer. Die andern lachten. Daß sie ein bißchen in Jürgen Bentloh verliebt war, wußten sie alle. Aber mehr als ein harmloser Flirt war es nicht.

      »Wenn die Herrschaften umgekleidet sind, bitte ich zum Essen«, ließ die Mamsell vernehmen. Sie hatte die Badezimmer noch einmal inspiziert und festgestellt, daß alles in Ordnung war.

      »Oh, herrlich! Ich verspüre einen Riesenappetit!«

      Jürgen Bentloh stürzte in sein Zimmer, um seine Garderobe ausnahmsweise mit einer Krawatte zu vervollständigen.

      Man konnte nie wissen. Vielleicht stellte man sie dem Fürsten doch vor.

      Aber Fürst Degencamp sei verreist, teilte die Mamsell den Studenten in dem kleinen Rokokosaal mit, in dem sie aßen. »Er hätte Sie sonst sicher selbst begrüßt«, fügte sie hinzu.

      Claudia war ein bißchen enttäuscht. Sie hätte für ihr Leben gern einen richtigen Fürsten kennengelernt. Sybill atmete auf. Irgendwie war es ihr lieber so.

      Am nächsten Morgen teilte man sie zur Arbeit ein.

      Es war herrliches Wetter. Die Sonne strahlte von einem fast wolkenlosen blauen Himmel, und die Luft war warm und trocken. Es war noch kein bißchen herbstlich.

      Sybills Wangen glühten. Ihre großen Augen leuchteten vor Glück. Sie fühlte sich wohl, wie schon lange nicht mehr. Die Luft hier draußen auf dem Lande bekam ihr gut. Sie rief Jürgen Bentloh, der neben ihr arbeitete, ein Scherzwort zu. Er wollte gerade antworten, als jemand ihn beiseite schob und sich neben ihn und Sybill drängte.

      »Heh, was soll das denn?« rief Jürgen Bentloh verärgert. Dann erkannte er Claus Schröter, der vom schnellen Laufen noch ganz außer Atem war.

      »Ich habe es nicht eher geschafft. Ich bin sofort gekommen, als ich deinen Brief bekam«, sagte er zu Sybill, die ihn verdutzt ansah. »Aber ihr wart schon alle weg. Da habe ich mich beeilt, hierherzukommen. Und da bin ich nun.«

      »Fein, daß du da bist, Claus«, fing Sybill sich schnell wieder. »Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, daß du es wirklich ernst meinst. Du zeltest doch so gern. Waren dir deine Freunde nicht böse, weil du sie im Stich gelassen hast?«

      »Ich glaube nicht«, sagte er zerstreut und warf Jürgen Bentloh einen nicht gerade freundlichen Blick zu. »Jetzt arbeite ich neben Sybill weiter«, knurrte er ihn an. »Das ist dir doch hoffentlich klar?«

      Der Kommilitone lachte. »Aber natürlich, mein Lieber. Hast ja schließlich ältere Rechte, nicht wahr?«

      »Wie meinst du das?«

      Sybill mischte sich ein. »Was ist da los? Was habt ihr euch da zuzuzischen? Wenn du schon einmal hier bist, Claus, mußt du auch mitarbeiten. Also los!« kommandierte sie.

      Sybill war eigentlich nicht so sehr begeistert davon, daß Claus tatsächlich gekommen war. Sie wußte, daß sie nun keine einzige Minute mehr allein sein würde. Claus würde ihr nicht mehr von der Seite weichen. Fast bereute sie es, ihn benachrichtigt zu haben.

      Der nächste Tag war ein Sonntag. Der Vorarbeiter, der sie zur Arbeit einteilte, sagte ihnen, daß heute nur den halben Tag gearbeitet würde. Das wurde mit großem Hallo begrüßt. Man beratschlagte, wie man den Nachmittag am besten verbringen könnte, und es wurde beschlossen, einen Ausflug ins Dorf zu machen.

      Als es soweit war, entschuldigte sich Sybill bei den anderen mit Kopfweh.

      »Ich werde mich ein bißchen hinlegen. Vielleicht wird’s dann besser. Ich komme nach«, versprach sie.