Dr. Behnisch, aber das »bitte«, kam ihm schwer über die Lippen. Es blieb Kienbaum nichts anderes übrig. Die Schwester kam, ein Tropf wurde angehängt. Berthold Marl war einem Herzinfarkt nahe gewesen, wie Dr. Behnisch feststellen konnte. »Vorerst keine Besuche, auch von der Familie nicht«, ordnete er an.
Und wieder wartete Annemarie Marl vergeblich auf einen Anruf ihres Mannes, obgleich ihr Annelore doch gesagt hatte, dass er sich bestimmt an diesem Vormittag anrufen würde.
Mit Bobby hatte sie gesprochen. Er war auch nicht gerade redselig gewesen und sie hatte das Gefühl gehabt, dass er all ihre Fragen ausweichend beantwortete. Annemarie hatte immer an allen Sorgen teilgenommen, die ihren Mann und ihre Kinder bewegten. Sie hatte ein feines Gespür dafür, wenn etwas nicht stimmte, und da es mit ihr schon aufwärtsging, war dieses Gespür wieder ganz intensiv.
Sie war unruhig. Sie läutete sogar nach der Schwester, was sie sonst nur notfalls tat, und Schwester Martha kam.
»Würden Sie bitte mal bei uns anrufen, Schwester Martha. Ich kann nicht selbst wählen. Ich bin so unruhig und besorgt, weil mein Mann gar nicht anruft. Ist er vielleicht doch kränker, als die Kinder mir sagen wollen?«
Schwester Martha befand sich in einem Gewissenskonflikt, aber sie hatte eine Sternstunde.
»Ihr Mann wollte Sie besuchen, aber Dr. Behnisch erlaubt es nicht, er untersucht ihn gerade, Frau Marl. Es ist gefährlich mit so einer Grippe.«
»Aber doch nicht für meinen Mann«, fragte Annemarie ängstlich.
»I wo, der wird schon wieder gesund. Haben Sie nur ein bisschen Geduld. Der Chef sagt Ihnen dann schon Bescheid.«
Schwester Martha erntete für ihre Geistesgegenwart dann noch ein dickes Lob von Dr. Behnisch, und da konnte sie strahlen. Es war ja nicht so, dass sie sich nur an strenge Vorschriften hielt. Sie dachte auch an das Wohl und Wehe der Patienten. Und wenn man dafür ein bisschen schwindelte, war es keine Sünde.
Zum Glück erwies sich Berthold Marls Kreislaufschwäche als nicht gravierend.
Das Herz musste noch beobachtet werden, aber auch das konnte jetzt Dr. Behnisch über so manche Klippe hinweghelfen, denn er hielt es für angebracht, Frau Marl zu sagen, dass ihr Mann auch einige Tage in der Klinik bleiben müsse. Sehr behutsam brachte er es ihr bei, und sie nahm es dann auch verhältnismäßig ruhig auf.
»Ich habe geahnt, dass er sich aufregt«, sagte sie. »Er ist ja so daran gewöhnt, dass ich mich um das Haus, die Kinder und alles, was so daherkommt, kümmere. Und er ist zu weich für diese grausame Zeit, Herr Doktor. Oft hab’ ich mir das schon gedacht. Er ist nicht so profitgierig wie andere, und er denkt auch nie was Schlechtes, wenn einer ihn aufs Kreuz legen will. Da hat Bobby sogar schon mehr Durchblick. Die jungen Leute wissen besser, wie der Hase läuft. Den Letzten beißen immer die Hunde, das haben wir erfahren. Kümmern Sie sich bitte um meinen Berti, mir geht es jetzt schon wieder besser. Ich brauch’ ihn und er braucht mich auch. Er hat so viele Sorgen, aber es sind ja auch meine. Wenn wir zusammenhalten, stehen wir auch das durch, was nicht aufzuhalten ist.«
»Und was meinen Sie damit, Frau Marl?«, fragte Dr. Behnisch.
»Dass wir das Sägewerk abschreiben müssen. Es hat sich ja viel verändert, aber so viel wird uns schon bleiben, dass wir leben können.«
Eine tapfere Frau, dachte Dr. Behnisch. Und Annelore hatte indessen schon diese Gewissheit.
Sie hatte mit dem Bankdirektor gesprochen. Sie hatte ihm die Vollmacht von ihrer Mutter gebracht.
»Sie wissen, wie sehr wir in Bedrängnis sind«, hatte sie gesagt. »Vielleicht sind die Aktien doch ein bisschen was wert.«
»Ein bisschen?«, fragte er. »Ich habe mich immer gewundert, dass sich Ihre Mutter so wenig dafür interessiert hat, aber sie wollte ja den Gewinn nur für Sie und Ihre Geschwister gutschreiben lassen. Es ist ein erkleckliches Sümmchen zusammengekommen.«
»Wie viel?«, fragte Annelore.
»Fast eine halbe Million.«
»Und wir könnten darüber verfügen?«
»Wir könnten morgen verkaufen, aber übermorgen könnte es noch ein paar Tausender mehr bringen.«
»Nicht auch weniger?«, fragte sie.
»Das glaube ich nicht. Es sind sehr sichere Aktien. Sie sollten bedenken, dass sich der Wert verfünffacht hat.«
»Gibt es das? Ich habe mich damit noch nie befasst.«
»Dann sollten Sie es tun, Fräulein Marl. Aber das Sägewerk ist doch mit einer Million versichert.«
»Es fragt sich nur, wann die Versicherung zahlen wird.« Sie sah ihn offen an. »Und wir haben viele Schulden, das wissen Sie. Papa hatte hier keinen Kredit mehr.«
»Er hätte ihn sofort bekommen, wenn er auf die Aktien zurückgegriffen hätte. Aber das wollte er nicht. In mancher Beziehung ließ er leider nicht mit sich reden, Fräulein Marl. Er scheint keine besonders guten Ratgeber gehabt zu haben. Darf ich Ihnen einen Rat geben?«
»Wenn es ein guter Rat ist?«
Annelore sah ihn erwartungsvoll an.
»Wenn er an einen Verkauf denkt, soll er sich mit uns beraten.«
»Und wenn wir doch wieder aufbauen wollen, was meinen Sie dazu?«
»Man wird Ihnen sehr viele Steine in den Weg werfen. Das ist aber eine rein persönliche Ansicht. Es würde mir leid tun. Ihr Vater hat nicht die Nerven, sich gegen alle Widerstände zu behaupten.«
Er hätte es auch deutlicher sagen können und noch einiges dazu, aber er durfte es nicht, und so konnte er nur ganz diplomatisch raten und auch warnen.
Annelore spürte es, und sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln.
»Ich werde mit Papa sprechen, wenn es ihm besser geht«, sagte sie leise. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns bei der Abwicklung der Verbindlichkeiten behilflich sein würden.«
»Sprechen Sie es mit Ihrem Bruder durch. Er ist ein sehr tüchtiger junger Mann. Und sagen Sie es Ihrem Vater ganz eindringlich, dass er keine übereilten Entscheidungen treffen soll, Fräulein Marl.«
Bankdirektor Weber war nicht älter als Fritz Kienbaum, und er fand Annelore reizend. Er aber war glücklich verheiratet. Allerdings wusste er, wie sehr sich Kienbaum für Annelore interessierte, und das gefiel ihm noch weniger, als so manche Machenschaften dieses Bankkunden. Doch seine persönliche Einstellung durfte keine Rolle spielen. Er war der Bank verpflichtet.
*
Dr. Rambolt hatte eine sehr lange Unterredung mit Jörg Cremer. Zuerst hatte er den Jüngeren in größte Verlegenheit gestürzt, als er ihn fragte, ob er wisse, dass Kienbaum Annelore heiraten wolle.
»Da sei Gott vor«, entfuhr es Jörg. »Nein, das wird ihm nicht gelingen.«
»Ich muss mich auf Ihre Diskretion verlassen, Herr Cremer, wenn ich Ihnen jetzt meine Pläne erkläre.«
»Mein Ehrenwort, Herr Dr. Rambolt«, erwiderte Jörg mit ernstem Nachdruck.
Dann kam er aber aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Aber Annelore weiß doch, dass ich kein Geld habe, jedenfalls nicht so viel«, sagte er.
»So kann man Kienbaum mit seinen eigenen Waffen schlagen. Sie überbieten ihn, das Geld gebe ich. Ich bin überzeugt, dass er Marl unter Druck setzen wird, und dass der tatsächlich nur den einen Ausweg sieht, seine Tochter zur Heirat mit Kienbaum zu bewegen.«
»Er kann Annelore doch nicht verschachern!«
»So wird er es nicht sehen. Kienbaum ist eine glänzende Partie. Manche Eltern haben nichts anderes im Sinn, als ihren Töchtern materielle Sicherheit zu verschaffen. Aber wir wollen dies jetzt nicht aufbauschen. Ich bin sicher, dass es Kienbaum vor allem darum geht, so billig wie möglich an dieses wertvolle Grundstück zu kommen und die hübsche Tochter eine angenehme Beigabe ist. Meine Meinung über ihn möchte ich nicht kundtun,