Achtung und Zuneigung. Das genügt mir auch. In meiner Lage darf ich nicht zu anspruchsvoll sein, außerdem liebe ich Jochen noch immer, auch wenn er tot ist.«
»Aber das genügt doch nicht für eine Ehe.«
»Mir reicht es.« Sabine starrte trotzig vor sich hin. »Außerdem ist er mir sympathisch, und er würde sicher gut für uns alle sorgen.«
»Der Mann will dich nur heiraten, damit er Agnes zu sich nehmen kann. Ich habe ihm nämlich gesag, daß er das Kind unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht bekommt. Er kann nämlich nicht beweisen, daß er wirklich der leibliche Vater ist. Bestimmt will er auf diese Weise nur versuchen, Agnes als Pflegekind zu bekommen.«
»Auch das stört mich nicht. Ich habe Agnes ebenfalls ins Herz geschlossen und bin auch bereit, unter diesen Umständen... ich meine...«
»Ich weiß, was du meinst, Sabine.« Denise kam sich fast gemein vor, weil sie solche Sachen sagen mußte, die ihr innerlich widerstrebten. Aber sie sah keine andere Möglichkeit, Sabine vor einem großen Fehler zu bewahren. »Und, was glaubst du, wäre, wenn dieser Herr Brecht nun die Gewißheit hätte, daß Agnes seine leibliche Tochter ist? Meinst du, dann wollte er dich auch noch heiraten?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht«, antwortete sie dann. »Aber er weiß es nicht und wird es auch nie erfahren. Und wenn er ein intaktes Familienleben aufweisen kann, dann darf er Agnes doch zumindest in Pflege nehmen, oder nicht?«
»Sicher, das glaube ich schon. Aber, und jetzt muß ich dir vielleicht sehr weh tun, es gibt einen Beweis, ob er nun der Vater ist oder nicht. Gisela Müller, mit der dein Manfred damals befreundet war, hat einen Brief für ihre Tochter hinterlassen. Und obwohl mir die ganze Geschichte nicht gefällt, sehe ich doch keine andere Möglichkeit, hinter die Wahrheit zu kommen, als diesen Brief zu öffnen. Aus diesem Grunde bin ich auch jetzt noch einmal hierher gekommen.«
»Dann wird sich bestimmt herausstellen, daß er der Vater ist. Ich spüre es.« Sabines Stimme klang müde und hoffnungslos.
»Soll ich es nicht tun?« fragte Denise voller Mitleid. In diesem Augenblick hatte die ältere Frau erkannt, daß sich Sabine in den Fremden verliebt hatte, es sich selbst aber noch gar nicht eingestand.
»Nein, das wäre nicht gut. Agnes hat ein Recht auf ihren Vater, und Manfred muß wissen, ob Agnes sein Kind ist. Auf mich brauchen Sie da keine Rücksicht zu nehmen, auch wenn er mich dann nicht mehr heiraten wird. Vielleicht wäre es wirklich ein Fehler gewesen.«
Denise holte aus der Akte den Brief und öffnete ihn vorsichtig. Zwei eng beschriebene Seiten kamen zum Vorschein, die Denise mit gemischten Gefühlen überflog.
Endlich hatte sie die Stelle gefunden, die sie gesucht hatte. Es stimmte wirklich, Manfred Brecht war der Vater der kleinen Agnes.
»Das Schicksal geht wirklich seltsame Wege«, murmelte die Verwalterin und faltete den Brief wieder zusammen. Dann steckte sie ihn vorsichtig in den Umschlag.
»Ich werde es Herrn Brecht morgen sagen müssen.«
»Bitte, Frau von Schoenecker, darf ich das tun? Das bin ich ihm und auch mir schuldig. Er soll nicht das Gefühl haben, daß er trotzdem noch zu seinem Wort stehen muß.« Nur mit Mühe konnte Sabine die Tränen zurückhalten, die ihr in die Augen stiegen.
*
Der nächste Morgen verkündete einen Märztag wie aus dem Bilderbuch. Schon zeitig in der Früh lachte die Sonne vom blauem Himmel herunter, und die ersten Stare, die ihren Weg aus dem Süden hierher gefunden hatten, zeterten und schimpften in den noch kahlen Ästen der Bäume.
Volker und Marga Eckstein waren schon sehr früh in Sophienlust, um ihren Sohn Peter abzuholen. Auch die kleine, getigerte Katze durfte mit in das neue Haus, denn Henrik hatte sie großzügig seinem Freund überlassen, obwohl ihm auch, wie er etwas wehmütig festgestellt hatte, die Hälfte davon gehörte. Schließlich hatte er sich bei der Rettungsaktion ebenfalls nasse Füße geholt.
Denise von Schoenecker, Schwester Regine und Frau Rennert, die Heimleiterin, hatten sich bereits in Positur gestellt, als Peter die letzte Tasche in den Kofferraum gestellt hatte. Als dann der Wagen langsam die Auffahrt hinabfuhr, winkten sie so lange, bis die Rücklichter nicht mehr zu sehen waren.
»Ich bin wirklich froh, daß es für Peter so gut ausgegangen ist. Ich glaube, er wäre hier nie richtig heimisch geworden.«
»Sie haben sicher recht, Frau Rennert«, stimmte Denise zu. »Der Peter ist ein ziemlich sensibles Kind, das einen bleibenden Schaden davongetragen hätte, wenn sich die Eltern nicht mehr versöhnt hätten.«
Auch Schwester Regine schloß sich dieser Meinung an, und dann gingen die drei Frauen zurück ins Haus.
Wenn nur die Sache mit diesem Herrn Brecht, der ihr sogar sympathisch war, und der armen Sabine schon ausgestanden wäre, schoß es Denise von Schoenecker durch den Kopf.
In diesem Augenblick hörte sie draußen Stimmen. Eilig lief sie die Treppe hinauf in ihr Arbeitszimmer. Etwas überraschte Blicke von Schwester Regine und Frau Rennert folgten ihr.
Denise hatte richtig vermutet. Manfred Brecht war bereits hier, und Sabine hatte ihn abgepaßt. Sie standen sich vor der Freitreppe gegenüber und unterhielten sich.
Arme Sabine! Es war eine schwere Mission, die sie nun erfüllen mußte.
»Kommen Sie, Sabine, gehen wir ein kleines Stück«, schlug Manfred vor und hakte sich bei dem Mädchen unter. Er war sich sicher, daß sie sein Angebot nicht ausschlagen würde.
»Haben Sie es sich überlegt?«
Sabine nickte. »Ja, ich habe lange darüber nachgedacht, Manfred, und ich danke Ihnen auch für Ihr Angebot. Bitte denken Sie nicht, daß ich Sie nicht mag, aber meine Antwort ist nein.«
»Sabine!« Abrupt blieb Manfred stehen. »Das ist doch nicht Ihr letztes Wort.«
»Doch, Manfred. Glauben Sie mir, ich habe mir die Entscheidung nicht leichtgemacht. Aber ich muß Ihnen jetzt etwas gestehen, und danach werden Sie mir recht geben, daß mein Entschluß doch richtig war. Agnes ist Ihre Tochter, und niemand kann Sie daran hindern, das Kind zu sich zu nehmen.«
»Und woher wissen Sie das?« fragte der Mann verblüfft. »Ich habe doch gestern mit Frau von Schoenecker gesprochen, und sie hat mir etwas ganz anderes erzählt.«
»Das ist inzwischen hinfällig. Frau von Schoenecker ist gestern abend noch eingefallen, daß Gisela Müller einen Brief an ihr Kind hinterlassen hat, der erst an Anges’ achtzehnten Geburtstag geöffnet werden sollte. Da aber Sie plötzlich auftauchten und sich als leiblicher Vater ausgaben, blieb Frau von Schoenecker gar nichts anderes übrig, als den Brief zu öffnen. Und da stand es drin.«
Sabine holte tief Luft, aber die Klammer um ihre Brust lockerte sich kein bißchen.
»Das kann doch nicht möglich sein. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß, daß Agnes mein Kind ist. Oh, Sabine, Sie können sich nicht vorstellen, was das für mich bedeutet, ein Kind zu haben. Mein Leben war so leer und sinnlos, und eine Frau zum Heiraten habe ich nicht gefunden. Trotzdem habe ich jetzt ein Kind von Gisela. Sie war die einzige, die ich vielleicht geheiratet hätte. Aber sie verschwand ganz spurlos, und ich weiß bis heute nicht warum.«
Sabine war fast am Ende ihrer Kraft. Als sie die Freude in Manfreds Gesicht sah, wußte sie, daß er sie, Sabine, vergessen hatte. Sie war wieder allein.
Trotzdem bemühte sie sich, ihn nicht merken zu lassen, wie es in ihr aussah. Aber es fiel ihr unendlich schwer.
»Wann werden Sie Agnes abholen?« fragte sie leise, und ihre Stimme vibrierte.
Manfred merkte es im Überschwang seiner Gefühle gar nicht. »Ich weiß es noch nicht. Am liebsten würde ich sie jetzt gleich mitnehmen, aber das wäre sicher nicht gut für das Kind. Zuerst sollte sie sich ein bißchen an mich und an den Gedanken, daß ich ihr Vater bin, gewöhnen, sonst könnte es ihr womöglich eher schaden.«
Bei der Vorstellung, daß sie Manfred