Klaus Mann

Der Vulkan


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Schwind, Spitzweg, Leibl, Hans Thoma –, die den Schmuck ihrer repräsentativen Wohnung in der Tiergarten-Straße ausgemacht hatten. Das geringe Kapital brauchte sie noch nicht anzugreifen. Von den Zinsen und dem Erlös der Verkäufe konnte sie ihre bescheiden gewordene Existenz, samt standesgemäßer Erziehung der Töchter, bestreiten.

      Es bedeutete entschieden eine Enttäuschung für die Mama, daß ihre Älteste, Marion, zum Theater wollte. Indessen war Marie-Luise zu intelligent, um Einspruch zu erheben. ‚Wenn sie als Schauspielerin keine Karriere macht, wird sie heiraten’, dachte sie und genehmigte Marion ein paar hundert Mark extra, damit sie mit einem anständigen Garderobe-Bestand ins erste Provinz-Engagement reisen könne. Tilly ihrerseits erklärte, am Tage ihres siebzehnten Wiegenfestes, nicht ohne Feierlichkeit, daß sie sich zur Malerei berufen fühle. Die Mama schlug vor, ob sie es nicht zunächst mit der Herstellung von stilisierten Lampenschirmen und netten Glastieren versuchen wolle; dergleichen hatte mehr praktische Aussichten als Ölgemälde oder Kupferstiche. Tilly ging zur Kunstgewerbeschule. Frau von Kammer hoffte, daß wenigstens bei der kleinen Susanne jener Drang nach künstlerischer Aktivität, der bei den Älteren so heftig schien, ausbleiben werde. Freilich: sogar junge Damen aus erstklassigen und selbst noch wohlhabenden Häusern zeigten heutzutage eine gewisse Neigung, sich „auf eigene Füße zu stellen”. Trotzdem war die geborene von Seydewitz der Meinung, daß arbeitende Mädchen schwerer zu verheiraten seien als faule. Woher hatten Marion und Tilly ihre Talente und ihren unruhigen Ehrgeiz? In der Familie von Seydewitz kam dergleichen nicht vor. Sie mußten es von den Kammers geerbt haben.

      Dabei konnte man nicht eigentlich sagen, daß Marion, äußerlich oder als Charakter, dem Vater glich. Ihr vehementer, aggressiver Charme, ihre begabte Nervosität, ihre Unrast, ihr Eigensinn waren weder in der jüdischen Patrizierfamilie, noch in dem preußischen Aristokratengeschlecht vorher dagewesen. Die hohen und schmalen Beine hatte sie von der Mutter; den gescheiten, manchmal grüblerisch sich verdunkelnden Blick vielleicht vom Papa. Aber es blieb, an diesem kompliziert zusammengesetzten und fast beunruhigend reizbegnadeten biologischen Phänomen, genannt „Marion”, ein großer Rest von durchaus fremdartigen Qualitäten; eine Fülle von Zügen, die der Mutter erstaunlich, unverständlich und beinah erschreckend schienen.

      Tilly erinnerte auf eine klarere, eindeutigere Art an den Vater: schon durch ihre Neigung zur Rundlichkeit – sie tat gut daran, auf ihre Linie zu achten –; aber auch durch Form und Ausdruck ihres intelligenten, weichen, gutmütig sinnlichen Gesichtes. Tillys Lippen, besonders, ließen Marie-Luise oft an den seligen Geheimrat denken: dieser genußfreudige, ein wenig zu üppige Mund, der immer ein wenig feucht wirkte – als hätte er gerade etwas Leckeres, Fettes, Honigsüßes verzehrt, oder als hätte er sich soeben erst von einem anderen nassen Mund gelöst, an dem er sich mit langem Kusse festgesaugt. Übrigens war es diesem Munde, auf eine überraschende, fast fürchterlichte Art auch gegeben, Schmerz, sogar Verzweiflung auszudrücken. Es geschah zuweilen, daß Tillys Lippen sich tragisch öffneten, wie zu einem stummen Schrei, und ehe die Augen noch Tränen vergossen, schienen die feuchten Lippen zu weinen. –

      Von dem Kind Susanne durfte man erwarten, daß eine veritable von Seydewitz aus ihr werde: sie brachte das Zeug dazu mit. Marie-Luise mochte als kleines Mädchen hübscher und wohl auch, auf ihre spröd befangene Art, liebenswürdiger gewesen sein. Gewisse Züge, die bei der Mutter erst jetzt, im Alter, hervortraten, waren bei Susanne schon in zarter Jugend auffallend: etwa das zu lange, hart geformte Kinn; die schmalen, aufeinander gepreßten Lippen und die ein wenig bitteren Falten, von denen die Mundwinkel abwärts gezogen wurden. Das Kind Susanne hatte wasserblaue, streng blickende Augen und frisierte sich das dünne, aschblonde Haar zu steifen kleinen Zöpfen, von denen man den Eindruck bekam, daß sie hart und kühl anzufühlen sein müßten wie Metall. Im Jahre 1931 wollte Susanne Mitglied einer Nationalsozialistischen Jugend-Organisation werden. Frau von Kammer mußte es ihr verbieten und sie auf die jüdische Abkunft ihres Vaters schonend aufmerksam machen. Susanne, die davon nichts geahnt hatte, wurde bleich und verstummte. Dann weinte sie lange. „Du brauchst dich deines Vaters nicht zu schämen”, versuchte Marie-Luise sie zu trösten. „Er hat seinem Lande große Dienste geleistet.” –

      Die geborene von Seydewitz war keineswegs gewillt, mit irgendjemandem eine Philosophie und politische Konzeption zu diskutieren, der zufolge ihr verstorbener Gatte zu einem Bürger zweiter Klasse, einem Paria degradiert ward. Sie brach rigoros den Verkehr mit allen jenen unter ihren Bekannten ab, die der Rasse-Dogmatik des Nationalsozialismus anhingen. Ihren Freundinnen – von denen die meisten zum mittleren preußischen Offiziersadel gehörten – erklärte sie: „Diese Nazis sind noch schlimmer als sogar die Kommunisten. Bei denen weiß man doch wenigstens, was sie sind: unsere Feinde. Die Nazis aber spielen sich als die Bewahrer unserer heiligsten Güter auf und sind in Wahrheit doch nur respektlose Plebejer.” Die Offiziers-Gattinnen schwiegen pikiert, wenn die geborene von Seydewitz scharf betonte: „Wer behauptet, ein Jude könne kein guter deutscher Patriot sein, der ist ahnungslos, oder er lügt. Mein seliger Vater – sicherlich ein preußischer Soldat von guter alter Art – zählte einige Juden zu seinen intimsten Freunden. Meine Mädels sind in einem tadellosen Geist erzogen worden. Soll ich es mir nun bieten lassen, daß man sie plötzlich wie Pestkranke behandelt?” Marie-Luise, sonst so fein und still, sprach mit einer vor Indigniertheit beinah klirrenden Stimme.

      Was den verstorbenen General von Seydewitz betraf, so war es bekannt, daß er seiner Familie abends aus den Werken deutscher und sogar ausländischer Poeten vorgelesen hatte – was befremdlich genug wirkte –, und daß er, seiner eigenen Kaste gegenüber, von einer sonderbaren Reserviertheit gewesen war. Und nun gar die beiden jungen Fräulein von Kammer angehend: da hatten Marie-Luisens gute Freundinnen recht gemischte – oder eigentlich schon: ganz eindeutige – Gefühle. Untereinander redeten sie, halb mitleidig halb entrüstet, über Marion und Tilly. „Die arme Marie-Luise ist blind”, wurde getuschelt. „Sieht sie denn wirklich nicht, wie anstößig sich die jungen Dinger betragen?! Beide schminken sich ja, daß man meinen könnte, sie seien –, ich will lieber gar nicht sagen, was!” Die Damen schüttelten die Köpfe und schnitten Grimassen, als hätte man ihnen etwas Widriges in den Tee geschüttet. „Kein Wunder”, sagten sie noch. „Die Rasse des Vaters schlägt durch.” –

      Frau von Kammer war keineswegs blind für die etwas riskanten Allüren ihrer beiden erwachsenen Kinder. Es schmerzte sie bitter, daß die Mädchen sich nicht ihren Umgang in den konservativen, vornehmen Kreisen suchten, die das Milieu der Mutter waren und um deren Gunst der Geheimrat sich ein Leben lang, mit Zähigkeit und Erfolg, bemüht hatte. Woher kam ihnen nur der unglückselige Hang zur Bohème? Dieser extravagante kleine Pariser – Marcel Poiret –, mit dem Marion fast ihre ganze freie Zeit verbrachte, war durchaus nicht nach dem Geschmack der Mama. Auch Martin Korella, den Marion schon als kleines Mädchen gekannt hatte, kam Frau von Kammer etwas unheimlich vor. Seine schleppende Art zu sprechen, sein verhangener, zu süßer und zu trauriger Blick, die selbstgefällige Ironie seiner Äußerungen –: „es paßt sich nicht für einen jungen Mann”, sagte Marions Mutter, „und überhaupt, er hat so gar nichts Frisches.”

      Der Student, den Tilly ihren Bräutigam nannte, Konni Bruck, machte einen sympathischeren Eindruck; aber Frau von Kammer wußte, daß er sich mit Politik beschäftigte, und zwar auf ungehörige Weise. Er war mindestens Sozialdemokrat, vielleicht sogar Kommunist: die Geheimratswitwe wollte es gar nicht so genau wissen. Jedenfalls stand fest, daß er Tilly in politische Versammlungen schleppte – an Orte also, wohin junge Mädchen keineswegs gehören –: ebenso wenig wie in Nachtlokale, die Konni Bruck auch mit Tilly zu frequentieren pflegte.

      All dies beschäftigte und betrübte Marie-Luise. Aber der Familienhochmut und ihre Liebe zu den beiden Mädchen verboten es ihr, jemals einem ihrer Bekannten gegenüber solche Sorgen anzudeuten. Schließlich war die Mutter auch stolz darauf, daß Marion und Tilly viele Freunde und Bewunderer hatten. In einer gewissen Gesellschaft spielten die Zwei entschieden eine Rolle – wenngleich es nicht genau die Gesellschaft war, die Frau von Kammer-Seydewitz sich für ihre Töchter gewünscht hätte. –

      Als die Nazis zur Macht kamen, war man in Marie-Luisens Kreisen zunächst begeistert. Nur ganz wenige Hellsichtige ahnten schon, daß nun Personen und Tendenzen herrschend wurden, die einem aristokratischen Konservativismus durchaus nicht in allen Stücken freundlich gesinnt waren. Ahnungslos wie die