…!“, rief Ascanio die Kommandos mit unverkennbar starkem italienischem Akzent laut heraus.
Die Magdalena krächzte laut, als das Ruder sich nach Steuerbord bewegte, als ob die alte Dame protestierend vom Winterschlaf aufwachte. Schwerfällig schob sie sich gegen die hier herrschenden Strömungen, und ich muss hier und heute ungern zugeben, während der langen Pause war ich eingerostet, was die Handhabung mancher Manöver betraf. Die Menschen an beiden Seiten des Ufers winkten uns heftig zu und manche Träne floss aus den Augen der daheim gelassenen Frauen, die nicht wussten, ob die Nordmänner an Bord jemals wieder zurückkehren würden. Doch dafür würde ich schon sorgen. Ich musste und wollte diese Reise erfolgreich hinter mich bringen, egal, wie lange es dauern würde.
17. APRIL 1137
Auf dem Deck der Magdalena verlief alles ruhig. Die Männer waren gut gelaunt und manches Lied wurde gar gesungen. Das Nordlicht, wie es Rauk nannte, verzauberte die Nacht in ihrer wolkenlosen Pracht, als ob der Allmächtige selbst uns die Tore für die Weiterfahrt öffnete. Die Kälte war nichtsdestotrotz allgegenwärtig, und wir wärmten uns mit dem heißen Kräutergebräu, das wir schon seit Ewigkeiten aus dem Heiligen Land bei uns hatten: Shahi. Getrocknet und zerrieben war dieses Kraut leicht aufzubrühen, und sein Geschmack ließ unsere Geister frohlocken. Hier und dort flog eine Sternschnuppe. Dies brachte mich wieder zurück zu der Zeit in Viermünden, als ich noch als Kind Vaters Rinder hütete. Zig von diesen Himmelspfeilen fielen damals vom Himmel, und Vater ermahnte mich, vorsichtig zu sein mit dem, was ich mir wünschte. Doch ich war damals zu klein, um mir irgendeinen Wunsch ausdenken zu können. Hätte ich damals gewusst, was mir in der Zukunft bevorstand, so hätte ich mir ein glückliches Leben mit meiner Nadine und meinem Sohn am Hofe meines Vaters gewünscht. Doch so ist das Leben. Nichts spielt sich in der Zukunft und nichts in der Vergangenheit ab.
Man kann sich wünschen, was man will. Dein Schicksal entscheidet sich innerhalb von Sekunden in deiner gegenwärtigen Situation, und es war gut so.
Die Nordmänner holten Dorsche und Lachse aus dem großen Fluss, der sich langsam, aber stetig in salziges Meer verwandelte. Allein der gefangene Dorsch war ein Zeichen dafür, dass das Wasser immer salziger wurde. Plötzlich zog sich ein Nebelvorhang über uns zu und ich machte mir Sorgen, dass wir uns in dieser Meeresenge verirren könnten. Rauk jedoch versicherte mir, dass wir uns schon bald auf dem offenen Meer befänden und sich der Nebel schnell lichten werde.
Es dauerte nicht lange, bis Rauk recht behielt, denn der Nebel verschwand und der Mond beleuchtete uns den Weg durch eine schaumige und wellige See.
„Bringt mir das Astrolabium ... SCHNELL“, rief ich Gernot entgegen. Wer konnte wissen, wie lange der Himmel wolkenlos blieb. Voraus war schon der Horizont sichtbar, denn es wurde langsam hell. Als ich das Instrument in meinen Händen hielt und ich mich mühte, so genau wie möglich zu messen, kam auch schon Ascanio mit Mappe, Feder, Tinte und Logbuch. Hastig notierte er darin die Angaben, die ich ihm zurief. Ein kurzer Blick auf die Mappe, und schon hatten wir den ungefähren Standpunkt unserer Magdalena ermittelt.
Wir waren tatsächlich auf dem richtigen Kurs und steuerten gen Westen. In Vynland würden wir dann Frischwasser und nötigenfalls unseren Fischvorrat ergänzen. Die Gefahr blieb jedoch bestehen, dass wir Eriks Mörderbande (siehe Albrechts Chroniken III) auf See oder auf Vynland begegnen würden. Dies wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Wir jagten sie nicht. Zu diesem Zeitpunkt zumindest nicht.
Ja, ich erinnerte mich an meinen Schwur damals in Schottland, dass ich die toten Mönche rächen würde. Doch alles zu seiner Zeit. Jetzt hieß es, diese Mission erfolgreich zu beenden und viel Beute und Erfahrung zurück nach La Rochelle zu bringen trotz aller Warnungen von Eduardo Cortez. Vorsicht war geboten, denn ihm konnte ich nicht trauen. So segelten wir gedankenverloren in die nächste Ungewissheit, doch diesmal besser vorbereitet als zuvor.
Der Morgen des 20. April brach an und es wurde hell. Die Wolken ließen nicht lang auf sich warten, und in der Mittagsstunde war der Himmel vollständig grau und bedeckt. Die Wellen wurden rauer und der Wind nahm kräftig zu, sodass die Magdalena endlich zeigen konnte, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Die Besatzung hatte alle Hände voll zu tun, und rasch bewegten wir uns vorwärts. Gott, wie sehr hatte ich dieses Leben auf See vermisst!
Kaum konnte ich innerlich meine Freude zurückhalten, und ein Lächeln der Freiheit durchzog mein inzwischen faltiges und alt gewordenes Gesicht. Die Männer sahen das und freuten sich mit. Doch schon kam Olaf und weckte mich aus meinen Träumen, als er mit seinem Finger nach vorne zeigte und wir zum ersten Mal Eisberge sichteten. Er bedeutete uns, die Fahrt zu verlangsamen, denn schnell und ohne Vorwarnung könnten wir kleinere Eisberge übersehen ... Und sollten wir einen davon rammen, wäre die Fahrt zu Ende. Ich reagierte prompt und ließ die Segel reffen. Die Magdalena verlangsamte die Fahrt, am Bug wurden Posten aufgestellt, um mich rechtzeitig warnen zu können.
Ein Blick auf die Karte und Ascanio di Sassaris Ratschlag waren der Grund, daraufhin einen südlicheren Kurs einzunehmen, ohne dabei Vynland aus den Augen zu verlieren. Zwei Tage fuhren wir in südlicher Richtung, um die Eisberge zu umsegeln. Doch dann richtete ich den Bug unseres Kahns wieder nach Norden. Die Kälte nahm wieder zu, und Eis so dick wie Stahl beschlug alles, was sich beschlagen ließ. Eiszapfen so groß wie Elfenbein bildeten sich an der Takelage und an den Masten, und auch der heiße Kräutertrunk half nicht, uns warm zu halten. So ging es weitere fünf Tage lang, bis endlich einer der Männer lauthals „Land in Sicht!“ schrie. Olaf nickte freudig und sagte nur: „Vynland, Vynland!“
Es war der 29. April 1137, als endlich der Anker der Magdalena vor der Küste dieses Landes fiel. Es wurde wärmer, und nur noch vereinzelt sahen wir hier und da dahintreibende Eisberge. Als das Beiboot sich in den Sand des Strandes einpflügte und wir endlich wieder Boden unter den Stiefeln spürten, betraten wir stellenweise sogar grünes Land. Zum bewaffneten Spähtrupp gehörten siebzehn Mann und ich, sowie Ralf und Richard. Rauk, Thiere und Enar waren die einzigen Nordmänner, die diese Gruppe begleiteten. Die anderen beiden, Sven und Lars, blieben mit Ascanio und den restlichen Templern auf der Magdalena. Nicht zu vergessen Cortez.
Wir marschierten durch Tundren und Sumpfgebiete und hielten unsere Augen offen, denn die Gefahren waren allgegenwärtig. Nicht nur dieser Erik mit seiner Bande von Wilden war uns ein Dorn im Auge, inzwischen zeigten sich weit entfernt auch Bären, die uns schneeweiß erschienen. Olaf warnte uns eindringlich vor diesen Eisbären. Ihr Hunger sei unersättlich und ihr Fettbedarf unermesslich. Doch solange sie uns nicht witterten, sollten wir uns einfach im normalen Schritttempo weiterbewegen. Wir fanden eine Wasserquelle und füllten die Fässer schnellstmöglich auf. Enar und Thiere überraschten uns mit erlegten Schneeböcken, die sie ohne mein Wissen gejagt hatten. Fleisch war eine sehr willkommene Abwechslung zum Fisch, obwohl wir an Bord noch reichlich Fleischvorräte besaßen. Wir hatten alles, was wir brauchten, und so machten wir uns wieder auf den Weg zurück zur Küste. Keine Spur der feindlichen Nordmänner. Sehr zu meiner Beruhigung war nichts von ihnen zu sehen.
Der Rückweg dauerte fast den ganzen Tag, doch schließlich erreichten wir die Beiboote. Die Wachhabenden begrüßten uns und ließen sich nicht lange bitten, die Beiboote wieder ins Wasser zu schieben. Einer von ihnen ließ blanke Furcht erkennen.
Als ich ihn fragte, warum er sich so fürchte, sagte er:
„Mein Admiral, es dauerte nicht lange und ich bekam dieses Gefühl nicht los, dass wir beobachtet wurden. Kaum hattet ihr euch auf den Weg von den Beibooten gemacht, erkannte ich nicht weit von euch entfernt schattenhafte Bewegungen. Die anderen lachten mich aus, doch ich schwöre bei Gott, ich habe etwas gesehen, und ich könnte schwören, es waren Nordmänner.“
Ich sah ihn besorgt an. Dann schrie einer der Templer: „Schaut, dort …!“
Wir sahen es alle. Ein Fackelzug hatte sich auf dem Strand versammelt. Der Wachhabende hatte die Wahrheit gesagt und mir wurde klar, welches Glück wir gehabt hatten. Es waren Hunderte von Nordmännern. Schnell näherten wir uns der Magdalena, und auch an Bord hatte man den Fackelaufstand bemerkt.
„Alles aufladen und nichts wie weg hier! Wirds bald?“, befahl ich.
Kaum hatten wir die Ladung auf dem Deck verzurrt und die Beiboote gesichert, schrie wieder