Friedrich S. Plechinger

Albrechts Chroniken IV


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mit einem Drachenkopf am Bug.

      „Erik!“, schrie er kreidebleich.

      „Los, los volle Segel und weg hier!“, schrie Ascanio, kaum dass sich der Anker am Rumpf verriegeln ließ. „Dai andiamo, presto, presto …!“

      Wir sahen ungläubig über die Reling, als zwei weitere dieser Boote aus dem Nichts erschienen und sich Seite an Seite von den Wellen in unserer Richtung treiben ließen.

      „Sofort die Bogenschützen aufstellen und die Brandpfeile bereithalten!“

      Gernot und François verstanden meine Anweisungen nur zu gut, und gut gedrillt, wie sie waren, brauchte es nur einen kurzen Augenblick, bis die Mannschaft sich auf Deck bereithielt. Der Wind stand günstig. Leider für beide Seiten, sowohl für unsere Bogenschützen als auch für die feindliche Brut.

      Sie kamen immer näher, und ein Glasen später hätten sie uns fast bespucken können. Uns war klar, dass dies kein Begrüßungskomitee war, denn sie ließen die ersten Pfeile abschießen. Sehr zu meiner Erleichterung waren es keine Brandpfeile und sie waren nicht nah genug, um uns ernsthaft zu schädigen. Nun waren wir dran und wir ließen Feuer vom Himmel regnen. Auch griechisches Feuer, das wir auf solchen Missionen immer mit uns führten, da man jederzeit mit Aggressoren zu rechnen hatte.

      Zwei ihrer Schiffe brannten wie Zunder, doch das dritte erkannte die Gefahr und machte sich rasch davon. Wir entfernten uns ebenso von diesem grausigen Schauplatz und beobachteten, wie die Überlebenden auf das übrig gebliebene Schiff dieser Barbaren geladen wurden. Viele waren es nicht.

      Rauk zeigte in Richtung eines Überlebenden und sagte: „Erik!“

      Das also war er. Rotes Haar und groß wie eine Eiche. Bei Gott, dem mochte man wirklich nicht auf dem Schlachtfeld begegnen. Auch dieser Erik beobachtete uns aus der Ferne. Sehr zu unserer Besorgnis erkannte Erik die Nordmänner Islands an Bord der Magdalena, was bedeutete, dass er im kommenden Sommer dem isländischen Dorf einen unfreundlichen Besuch abstatten würde.

      Nichtsdestotrotz feierten wir unseren Sieg und segelten weiter. Dies war unsere erste Schlacht des Jahres. Wer weiß, wie viele wir noch würden bestehen müssen.

       4. MAI 1137

      Kalt peitschte die See ihre unfreundliche Gischt und keiner von uns blieb trocken. Die Kleidung war nass und klamm, und unser Medicus Renaldo di Varenna hatte alle Hände voll zu tun, um die Erkälteten mit heißen Kräutergetränken zu versorgen. Wir alle wurden krank, auch ich bekam regelmäßige Schüttel- und Zitteranfälle. Der Winter hier in dieser Gegend war noch lange gegenwärtig und ich hatte Sorgen, die Mannschaft durch Krankheit zu verlieren. Wir mussten trockenes Land finden, soll heißen, schnee- und eisfrei, sonst würden bald die ersten Toten zu beklagen sein. Doch vor uns in Sichtweite lag nichts, das auf eine rettende Küste hoffen ließ. Im Gegenteil: Ein Sturm näherte sich und der Wind ließ unsere Glieder erfrieren. Schwierig wurde jede Tätigkeit, denn die Schmerzen an den Gelenken waren qualvoll.

      Apathisch versuchten wir, die Situation unter Kontrolle zu halten. Mit jedem Auf und Ab dieser elendigen Wellen konnte ich in manchen Gesichtern die Resignation erkennen. Das durfte aber nicht sein, sonst wären wir alle verloren. Ascanio, Ralf de Saddeleye und ich waren die Einzigen, die noch unermüdlich die Magdalena gegen die immer größer werdenden Wellen zu steuern versuchten.

      Die Haare klebten mir vor den Augen und ich konnte nichts sehen, doch das Steuer durfte und wollte ich nicht aus den Händen lassen. Zwei Tage ging es so, vielleicht waren es auch drei. Doch dann endlich, es war wohl der 6. oder 7. Mai, schrie Sven, der Nordmann, in seiner Sprache „Land in Sicht!“, was ungefähr so klang: „Land i snjiomali!“

      Mir reichte schon das Wort Land, um für einen Augenblick das Steuer mit der linken Hand zu halten, denn mit der rechten wischte ich mir das Haar vom Gesicht. Ja, tatsächlich hatten wir Land vor uns. Es sah trocken aus, obwohl ein dünner Nebel mir die Sicht verschleierte. Oder war es das Salz, das sich zwischen meinen Augenlidern verkrustet hatte? Ich sah grünes Land. Keine Eisberge, kein Schnee und kein Eis.

      Rauk kam hinzu und zeigte mir eine Bucht, die er nur zu gut kannte. Er sei früher oft mit seinem Onkel hierher gesegelt, um mit den Eingeborenen Handel zu treiben, übersetzte Ralf zugleich. Ich wollte mehr wissen. Waren die Einheimischen freundlich und konnte man dort lagern, ohne einen Überfall befürchten zu müssen? Ich bekam die Antwort, die ich hören wollte, und war dankbar dafür, diese fünf Nordmänner, die sich mit der Sprache und der Kultur der Einheimischen auskannten, mit auf der Reise zu haben. Rauk Olafson erwies sich als große Hilfe, denn er sprach am besten die Sprache dieser Eingeborenen, die sich Inuvik nannten.

      Die Küste war nach drei Glasen in greifbarer Nähe und die Wellen wurden flacher, sodass wir die Magdalena kurze Zeit später an dieser Bucht ankerten. Keine Menschenseele, von diesen Inuvik war nichts zu sehen. Auch Rauk und die anderen vier Nordmänner verstanden die Situation nicht, denn hier hätte ständig Bewegung sein und reger Handel getrieben werden müssen.

      Ich ließ drei Beiboote zu Wasser und nahm eine gute Anzahl von bewaffneten Männern mit. Wie üblich blieben Ascanio und Ralf de Saddeleye an Bord. Sollte etwas geschehen, waren sie die Einzigen, die den Rest der Mannschaft heil nach La Rochelle zurückbringen konnten.

      Langsam und beständig ruderten meine Templer dem flachen Strand entgegen, der aus einem dicken Kieselteppich bestand. Die Steine leuchteten in allen Farben, und das Wasser gab ihnen einen wunderschönen Glanz. Wir sprangen aus den Booten und hielten die Schilde bereit für den Fall, dass wir mit einem Pfeilregen begrüßt würden. Doch nichts geschah. Die Feuerstellen loderten noch, also mussten sich die Menschen irgendwo versteckt halten. Aber warum, wenn sie in der Vergangenheit Segler der Nordmänner gesichtet hatten und sie als Händler kannten?

      „Anukai!“, schrie Rauk plötzlich. „Anukai, kuet tiak wue?“, was so viel hieß wie „Anukai, wo steckt ihr?“

      Sven, Enar und Thiere taten das Gleiche. Es ging eine Weile so, dann erschienen die ersten Einwohner aus dem benachbarten Wald. Langsam und vorsichtig näherten sie sich uns, und Anukai begrüßte Rauk und die Seinen, als er sie erkannte. Auf die Frage, warum sie sich versteckten, sagte das Oberhaupt dieses Stammes, sie hätten noch nie einen so großen Segler gesichtet und ihr Medizinmann hätte die Vision eines großen Seglers vor wenigen Tagen prophezeit.

      Man solle sich in Acht nehmen vor Fremden. Rauk versicherte Anukai, dass unsere Absichten friedlich seien, und endlich durften wir uns gegenseitig begrüßen und nach Stammessitte umarmen. Damit mir die Kranken nicht wegstarben wie die Fliegen, wollte ich jedoch sofort einen trockenen und warmen Lagerplatz errichten. Das erlaubte Anukai, und aus Fellen und aus Zelten, die wir in La Rochelle aufgeladen hatten, errichteten wir unser Lager. Die Kranken wurden sofort versorgt und Renaldo di Varenna, der einst dem Orden der Hospitaler auf Rhodos angehört hatte und sich später entschlossen hatte, dem Orden der Templer beizutreten, verschwendete keine Zeit.

      Zwei der Männer hatten Lungenentzündung und vier Mann starkes Fieber. Renaldo beteuerte mir mehrmals, dass eine Weiterreise im Moment das Todesurteil für die Männer bedeuten würde. Ich beruhigte ihn und versicherte, dass wir erst wieder in See stechen würden, wenn alle Mann gestärkt und erholt seien. Und das betraf mich ebenso. Anukai indessen war unbeeindruckt von unseren Unpässlichkeiten und zeigte mir die Gegend. Rauk übersetzte das Inuvikische.

      Als ich mich überzeugt hatte, dass die Stelle sicher und die Inuvik friedlich gesinnt waren, ließ ich Ascanio und Ralf an Land kommen. Auch Eduardo Cortez durfte sich dieses Privilegs erfreuen, denn schließlich mussten wir bis auf Weiteres zusammenarbeiten. Man reichte mir als Geschenk einen bestickten Mantel aus dickem Büffelfell, und ich schenkte Anukai eines unserer Zelte, das mit dem roten Templerkreuz bestickt war. Ihm gefiel das Kreuz, doch er fragte nicht weiter nach dessen Bedeutung, wofür ich dankbar war, denn es strengte mich an, mich allein durch Gestik verständigen zu müssen.

      Endlich schloss sich Ralf unserer Gruppe an, und so konnte Rauk Olafson das Inuvikische erst für Ralf und schließlich für mich übersetzen. So ging es eine halbe Ewigkeit, und wir beschenkten uns mit Fellen und Werkzeugen sowie mit Mais, Wurzeln und Knollen.

      Ein Lagerfeuer wurde entzündet