Walfleisch zum Tausch gegen Wurzeln, Mais und Knollen anzubieten. Speere und Harpunen befanden sich ebenso unter der Handelsware. Man beachtete uns kaum, als hätten wir schon immer hier gelebt. Meine Vermutung gab mir recht, denn die Nordmänner trieben hier in der Tat selbst regen Handel. Die Einheimischen kannten somit blonde und bärtige Männer aus vergangener Zeit. So erzählte es mir Ralf de Saddeleye, nachdem er mit Rauk von der Jagd zurückgekehrt war.
Zwei erlegte Hirsche, die von jungen Inuvik getragen wurden, gab man dem Stammesältesten als Geschenk für die uns gewährte Gastfreundschaft. Er bedankte sich bei uns und lud mich und Saddeleye zu sich in das ihm von uns geschenkte Zelt. Mit reichlich Fellen hatte sich Anukai sein neues Quartier bequem und warm eingerichtet. Kurze Zeit später setzte sich auch Rauk in unsere Mitte, was uns willkommen war wegen seiner Sprachkenntnisse. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis Anukai das Wort ergriff und zu sprechen begann. Lange hörten wir ihm zu, aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen, worüber er redete. Seiner Gestik nach wollte er uns ein Angebot machen. Doch ich täuschte mich sehr, als Rauk seine Worte für de Saddeleye übersetzte und dieser sie dann in unsere Sprache übertrug. Überrascht schaute ich Anukai an und musste anfangen zu lachen. Auch er begann zu lachen, denn er erkannte, dass er einen Nerv getroffen hatte. Ehrlich gesagt hatte ich nicht die richtige Antwort auf seine Frage. Zumindest nicht sofort.
„Warum seid ihr hier?“, war die Frage kurz und bündig.
Stille trat ein und wir zwei Oberhäupter schauten uns lange und ernst an.
„Neugier!“, schoss es plötzlich aus mir heraus.
Anukai bekam einen Lachanfall, er wurde immer lauter, und bald hielt er sich vor Schmerz den Bauch. Seine Augen tränten und ungläubig schüttelte er den Kopf. Mir aber war nicht zum Lachen zumute, denn insgeheim hatte ich mich des Öfteren selbst gefragt, warum ich mich und meine Männer in solche Gefahren brachte. War es wegen des Goldes? Das war eine Variante von vielen. Gold hatte ich genug zurückgeschleppt, und ja, wenn es nach der Gier der Mächtigen ginge, so müssten Tausende von Koggen und Barken diese Meere befahren.
Doch was war es wirklich? Sehnsucht nach Abenteuer, etwas Neuem? Wir hatten bereits diese Gewässer befahren, jedoch weiter südlich. Es war der Wissensdrang, der mich trieb. Lernen wollte ich und entdecken, was andere zuvor niemals gesehen hatten. Das Materielle war nur Mittel zum Zweck. Eine Sucht war schon lange zuvor entstanden, als ich noch mit Farid zur See fuhr und wir beide über den weiten Horizont starrten und uns immer wieder fragten, was wohl auf der anderen Seite dieser Welt sei.
Anukai richtete sein Wort an Rauk und ich sah, dass sich das Gespräch in der Form veränderte. Beide sahen mich ernst an, aber ich konnte mir kein Bild von dem machen, was sie dachten.
Dann holte Anukai ein Ledersäckchen aus seinem Ärmel und warf es mir grob zu. Ich fing es auf, und mit seiner rechten Hand gestikulierte Anukai, ich solle den Inhalt in die Hand nehmen, und so tat ich es. Als ich meine Faust öffnete, erschrak ich mich. Solch einen Goldklumpen in dieser Größe hatte ich nicht einmal bei unserer letzten Fahrt gesehen. Anukai beobachtete mich genau, und seine Augen bohrten sich in meine Seele, als ob er alles von mir wissen wollte, um auf diesem Wege zu erfahren, ob dies der wahre Grund sei für unser Erscheinen. Gewiss, ich war beeindruckt, doch ich konnte meine Begeisterung im Zaume halten, steckte den Klumpen wieder in das Ledersäckchen hinein und warf es ihm zu. Trotz seines hohen Alters fing er es geschickt auf, seine Augen nie von mir ablassend.
„Wir wollen Handel treiben. Felle, Elfenbein, Mais und auch Hölzer!“, sagte ich drauf. „Und sollten wir uns einigen und auch eine kleine Basis nicht weit von hier errichten, sodass alle zwei Monate zwei unserer Schiffe dort mit Waren zum Tausch anlegen können.“
Ralf übersetzte für Rauk, was ich sagte. Doch bevor Rauk meine Worte an Anukai wiedergab, brüllte er zornig in seiner Sprache zurück. Die Stimmung im Raum schlug binnen eines Augenblicks von friedlich auf aggressiv um. De Saddeleye übersetzte mir Rauks Worte und ich verstand, dass ich nun ein Territorium betrat, das von den Isländern seit zig Jahren beherrscht und eisern im Blick behalten wurde.
„Er sagt … und verzeiht, Admiral … ich übersetzte es nur ... was wir uns anmaßen würden, uns hier in diesen Gebieten niederlassen zu wollen, um eine Basis zu errichten und uns in den regen Handel so einzumischen, dass sie, die Isländer, übervorteilt würden! Sie hätten seit Jahren versucht, sich hier niederzulassen, doch dies wurde von den Einheimischen nie geduldet, weil wir nicht wie sie waren und weil unsere Absichten sich mit den Naturgesetzen nicht vereinbaren ließen. Das hätte schon Erik der Rote versucht und seine Nachfahren ebenso. Vertrieben wurden sie und viele ihrer Leichen vermodern heute noch unter den Sümpfen dieser Erde!“
Wir hatten sichtlich ein Problem, und ich erinnerte mich im selben Moment an das Versprechen, das ich einst Federico Pinzon gab: nie die Brut aus der alten Welt in dieses Paradies führen zu lassen. Das aber würde ohne Zweifel geschehen, wenn mein Vorschlag fruchten sollte.
„Ich will es von Anukai selbst hören. Lehnt er meinen Wunsch ab, so werde ich das befolgen. Sagt er jedoch zu, dann scheiße ich auf das, was die Isländer verärgern sollte. Schließlich haben die Nordmänner die Überfälle hier begangen und den Kürzeren gezogen … Sag diesem Flegel das!“
Ein kurzes Räuspern, und Ralf übersetzte Rauk meine Meinung darüber, wie ich zu der Angelegenheit stand. Verärgert setzte sich Rauk wieder hin und wollte das Wort an Anukai richten, doch dieser hielt die Hand ausgestreckt und bat Rauk, den Mund zu halten.
Wieder nahm der alte Mann das Wort, und ich konnte ein Lächeln in Rauks Gesicht erkennen. Also durften wir hier keine Basis erbauen. Nun gut. Dann woanders. Die Zeit würde es richten, doch diese Basis würde nur für den Bund der „wenigen“ sein. Vergessen wir dieses Vorhaben auf dieser Fahrt. Auf der nächsten würden keine Nordmänner dabei sein, und dann würde uns keiner aufhalten können.
Ich träumte schon weiter, als Ralf de Saddeleye versuchte, mir etwas zu sagen. Doch auch ich winkte ab, denn ich hatte verstanden. Ich wollte keinen Streit beginnen und verbeugte mich freundlich vor Anukai, bekam jedoch seinerseits versichert, dass wir jederzeit hier mit ihnen handeln dürften. Wir reichten uns die Hände und verließen höflich das Zelt.
Meine Wut konnte ich für kurze Zeit kontrollieren, nicht aber Rauk Olafsons Disziplinlosigkeit. Was erlaubte sich dieser Fischerbursche, sich einem Admiral zu widersetzen. Er hatte sich freiwillig gemeldet. Ich hatte ihn nicht darum gebeten mitzukommen. Diese Angelegenheit bedurfte sofortiger Klärung. So nahm ich mir diesen unverschämten Burschen hinter einem Gestell vor, wo Fische zum Trocknen hingen. Ich packte ihn wutentbrannt am Kragen und presste ihn so lange gegen den stinkenden Fisch, bis mir der Geruch in den Kopf stieg. Doch ich ließ nicht locker. Er rang nach Luft, ich jedoch ließ nicht los. Richard und Ralf bekamen es mit, die anderen nicht, Gott sei‘s gedankt. Sie eilten zu mir, um einen Mord zu verhindern.
„Admiral ...!“, flehte mich Richard an.
„Sag diesem unverschämten Bengel, ich hätte große Lust, ihn hier an diesem Ort verrecken zu lassen. Noch so ein Ausrutscher und er kann nach Hause schwimmen, ist das klar? Ich bin der Admiral, der Befehlshaber dieser Truppe, und er ist nur ein Mitläufer. Ein Nichts. Ich brauche ihn als Übersetzer nicht mehr. Wir legen in drei Tagen ab und fahren weiter dorthin, wohin uns die Küste führt!“
Grob stieß ich Rauk weg von mir und Furcht ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.
Den Befehl zur Abreise leitete ich an Ascanio di Sassari weiter, der sich auf eine Weiterfahrt sichtlich freute. So hatten mich die Männer schon lang nicht mehr gesehen, doch jede kleinste Nachlässigkeit gefährdete das Unternehmen. Ich hatte mir eine Antwort nun selbst gegeben, warum wir hier waren. Ich sollte mich eigentlich bei Rauk für seine Unverschämtheit bedanken, denn nun erst recht: Ich würde diese Basis bauen, und wem es nicht passte, der würde über Bord geworfen. Ich sah alles schon vor mir. Ein zweites Ashkelon. Hier, weit weg von der alten, vergifteten und vor Sünde triefenden Welt. Weiter südlich, wo das Klima freundlicher ist und doch nicht zu warm, damit man Proviant länger lagern kann und diese elendigen Stechfliegen einen in Ruhe lassen. Für den Winter zumindest.
Ich würde nur einen Bruchteil der Güter nach La Rochelle überführen lassen und den Hauptteil