Vladislav Bajac

Das Buch vom Bambus


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für Dabu-ji hatte ich mich sehr bewusst entschieden. Ich wusste, dass der neue Ort von mir verlangen würde, mich einzuordnen, statt Pläne zu schmieden. Mit einfachen Worten: Ich musste mich dem Fluss anvertrauen und in seiner Mitte versuchen, der Strömung gewachsen zu sein. Bis dahin musste ich nur so viel schwimmen, dass ich nicht unterging. Mehr konnte ich mir zunächst auch gar nicht abverlangen. Was mich am anderen Ufer erwartete, entzog sich meinem Urteil. Ich wusste damals noch nicht, dass es auch ein drittes Ufer gab.

      Seit ich hier war, hatte ich ständig das Gefühl, dass der Tag aufgrund irgendwelcher Gesetzmäßigkeiten ohne Mühsal verlief, wie eine Wolke am Himmel, die ich sehe und von der ich weiß, dass sie irgendwo über mir ist, die ich aber nicht anschauen muss, um mir ihres Vorhandenseins sicher zu sein; zieht sie fort, kommt eine andere und immer so weiter. Ob es heiter ist oder der ganze Himmel eine dunkle Decke: Die Wolke ist irgendwo dort.

      Am Nachmittag dieses Tages sollte ich Holz für die Küche des Klosters spalten. Angeregt vom Gespräch mit dem Rōshi bemerkte ich zum ersten Mal, dass mich bei dieser Tätigkeit keine trüben Gedanken plagten. Zugleich erschien mir die Arbeit leichter als sonst. Es konnte nicht sein, dass ich an diesem Nachmittag stärker war als an den Tagen zuvor. Ich stellte das Nachdenken beim Arbeiten nicht ein, der Unterschied lag in der Art und Weise. Gleichwohl befielen mich Zweifel in Form von recht klaren Bildern, und was eine Lösung sein konnte (aber nicht notwendigerweise sein musste), zeigte sich in Gestalt von sehr schnellen Lichtstreifen, die aus mir heraus in die Ferne flogen wie abgeschossene Pfeile. Es war, als würde jeder Streifen einen Einstich im Körper verursachen. Ich hatte das Bedürfnis, mich an etwas zu scheuern.

      »Cao, du bist heute dem Meister begegnet. Siehst du, auch das kommt vor!«

      Das war Daishi Tetsujiro. Wie gewöhnlich sagte er, was er zu sagen hatte, und ging dann weiter seines Weges. Er jetzt also auch noch! Man könnte meinen, er und der Rōshi und alle anderen hätten sich abgesprochen. Wenn sie über dasselbe Wissen verfügten, dann war es wohl auch so. Und siehe da, ich erlebte mein erstes Lächeln. Als sich der Daishi umdrehte, schien auch er zu lächeln.

      Zum ersten richtigen Verstehen des Ortes, an den ich gekommen war, hat dieses Lächeln (oder beide) mehr beigetragen als alle bisherigen Versuche, mit eigenen Anstrengungen die erste Stufe zu erreichen. Denn als ich geargwöhnt hatte, alle könnten sich abgesprochen haben, hatte ich natürlich Absprachen im Sinn, wie ich sie von früher kannte. Die hier herrschenden Absprachen waren aber ganz anders geartet: Man reagierte auf Worte und Handlungen wohlüberlegt, doch lagen die Überlegungen schon länger zurück, sodass ein beinahe mechanisches, gedankenloses Reagieren in Verbindung mit der zuvor geschaffenen Grundlage, oder besser gesagt: auf sie gestützt, bei diesen Menschen klare, spritzige, unbegreifliche und auch geistreiche Antworten hervorbrachte. Absprachen bedeuteten hier nichts Schlechtes.

      Als es Abend geworden war und alle Unsui sich zurückgezogen hatten, trat ich auf die Veranda heraus. Ich sah in den Himmel, nur um mich zu vergewissern, dass meine Wolke existierte. Der Himmel war vollkommen klar, sodass ich mich einfach darauf verlassen musste, dass sie dort war. Als ich genauer hinschaute, sah ich – nichts, keinen einzigen Stern. Nie zuvor hatte ich in einen klaren Himmel geschaut, der ohne Sterne war. Ich war noch nicht einmal sicher, ob das möglich war. Ich wollte auf sie warten. Sie hatten sich verspätet.

      Ich breitete meinen Futon aus und nahm die Zazen-Haltung ein, ohne die Absicht zu haben, es zu üben; es war bequem so. Ich wurde ruhig und wartete ohne Ungeduld. Mein Blick endete irgendwo in der Finsternis. Hätte ich in diesem Moment nachdenken können, wäre ich sicher gewesen, dass ich schlafe. Den Körper spürte ich nicht mehr, ohne dass er taub geworden wäre. Ich befand mich jetzt, noch immer sitzend, ein Stück über dem Futon. Vor mir erschienen nun alle Sterne des Himmels. Und die Wolke. Dann entschwanden sie. Ich auch.

      Nach der Morgenrezitation der Sutras saßen einige von uns hintereinander auf der Tatami vor dem Zimmer des Rōshi und warteten auf das Gespräch mit dem Meister. Ich war als zweiter an der Reihe. Die Antwort des Unsui auf die Frage des Rōshi hörte ich nicht. Er schien nicht zufrieden zu sein, denn der Schüler bekam eine heftige Ohrfeige.

      Zwischen dem Meister und mir stand nur noch die Kansho, die Standglocke, mit der mein Gespräch mit ihm angekündigt wurde. Ich schlug die Glocke leicht an, wandte mich dem Rōshi zu und verneigte mich sitzend, die Hände im Schoß. Er erwiderte meine Verbeugung.

      »Cao, ich habe dir gestern nicht gesagt, dass Shashu als Grundhaltung der Hände beim Gehen empfohlen wird. Das heißt, dass deine Hände verschränkt sein müssen.«

      Ich nickte. Er fuhr fort.

      »Ich sehe, dass du die meiste Zeit damit zubringst, Holz für die Küche zu spalten und Wasser fürs Baden warm zu machen. Machst du das jetzt besser?«

      Eine solche Frage hatte ich nicht erwartet. Ich gab zur Antwort, was ich bemerkt hatte.

      »Ich habe gestern diese Aufgabe zum ersten Mal mit mehr Ruhe verrichtet.«

      »Du musst wissen, Cao, dass Nachdenken nie zum Verstehen führt. Du hast dich gefragt, warum du so viel körperliche Arbeit verrichtest. Ich werde dir zum Teil darauf antworten. Nachdenken zerstört das Gleichgewicht, Üben hingegen fügt die Bestandteile der Persönlichkeit über den Körper zu einem Ganzen.«

      Der Rōshi verneigte sich leicht. Das Gespräch war zu Ende.

      Ich begann, meine eigenen Bewegungen und die der anderen mit mehr Aufmerksamkeit und weniger Erklärungsversuchen zu verfolgen, um ihren Sinn zu ergründen. Ich beobachtete, wie ich das Buch mit den Sutras hielt, welchen Klang ich erzeugte, wenn ich die Handglocke beim Rezitieren unterschiedlich schwang, in welchen Zeitabständen der für das Rezitieren im Hondō zuständige Kokushi mit dem Stock den Takt angab oder sein Gehilfe, der Zenji, den Holzfisch Mokugyo schlug, dessen Klang sanft den Rhythmus diktierte. Die Essensschalen nahmen unter den Fingern eine andere Gestalt an, und die Augen sahen etwas Höheres in den Scheiten, die ich weiterhin für den fernen Winter vorbereitete.

      XI

      Senzaki bat Chio, ihm weiterhin den Haushalt zu führen. Er durfte ihr nicht sagen, dass er sich vor der Einsamkeit fürchtete, die sein vorheriges Leben in seine Gedanken brächte. Das Mädchen bediente ihn ohne große Worte. Es sah so aus, als ob Chio ihn von früher kennen würde. Allerdings hatte sie ihr heiteres Gemüt verloren. Nach einigen Tagen, als er es nicht mehr aushielt, fragte Senzaki Chio nach dem Grund ihres Schweigens.

      »Herr, du trägst ein großes Geheimnis in dir. Das hält dich davon ab, sorglos zu sein. Vergrab es irgendwo, wenn du es mit niemandem teilen willst. Bis dahin wird mein Lächeln dir nicht helfen.«

      Diese Worte machten Senzaki betroffen. Er war davon ausgegangen, sein mangelndes Angepasstsein an das neue Leben gut verborgen zu haben, doch offensichtlich war dem nicht so. Ihre Worte halfen ihm zu begreifen, dass es nichts bringt, wenn er seinen Schmerz noch mehr verbirgt.

      Er hatte noch nicht entschieden, was er aus seinem »neuen Leben« machen wollte. Es galt mit etwas zu beginnen, was nicht die Handhabung eines japanischen Schwerts und Gehorsam bis zum Tod hieß. Es tat ihm gut, das Dorf zu verlassen, zum Meeresufer zu gehen und Kiki mitzunehmen. Ihm gegenüber war er nicht zu Erklärungen darüber verpflichtet, was in seinem Kopf vor sich ging. Kiki spürte die charakteristischen Stimmungslagen seines neuen Herrn (Herr deshalb, weil er ihm gern gehorchte) und reagierte einzig darauf. Wenn Senzaki gut gelaunt war, strahlte der Affe vor Glück und führte ihm seine Tollkühnheiten vor. War er schlecht gelaunt, mühte sich Kiki sehr, ihn mit einem ähnlichen Gebaren in Stimmung zu bringen. In beiden Fällen endete ihr Zusammensein gewöhnlich in allgemeiner Ausgelassenheit, die mitunter heimlich auch Chio beobachtete. Auf ihre Stimmung reagierte auch sie; sie vollführte kleine Tricks, wer weiß, woher sie die hatte, und sie ersann kleine Wohltaten. Manchmal, wenn Senzaki dennoch in düstere Gedanken verfiel, verlor sich Chios Heiterkeit und sie entschwand wie ein Geist, lediglich körperlich anwesend und ihren Pflichten nachgehend. Auf diese Weise wurden die Gesetze im vorwiegend fröhlichen Haus von Kung Shan unkompliziert und sehr klar.

      Eines Nachmittags besuchte