Vladislav Bajac

Das Buch vom Bambus


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Tag, als du im Hof aufgetaucht bist, war auch der erste Tag, an dem sich die Leinwand dort befand. Ich weiß nicht warum, aber was dich betraf, war ich mir an diesem Tag sicher, dass du in Dabu-ji aufgenommen wirst. Wir haben also einen wichtigen Tag gemeinsam. Ich möchte dich deshalb bitten, dass auch du dir einmal meine Zeichnungen ansiehst. Außer dem Rōshi habe ich sie noch niemandem gezeigt.«

      Ich freute mich über diesen Zufall, obwohl ich aus seinen Worten schloss, dass er das Ganze nicht für einen Zufall hielt. Ich war ihm dankbar für die Ehre, die er mir erwies.

      XIV

      Es gab noch etwas, worüber sich Sung wunderte. Über sich selbst. Er hatte sich nämlich in einem Augenblick, nur einem einzigen gefragt, wie er es zulassen konnte, dass Chio, die immerhin nur eine Dienerin war, sich an ihn so frei, und vielleicht auch auffällig intim wendete. Er dachte dabei nicht nur an ihre unterschiedlichen Positionen. Selbst wenn er diese beiseiteließ, fühlte er nach einer Begegnung mit ihr eine unklare Spur, die sie hinterließ und die ihm nicht zusagte. In einem war er sich sicher: Sollte künftig etwas Schlechtes zwischen ihnen vorfallen, könnte er einzig sich selbst dafür die Schuld geben. Man kann niemandem die Schuld dafür geben, dass er da ist und dass er existiert. Die zweite, gute Seite ihrer Anwesenheit machte ihm vieles leichter. Natürlich hätte er nicht wissen können, welchen Fortgang die Ereignisse nehmen sollten, wenn er sie nicht in seinem Haus angetroffen hätte. Sie half ihm, vergangenes Geschehen besser einzuschätzen, und – was noch wichtiger war – weitaus gelöster Überlegungen über die nahe Zukunft anzustellen.

      Das einzige Geschöpf, das all seine Gedanken kannte, war Kiki. Wäre es ihm zufällig vergönnt reden zu können, hätte es alles Mögliche über seinen neuen Herrn ausplaudern können. Seine Gesellschaft tat Sung sehr gut. Er war nicht verpflichtet, jeden seiner Standpunkte darzulegen (obwohl er ihn als Begleiter ernst nahm), und er konnte sich neben ihm nicht allein fühlen. Die täglichen Spaziergänge am Ufer entlang ließen sie zu einem Paar werden, das sich ziemlich gut verstand. Sung erfüllte auch einige Wünsche von Kiki. Und man konnte nicht behaupten, dass dieser keine hatte: Er wollte baden, wenn das Wetter nicht danach war und zerrte Sung hinter sich her ins seichte Wasser. Er bespritzte ihn und hüpfte vor Freude, den Herrn in der unangenehmen Lage zu sehen, sich wehren zu müssen, er kletterte auf Bäume und zielte mit allem nach ihm, was er fand; er kletterte auf seinen Rücken, zerzauste seine Haare, schmatzte ihn mit seinen dicken Lippen ab, wenn Sung in sich gekehrt war. Kurzum, er ließ nicht zu, dass Sung schlecht gelaunt war. Egal, wie oft sich Sung gegen diesen Ansturm guten Willens wehrte, musste er sich nach einer gewissen Zeit eingestehen, dass ihm Kikis Hartnäckigkeit eigentlich behagte. So begann Sung, zu schnellem Denken gezwungen, klare Entscheidungen zu treffen. Die nahe Zukunft verwandelte er in die Gegenwart und ersann die ersten ernsthaften Pläne, die er so schnell wie möglich umsetzen wollte.

      Heimgekehrt, nahm er das Schreibzeug und begab sich in den großen Garten. Er fertigte ein Verzeichnis aller dort wachsenden Pflanzen und einen gesonderten Katalog aller Bambussorten an, die er seinerzeit mit seinem Vater gepflanzt hatte. Es gab wenige, die mit einem solchen Reichtum mithalten konnten. Um genügend Platz für neue Arten zu schaffen, fertigte er einen Plan zur Beseitigung der überflüssigen an.

      Die nächsten Tage verbrachte er mit dem Roden. Nun hatte er genügend Platz für all die neuen Sorten, die er anzupflanzen plante. Für die bereits existierenden (die er entweder im Garten hatte oder über die er etwas wusste) trug er die ihm bekannten Daten ein: vom Pflanzdatum bis zum Tempo des Wachsens und Blühens, zu speziellen Eigenschaften und zur mögliche Verwendung jeder einzelnen.

      Chio geriet über den neuen Eifer ihres Gebieters ins Staunen. Sie bot ihm ihre Hilfe an, doch er lehnte ab.

      »Das ist etwas, was allein ich tun muss. Wenn die Zeit gekommen ist, mir zu helfen, sage ich es dir.«

      »Sung, darf ich dich etwas fragen?«

      Da Sung nicht antwortete, fuhr sie fort.

      »Ich habe gehört, dass dein Vater in diese Pflanze verliebt war. Das hast du wahrscheinlich von ihm geerbt. Aber woher diese Wahl, damals wie heute: Bambus?«

      Er sann nach, wie viel er ihr dazu sagen sollte. Auf keinen Fall die ganze Wahrheit.

      »Also. Erstens muss ich anfangen, mich mit etwas zu beschäftigen. Das haben wir beide begriffen. Zweitens verdanke ich sozusagen diesem hohen Gras, dass ich heute am Leben bin. Wenngleich ich wegen ihm beinahe draufgegangen wäre.«

      »Aber was wirst du eigentlich mit dem Bambus machen, wenn du all die Sorten, die du dir wünschst, gepflanzt hast?«

      »Ich werde sie ansehen, alle beobachteten Veränderungen notieren, ich werde versuchen, neue Sorten zu bekommen.«

      »Aber ich begreife nicht, wozu das alles gut ist.«

      Er sah sie an, bevor er antwortete. Er hatte den untrüglichen Eindruck, dass sie ihm überflüssige Fragen stellte. Als wüsste sie weitaus mehr als das, was sie als Antwort erhielt.

      »Wenn ich all das Neue notiere, wird es vielleicht heute oder morgen jemandem von Nutzen sein. Ich bin sogar völlig davon überzeugt. Ich werde versuchen, diese Pflanze so nützlich wie möglich zu machen. Jedes Wissen ist zu etwas dienlich.«

      Chio wirkte nicht ganz glücklich. Sie erwartete noch etwas.

      »Na gut«, entschloss sich Sung. »Für mich ist Bambus ein Lebewesen, sozusagen ein Mensch.«

      Chio lächelte zufrieden.

      »Diese Antwort ist mir weitaus verständlicher. Danke, dass du mir dein Geheimnis offenbart hast. Es ist ein schönes Geheimnis.«

      Eine solche Reaktion hatte er nicht erwartet.

      »Bevor du mir die nächste Frage stellst, werde ich dir darauf antworten. Von dem, was ich machen will, wovon ich dir erzählt habe, kann ich nicht leben. Es wird sogar zusätzliches Geld vonnöten sein. Für den Lebensunterhalt werde ich etwas anderes tun. Ich habe den Ältesten Kung gebeten, in der Provinz kundzutun, dass sich im Dorf ein neuer Abschreiber buddhistischer Schriften und Bücher aufhält. Ich gehe davon aus, dass sich alsbald jemand melden wird. Vielleicht kannst du mir dann unter die Arme greifen, falls das auch weiterhin dein Wunsch sein sollte.«

      Chio musste nichts sagen. Sie war hocherfreut.

      Schon am Tag darauf konnte Sung den Effekt von Chios Glückszustand in Augenschein nehmen. Am Eingangstor waren zwei Holztafeln angebracht. Auf beiden Seiten stand auf Chinesisch und auf Japanisch geschrieben: »Bambustempel«. Er konnte nicht böse sein. Die Bezeichnung entsprach seinen Wünschen. Seine Genugtuung verbarg er nicht; mit einer tiefen Verneigung bedankte er sich bei ihr.

      »Chio, das ist Grund genug, uns als gleichberechtigt zu sehen. Von nun an wirst du meine Gehilfin sein. Ich bin für dich nicht länger der Herr. Übrigens, lange Zeit war ich nicht einmal mein eigener Herr, und so werde ich mir das leicht abgewöhnen. Hab Dank.«

      Das Mädchen strahlte. Leicht verschämt trug es vor, was es auf dem Herzen hatte.

      »Gut, lieber Sung. Aber ich werde weiterhin auch alle Dinge im Haushalt erledigen. Du kannst das nicht, und wir haben kein Geld, um jemanden anzustellen.«

      Hinter ihrem Rücken spendete Kiki mit kräftigem Händeklatschen Applaus.

      Wenig später brachte der Älteste Kung den ersten Besucher zum Bambustempel, einen Priester des buddhistischen Hauptklosters der Provinz Qingdao. Einen so hohen Gast hatte Sung nicht erwartet. Sein Besuch konnte nur eines bedeuten: dass es um wichtige Schriften ging. Nachdem der Priester ihn ein wenig über den Buddhismus ausgefragt hatte und mit dem, was er hörte, zufrieden war, zeigte er ihm, was er mitgebracht hatte. Es war das bereits aus dem Pāli ins Chinesische übersetzte Sutra Nipata. Es sollte abgeschrieben werden. Der Gast verlangte die besondere Verzierung des Buches, die er Sung überließ.

      Als die Besucher gegangen waren, rief Sung Chio zu sich, um ihr die frohe Botschaft über die vereinbarte Arbeit mitzuteilen.

      »Ich