Vladislav Bajac

Das Buch vom Bambus


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sind Nachrichten über den Grund deiner Rückkehr ins Dorf zu mir gedrungen. Sei unbesorgt, hier wird niemand nach dir suchen. Hier bist du Herr Sung und das wird auch so bleiben. Senzaki ist, wie im Nachbarreich verkündet wurde, zum Tode verurteilt worden. Es heißt, dass die Strafe vor wenigen Tagen vollstreckt wurde.«

      »Lieber Kung, lass mich erklären …«

      »Nein, du wirst mir gar nichts erklären. Ich weiß, wer du bist, von wem du abstammst und was für einer du bist, und du hast nichts Schlechtes getan. Vergiss alles, was ich dir gesagt habe, denn ich erinnere mich schon an gar nichts mehr. Lass uns vielmehr zu wichtigeren Dingen übergehen. Hast du dich entschieden, was du in Angriff nehmen willst? Du bist ein sehr gelehrter Mann, und so geht es nicht an, dass du Tätigkeiten verrichtest, bei denen dein Wissen ungenügend zum Tragen kommt. Hier im Dorf könntest du Schreiber für einen der Reicheren werden, aber sicher erlaubt dir dein Stolz nicht, eine solche Beschäftigung aufzunehmen. Am besten wäre, du hättest genug Geld, dann brauchtest du nicht etwas zu tun, was du nicht möchtest.«

      »Danke, Kung, für das kurz vorher und für das eben. Ich habe noch etwas Geld, für mich und zur Bezahlung von Chio. Irgendetwas werde ich tun. Sollte mir das nicht gelingen, werde ich das Mädchen auszahlen und den Haushalt selbst führen. Wenngleich das niemand so kann wie sie.«

      Sich dem Zimmer nähernd, in dem das Gespräch stattfand, hörte Chio die letzten Sätze von Sung Shan. Sie machte sich bemerkbar und brachte Wildkirschentee, goss ihnen ein und verschwand wieder. Sie setzte sich hinter das Haus und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Kiki jagte zu ihr hin und fing an, ihr stumm über das Haar zu streichen.

      »Das heißt, dass du mit ihr zufrieden bist?«, fuhr Kung fort.

      »Ich weiß nicht, von wem sie all das gelernt hat, sie kann einfach alles.«

      »Niemand weiß das. Sie ist neulich mit ihrem Äffchen ins Dorf gekommen; ihren Lebensunterhalt hat sie mit Arbeit in fremden Häusern verdient. Alle waren zufrieden, nur sie war es scheinbar nicht. Gewöhnlich blieb sie nur kurz in einem Haus. Jedes Mal, wenn sie wegging, trauerten ihr die Hausherren nach. Wenn du sie entlässt, wird sie leicht einen anderen Herrn finden.«

      Sung Shan indes war sich nicht sicher, ob er sie entlassen wollte. Chio bot ihm mehr als die Erledigung der Pflichten. Ihm stand der Sinn nicht danach, neue Menschen kennenzulernen und besonders nicht solche, die täglich in seinem Haus wären.

      Als Kung gegangen war, suchte Sung nach Chio. Sie saß im Hof und unterhielt sich mit Kiki. Doch in welcher Sprache? Sung bemühte sich, besser zu verstehen. Sie sprach Japanisch! Sung hatte ohnehin Zweifel an ihrer dörflichen Herkunft, er hatte sich davon überzeugt, dass sie die Schule besucht hatte und gebildet war.

      »Chio, es wird Zeit, dass du mir sagst, wer du eigentlich bist!«

      Sie geriet wegen seiner Anwesenheit und seiner Frage nicht im Geringsten aus der Fassung, drehte sich um und sah ihn mit weit geöffneten Augen an.

      »Auch ich habe im Nachbarland gelebt. Als mein Vater starb, kam ich hierher. Nichts davon ist interessant und deshalb möchte ich auch nicht darüber sprechen. Übrigens, warum auch, wenn du mich bald fortschickst? Mein Herr, besser ist, wenn wir uns nicht kennen.«

      »Chio, als erstes wirst du mich von nun an nicht Herr nennen, und zweitens, von Entlassung habe ich zu deinem Wohl gesprochen. Welches Recht hätte ich, dich bei mir zu behalten, damit du unentgeltlich für mich arbeitest? Noch ist Zeit. Wenn ich eine neue Tätigkeit aufnehme, werde ich vermutlich Geld haben und wir werden darüber gar nicht sprechen müssen.«

      »Aber du verstehst nicht! Ich will hier bleiben, auch wenn du kein Geld hast, mich zu bezahlen. Ich würde nämlich unentgeltlich arbeiten.«

      »Wie das nun? Kung hat mir gesagt, dass du so häufig die Haushalte gewechselt hast, obwohl dir niemand etwas angetan hat, und jetzt würdest du auch ohne Bezahlung hier bleiben?«

      »Nun, sagen wir mal, ich habe die Freiheit der Wahl. Immer hat der Wille in meinem Leben bestimmt, was ich mache. So auch jetzt. Freilich, stärker als mein Wille kann dein Wunsch sein, mich loszuwerden. In dem Fall kann ich mich nicht widersetzen.«

      »Du weißt, dass das nicht der Grund für dein Fortgehen sein könnte.«

      »Na gut. Dann bleibe ich. Wenn du entschieden hast, was du tun willst, hoffe ich, dass du auch mich davon in Kenntnis setzt. Vielleicht werde ich dir auch dabei helfen können.«

      Sung kehrte ins Haus zurück, verdutzt von dem, was er von dem Mädchen gehört hatte. War es möglich, dass Chio ihm gefiel und dass er sie überhaupt nicht verstand? Immer mehr kam es ihm so vor, als trüge auch sie irgendein Geheimnis in sich. Er hätte es gern, dass dieses Geheimnis sie selbst ist, und nicht etwas außerhalb von ihr.

      XII

      Das, was Meno über sich nicht wusste, erwies sich als verhängnisvoll für ihn. Sein ganzes Leben hatte er als Diener verbracht und er wusste nicht, dass kein Reichtum dieser Welt die Seligkeit selbständiger Entscheidungen wettmachen kann. Die Täuschung, deren Opfer er geworden war, ohne dies erkannt zu haben, machte ihn erneut zu einem Diener – weniger zu einem Diener neuer Herren, als vielmehr zu einem Diener neuer Ereignisse. Ereignisse, die er abermals nicht beeinflussen konnte. Er nahm an, dass wenigstens der Schatz, den er sich gesichert hatte, ihm die Stärke zu entscheiden bieten würde, und damit auch die höchste Stärke – Macht.

      Die Ereignisse im Land entwickelten sich in einem schwindelerregenden Tempo. Nach einjähriger erfolgloser Brautwerbung war Osson der Jüngere, nunmehr ohne Unterstützung des Vaters, gezwungen, die Hauptstadt mit der Waffe vor den erneut unzufriedenen Daimyōs zu verteidigen. Unterhalb der Stadtmauern befanden sich die Armeen aller Provinzen. Osson begriff, leider zu spät, dass seine Abwesenheit aus dem Palast auch jemand, der ihm nahe stand, gut genutzt hatte, denn selbst die Einheiten, die ihm bis vor kurzer Zeit besonders treu ergeben waren, begannen sich von ihm abzuwenden. Der Aufstand innerhalb der Mauern war sehr heimtückisch geplant; gegen Osson erhoben sich nicht die Heerführer, wie das ansonsten üblich war, sondern auch die Soldaten. Das hieß, dass jemand, der sehr raffiniert war, um sie geworben hatte, jemand, der ein guter Kenner von Motiven einfacher Soldaten war.

      Nur von den Gardeeinheiten umgeben, die aus den besten Samurai bestanden, und von seinen Offizieren, gab Osson einen letzten Befehl. Alle hatten ohne Widerrede durch geheime unterirdische Gänge den Palast zu verlassen. Nachdem er seinen Heerführern versprochen hatte, dass auch er ihnen unmittelbar folgen werde, entband er die Samurai von ihrem Eid des Dienens bis in den Tod. Sehr bald blieb er allein in der Halle zurück.

      Ossons Gemächer standen in Flammen. Meno, der herbeigeeilt war, um ihn vom Einfall der aufrührerischen Truppen in die Festungsanlagen zu unterrichten, konnte lediglich die Silhouette seines Herrn ausmachen, der auf der anderen Seite der Feuerbarriere gegen die brennenden Balken kämpfte. Den Schrei, den er dann vernahm, konnte er nicht zweifelsfrei seinem Herrn zuordnen, denn er vermochte ihn nicht von zahlreichen weiteren zu unterscheiden, die durch den Palast drangen. Er rannte ins Freie, sah gerade noch, wie die Privatgemächer ein Opfer der Flammen wurden. Neben ihm stand der Daimyō Bonzon, einer der ältesten noch lebenden Herrscher aus der Ära von Osson dem Älteren, der von Osson dem Jüngeren im vorangegangenen Gemetzel nicht liquidiert worden war. Bonzon war jetzt einer der Anführer der Aufständischen. Sein Heer wurde vom Samurai Ishi geführt, dem einstigen Militäraufseher der Bambushaine.

      Der Aufstand war gut organisiert. Noch am selben Tag setzten die Statthalter und Familienmitglieder der in Ossons Gemetzel ermordeten Daimyōs dessen Heerführer in ihren Provinzen ab und rückten an der Spitze der Heere bis zu den Mauern der Residenzstadt vor. Meno fragte sich, wie es sein konnte, dass Aufstände schneller Erfolg hatten als friedliches Regieren. Weil sie kürzer dauern oder weil sie ein Ausdruck angestauter Energie sind? Wie konnte es sein, dass in einem Aufstand die Interessenunterschiede und überhaupt alle Unterschiede aufgehoben werden? Ist es nicht das Böse, das einend wirkt, selbst wenn es nur für kurze Zeit ist? Er wusste, dass kluge und sehr durchtriebene, üble Herrscher auch die Vereinigung mit anderen nutzen, um ihre Ziele zu erreichen, sich jedoch schnell wieder auf ihr einsames Böses zurückziehen. Fühlt der