Hendrik Terheyden

Augmentationschirurgie


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Bisshöhe aufgrund der Alveolarkammatrophie hat zu einer Vorrotation des Unterkiefers gegen den Uhrzeigersinn im Drehpunkt des Kiefergelenks geführt. Das hat eine Pseudoprogenie verursacht. Die Augmentation (z. B. durch Le-Fort-I-Interposition im Oberkiefer und Sandwich-Interposition im Unterkiefer) führt zu einer Bewegung der Alveolarfortsätze in Richtung der roten Pfeile. Das Ziel ist, durch Zahnimplantate wieder den Zustand bei Vollbezahnung (rechts) zu erzeugen. b. Durch die Alveolarkammatrophie sind die mimischen Muskeln nicht vorgespannt. Die Lippen rollen sich ein und insbesondere der Musculus mentalis verliert seinen oberen Ansatzpunkt auf Höhe der Wurzeln der unteren Schneidezähne. Dadurch sackt das Kinn herunter, was als Tropfenkinn bezeichnet wird. Passives Unterfüttern der Lippen durch zahnprothetische Mittel verbessert die Muskelansätze und damit die Muskelzugrichtungen nicht. Durch knöcherne Regeneration der Alveolarfortsätze kann wieder ein Zustand wie vor dem Zahnverlust erzeugt werden. c. Durch implantatgestützte Zahnprothesen kann im Gegensatz zu konventionellen Vollprothesen eine bessere Vorspannung der mimischen Muskeln erreicht werden, weil diese sich bei Gegenzug der Lippen nicht so leicht lösen wie konventionelle Totalprothesen. Wenn zusätzlich die Alveolarfortsätze durch Augmentation knöchern rekonstruiert werden, bekommen die mimischen Muskeln wieder ihre korrekten Ansatzpunkte. Zusätzlich kann durch Bisshebung eine Streckung des Untergesichts und eine Rücknahme des Kinns erreicht werden, sodass sich die Nasolabial- und Supramentalfalte glättet. Das Ziel ist ein entspannter und jüngerer Gesichtsausdruck als Nebeneffekt einer kaufunktionellen Rehabilitation (modifiziert nach Cawood JI, in: Härle, Atlas of Craniomaxillofacial Osteosynthesesis, Thieme, Stuttgart 1999).

      Abb. 1-10 Die Klassifikation der Alveolarfortsatzatrophie des zahnlosen Gesamtkiefers nach Cawood und Howell6 (modifiziert nach Cawood JI, in: Härle F. Atlas of Craniomaxillofacial Osteosynthesesis, Thieme, Stuttgart 1999).

      Abb. 1-11 Klassifikation der Resorptionsstadien des Kiefers im Implantatsitus nach Terheyden7 in Viertelstadien.

      Zunächst atrophiert im Regelfall die faziale Alveolenwand. Wenn deren obere Hälfte geschwunden ist, kann noch ein Implantat primär stabil gesetzt werden, aber es liegt ein vestibulärer Dehiszenzdefekt vor (erstes Viertel). Bei weiterer Atrophie wird die gesamte bukkale Wand resorbiert und es ergibt sich ein Spitzkamm (zweites Viertel) bei noch stehender oraler Wand (entspricht Cawood-Klasse IV). In diesem Stadium reicht der Knochen in der Regel nicht mehr, um ein Implantat zu stabilisieren, sodass man zweizeitig augmentieren muss. Als nächstes Stadium entsteht eine Höhenreduktion des Kamms insgesamt, aber die orale Wand steht noch teilweise (drittes Viertel), bis am Ende der Alveolarfortsatz vollständig resorbiert ist (viertes Viertel) (entspricht Cawood-Klasse V).

      

      Abb. 1-12 a. Für die Erfolgsaussichten einer lokalisierten Augmentation ist die Lage im Envelope wichtig (Konturverbindungslinie des Zahnbogens). Zweitens ist es für den Erfolg günstig, wenn ein Defekt von knöchernen Wänden umschlossen ist (contained defect). b. Die Erfolgsaussichten einer lokalisierten Augmentation steigen, wenn das Augmentationsvolumen innerhalb des Envelopes liegt. Daher sollte das Implantat im Regelfall an die palatinale/linguale Wand gesetzt werden und nicht zu groß im Durchmesser gewählt werden.

      Augmentationschirurgie hat immer einen Preis, auch in Form von Operationsbelastung, Beschwerden und Kosten für den Patienten, operativer Komplexität für Zahnärzte und ihre Teams sowie durch erhöhte Komplikationsmöglichkeiten. Risiko und Nutzen der Augmentationschirurgie sollten immer gut kommuniziert und abgewogen werden. Es gibt daher viele Bemühungen, die operative Belastung der Knochenaugmentation durch Alternativen und minimalinvasive Techniken zu reduzieren.

      Insgesamt zeigt sich in der Implantologie die Entwicklung, gestützt durch neue Materialien, auch ohne augmentative Maßnahmen eine gute Kaufunktion zu erreichen. Besondere Relevanz hat dies für Patienten unter antiresorptiven Therapien, die gar keine Knochenaugmentationschirurgie erlauben. Des Weiteren wird der Therapieerfolg weniger abhängig vom individuellen Können eines Arztes gemacht, was ein genereller Trend in der Medizin ist. Beispiele für die augmentationsfreie Implantatchirurgie sind Zygomaimplantate oder die Renaissance der Subperiostalimplantate bei schwerer Alveolarkammatrophie (siehe Kapitel 14).