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Theologie im Umbruch


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die deutschen Aussteller zu stark vertreten waren und die Ausstellung in ihrem Stil zu stark auf die Deutschschweiz, ja mit dem «Style de Munich» auf Deutschland ausgerichtet sei. Einige Industrielle hatten einen Boykott erwogen, als der Auftrag zum Bau eines zweiten Simplontunnels an ein ausländisches Unternehmen ging. Zudem hatte der Konflikt zwischen dem auf Tradition bedachten Gewerbe und |53| der «profitorientierten» Industrie zu dieser skeptischen Haltung beigetragen. Schliesslich kritisierten Industrieunternehmer die «einseitige» Sozialpolitik des Bundes zugunsten der Arbeiterschaft, die in der Revision des Fabrikgesetzes zum Ausdruck gekommen sei, und die finanzielle Unterstützung, die der Auftritt des Arbeiterbundes erhalten sollte.

      Hier werden also bereits Probleme sichtbar, die später in bei weitem heftigerer Form ausbrechen werden. Die Eröffnungsrede des Bundesrates versuchte diese Konflikte zu beschwichtigen: Bundespräsident Arthur Hoffmann wählte in seiner Eröffnungsrede «Lernen wir uns kennen!» als «Wahlspruch für unsere innerpolitischen Verhältnisse». Zielgerichteter drückte sich Bundesrat Gustav Ador aus, als er sich wünschte, «das ganze Volk» solle in der Landesausstellung erfahren, «dass man alles daran wenden muss, um den Antagonismus der Klassen zu vermeiden»112. Die Ausstellung wurde am 15. Mai eröffnet. Bei Beginn des ersten Weltkriegs und der Mobilmachung der Schweizer Armee wurde sie nicht abgebrochen, sondern nur für zwei Wochen unterbrochen und dann Mitte Oktober planmässig geschlossen. Hier wollte man sich nicht vom Krieg stören lassen.

      Anders beim Fabrikgesetz. Die «Vermeidung des Klassenantagonismus» schien bei Ausbruch des Krieges nicht mehr so wichtig. Die Revision des Fabrikgesetzes, von den Unternehmern schon unmittelbar nach der Verabschiedung kritisiert, aber doch nicht durch ein Referendum infrage gestellt, also rechtsgültig, wurde bis nach dem Ende des Weltkrieges ausgesetzt und erst 1920 umgesetzt. Hier wird die Absicht des Bundesrates sichtbar, den Zusammenhalt der Bevölkerung eher durch eine Ausstellung der nationalen Errungenschaften zu erhöhen, als konkret die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiterschaft zu verbessern.

      2. Das Schweizer Fabrikgesetz von 1914

      1877 hatte das erste Schweizer Fabrikgesetz die Arbeitszeiten und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken geregelt. Es galt als international richtungsweisend für die Arbeitsgesetzgebung, weil es die Arbeitszeit auf 11 |54| Stunden festlegte, und zwar für Frauen und Männer, und damit den kantonalen Vorläufern Glarus und Basel folgte.113 Die Fabrikgesetze anderer Länder, z. B. von England, hatten jeweils nur die Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen von Frauen und Kindern geregelt. Die Begründung war, dass man nicht in die Vertragsfreiheit der Männer eingreifen sollte. Das blieb auch für Deutschland so, obwohl man das Schweizer Gesetz zum Vorbild nahm.114

      Karl Barth hatte die Revision von 1914 zum Thema eines Vortrags gemacht,115 und zwar am 19. April, also noch vor der Verabschiedung des Gesetzes in Nationalrat und Ständerat. Das Gesetz wurde dann am 17. und 18. Juni einstimmig von beiden Räten verabschiedet. Ein Referendum wurde nicht ergriffen. Damit erhielt das Werk Gesetzeskraft. Barth referierte beim Grütliverein116 Suhr. Der Grütliverein war eine sozialliberale Arbeiterorganisation und Handwerkervereinigung, die 1901 mit der Sozialdemokratischen Partei fusioniert hatte, aber die selbständige Organisation beibehalten hatte. Barth war diesen sozialen Bewegungen eng verbunden. Er hatte sich bereits mit seiner Bewerbungspredigt zur Pfarrwahl in Safenwil mit der Beziehung zwischen Christentum und Sozialismus beschäftigt und war nach seiner Wahl zum Pfarrer in Safenwil an der Gründung dortiger Gewerkschaftsorganisationen beteiligt. Der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz117 (SPS) trat er dann 1915 bei.118

      Aus den Notizen geht hervor, dass Barth zwar eine schärfere Gesetzgebung, insbesondere bessere Konditionen für die Arbeiter gewünscht hätte119, insgesamt warb er aber für den Kompromiss. Da noch nicht klar war, ob das Referendum ergriffen würde, war für eine allfällige Abstimmung die Unterstützung der Arbeiterschaft wichtig. |55|

      Das erste Fabrikgesetz von 1877 und seine späteren Revisionen waren ein Erfolg der Gewerkschaftsbewegung. Das heisst allerdings nicht, dass es von den Arbeitern einhellig unterstützt wurde. Sie hatten Angst, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit eine Verkürzung des Lohnes nach sich ziehen würde, und auch das Verbot von Kinderarbeit in den Fabriken wurde gefürchtet, weil die Familien auf das Einkommen angewiesen waren. Das Fabrikgesetz wurde 1877 nach einem heissen Referendumskampf nur äusserst knapp angenommen. Wie schon bei den kantonalen Vorläufern der Gesetze waren Lehrer, Ärzte und auch Pfarrer für die Gesetzgebung eingetreten; Lehrer, weil ihre Schülerinnen und Schüler, wenn sie in der Fabrikarbeit eingespannt waren, im Unterricht den verpassten Schlaf nachholten, Ärzte, weil sie die gesundheitlichen Schäden bei Jugend und Erwachsenen feststellten, und Pfarrer, weil sie um die religiöse Bildung und Bindung fürchteten, und auch aus philanthropischen Erwägungen. Insgesamt war man in der Schweiz vom Wert guter Allgemeinbildung überzeugt, da man davon ausging, dass nur der gebildete Bürger auch in der Lage war, die im politischen System notwendigen Entscheidungen zu treffen.

      Zu den Voraussetzungen der Schweizer Industrialisierung gehörten die vergleichsweise ungünstigen Standort-Rahmenbedingungen: keine Rohstoffe und keine direkte Verbindung zu den Weltmeeren. Die hohen Transportkosten glichen die Unternehmer durch die niedrigen Löhne aus. Typisch für die Schweizer Entwicklung war die dezentrale Industrialisierung, da die Wasserkraft genutzt werden konnte; d. h. aber auch, dass keine – etwa mit England vergleichbaren – Ballungszentren entstanden und Arbeitskräfte im ganzen Land verfügbar waren. Auch diese Konkurrenzsituation unter den Arbeitern und Arbeiterinnen erlaubte, die Löhne tief zu halten. Die frühe und lange Zeit einzige Leitindustrie der Schweiz war die Textilindustrie. Maschinenindustrie und chemische Industrie waren Folgeindustrien, die erst gegen 1900 langsam an Bedeutung gewannen. Die Textilindustrie beschäftigte traditionellerweise sehr viele Frauen, die in den Fabriken ähnliche Arbeiten verrichteten wie zuvor in der Verlagsindustrie oder im eigenen Haushalt. Sie brachten gute Materialkenntnisse, Erfahrungen und Qualifikationen mit, konnten aber – auch hier kann man sagen, traditionellerweise – schlecht bezahlt werden. Zunächst war also die Mehrheit der Fabrikarbeiterschaft weiblich, mit der Zunahme der Zahl der Arbeitskräfte ging der Anteil der Frauen zurück. In der Maschinenindustrie waren dann schon von Anfang an mehr Männer als Frauen beschäftigt. Was aber blieb, waren vielfach die niedrigen Frauenlöhne und zunächst auch das schlechte gesellschaftliche Ansehen der Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen. Allerdings war es für die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft typisch, dass häufig beide |56| Erwerbsformen, Landwirtschaft und Fabrikarbeit, – je nach Saison – nebeneinander ausgeübt wurden. Der Arbeiter und die Arbeiterin galten weniger als die Bäuerin und der Bauer, und das Selbstverständnis der Schweiz blieb das eines agrarischen Landes.

      Hier setzten nun die Gewerkschaften an, und zwar an beiden Punkten, Lohn und Ansehen, wohl wissend, dass sie zusammenhingen. Das Image des Fabrikarbeiters musste verbessert werden, seine Leistungen für die Gesellschaft betont, seine Rolle als Familienvater gestärkt. Die gewerkschaftliche Organisation war wichtig, das ermöglichte Druck und Streik, um so Lohnerhöhungen und die Verkürzung der Arbeitszeit durchzusetzen. Frauen waren da im Weg. Sie waren Konkurrentinnen, wurden als Lohndrückerinnen eingesetzt und waren meist nicht organisiert. Fabrikarbeit für Männer konnte man aufwerten, indem die Wichtigkeit für Volkswirtschaft und Gesellschaft betont wurde. Frauenarbeit aber, insbesondere die Arbeit verheirateter Frauen, sollte unnötig werden, wenn der Mann einen Familienlohn erhielt, einen Lohn, mit dem er ohne den sogennanten Zuverdienst eine Familie unterhalten konnte. Das war das Ziel, danach wurde die Gewerkschaftspolitik ausgerichtet. Dies wird auch in der Revision des Fabrikgesetzes sichtbar. Allerdings war es für die meisten Arbeiterfamilien bis in die 1950er-Jahre eine Illusion, von einem Einkommen leben zu können, ganz abgesehen davon, dass diese Politik junge Frauen in eine Warteposition bis zur Heirat verwies.

      Barths Vortragsnotizen beziehen sich – wie gesagt – auf den Entwurf des Gesetzestextes, der nach heftigen und langandauernden Verhandlungen als Kompromiss im Parlament zustande gekommen war. Die Ergebnisse: Die 59-Stunden-Woche, maximal 10 Stunden pro Tag, ein Fortschritt gegenüber dem 11-Stunden-Tag des Fabrikgesetzes von 1877. Eine weitere Veränderung war die deutliche Ausweitung des Frauenschutzes: ein Verbot der Beschäftigung von Frauen in bestimmten Industriezweigen, Sonderbestimmungen zur Nachtruhe von Frauen, eine Verkürzung des sogennanten Wöchnerinnenschutzes auf 6 Wochen; vorher waren 8 Wochen möglich.