Группа авторов

Der Televisionär


Скачать книгу

Rückgriff auf Niklas Luhmann, folgerichtig als ein Glücks-Spiel mit Komplexität durch Multiplikation der Elemente – mehr Talkmaster, mehr Gäste, mehr Raum, mehr Zeit plus Integration einer präsenten Technik und Regie. III nach 9 habe so »das Live-Prinzip in einem gewissen Sinne ausgereizt, indem aus jedem Element der Talkshow ein Maximum an Möglichkeiten generiert wurde.«18 Von der Kritik wurde III nach 9 begeistert aufgenommen. Besondere Beachtung fand nicht zuletzt auch Wolfgang Menges erstes Gespräch: eine kuriose Konfrontation des intellektuellen ›Glatzkopfes‹ mit dem leicht befremdeten Friseur des Bundestags.19

      Talkshows erlaubten Wolfgang Menge, ein Talent auszuspielen, das er wie wenige besaß, das jedoch in der Arbeit als Fernsehautor kaum Vorteile bot: die Fähigkeit, Situationen blitzschnell einschätzen und ebenso klug wie witzig reagieren zu können. In den insgesamt dreizehn Jahren, in denen er nebenberuflich als Talkmaster tätig war, gelang ihm daher etwas, das seiner Berufsgruppe im Unterschied zu Schauspielern oder auch Regisseuren normalerweise versagt bleibt: Er wurde zum Fernsehstar, zu einer populären TV-Ikone, dessen hohe hagere Gestalt mit dem kahl rasierten Schädel nahezu jedermann auf der Straße erkannte. Gleichzeitig blieb er jedoch primär Autor.

      Aus demselben Grunde – weil er ein versierter Fernsehautor war – beschränkte sich Wolfgang Menges Streben zu tagesaktuelleren Live-Formen auch keineswegs auf seine Talkshow-Moderationen. Früh schon, noch vor dem Einstieg in Radio Bremens III nach 9, hatte er sich bei seinem Haussender WDR ein weiteres neues Format erschlossen, das ihm liveness so weit ermöglichte, wie es im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Systems damals möglich schien.

      2 Spiel mit der Gegenwart:

      Von Ein Herz und eine Seele zu Motzki

      Die Serienform stand am Anfang von sowohl Wolfgang Menges Radio- als auch Fernsehkarriere. Als Stahlnetz nach zehn Jahren Laufzeit eingestellt wurde, konzipierte er jedoch zunächst keine Serie mehr. Stattdessen begann er, mit liveness zu experimentieren. Erst nach der Dubrow-Krise, dem Millionenspiel und Smog, drei Faktionen, die auf verschiedene Weise liveness simulierten, und dem Scheitern des Liveness -Experiments mit dem »Anti-Magazin« beim SDR Ende 1971 entschloss er sich, eine für ihn wie das deutsche Fernsehen neue Serien-Form zu adaptieren: die vor Publikum live produzierte Situationskomödie. Das Genre geht auf die Anfänge des angelsächsischen Fernsehens zurück, als in Ermangelung technischer Aufzeichnungsmöglichkeiten Sitcoms gleich Theaterspielen live aufgeführt und versendet wurden.

      Anders jedoch als die isolierten Sketche und Nummern eines Kabaretts oder auch journalistische Beiträge bot Menges Serie zum einen über das Genre der Sitcom eine kohärente Narration, zum anderen über das Moment der liveness simulierte Einblicke in den wie immer stilisierten Alltag einer bundesdeutschen Familie:

      Damit antizipierte Ein Herz und eine Seele die fotorealistisch-panoptische Beobachtung von Menschen in familiär-intimen