Jürgen Roth

Fußball! Vorfälle von 1996-2007


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»durch Regeln festgelegt«. 1999, so der BamS-Aufmacher, werde deshalb nach Th. Gottschalk und B. Becker mit Wontorra »wieder ein Prominenter Deutschland den Rücken« kehren, ein Aderlaß ohnegleichen bahne sich an, ein rasender Exodus der besten Köpfe des Landes.

      Wontorras Entschluß sitzt fest im Sattel. So möge ihm die Villa »Casa Mucki« zu jenem »Paradies« werden, das schon heute mit »Hanglage«, »Pool« und »eigenem Tennisplatz«, dem »sonnigen Süden«, einem Sack voll »Palmen« und der »deutschen Schule in Marbella« aufwartet. Schließlich inkorporiert der im Wonti-Diminutiv bestens getroffene »clevere Wontorra« (»spekuliert auch an der Börse«) jenen Kretinismus aufs prägnanteste, der »im Alter« die Form der Landsitzweisheit annimmt.

      Mutmaßlich dieser mittlerweile grenzenlosen Unzurechnungsfähigkeit wegen mußte Wontorra, über den Umweg ARD/Radio Bremen/Schwimmreportagen (»Flieg, Albatros, flieg!«) zum Oberschwallkopf der Sportkommentatorenzunft gereift, am 28. Juni 1997, als der Bundesligafußball seinen turnusmäßigen Sommerschlaf hielt, auch noch durch die landeskundliche Quiz- und Quasselshow Sommer, Sonne, Sat.1 führen und die nicht minder unangebrachte Schlagerschabracke Vicky Leandros vor südländisch stimmungsvoller Hafenkulisse zu ihren »Lieblingsplätzen auf Kreta« befragen. Denn wenn zwei grienende Showgrößen aus der vierten Reihe jemals füreinander bestimmt waren, dann waren sie’s hier, wo jeder Sinn längst das Weite gesucht hatte.

      Was man dem urdeutschen, ernsten Sinn wirklich hoch anrechnete.

      Wir wollen nicht angeben – aber die im März 1997 erschienene CD Wir rufen Günther Koch! – Ausgewählte Radioreportagen wurde top besprochen und stark gelobt; da ließen sich weder Print- noch sonstige Medien lumpen. Zwar hatte schon am 20. Januar 1994 die Nürnberger Abendzeitung Günther Koch einen »Star-Reporter« genannt und spätestens heuer festgelegt, »der inzwischen zur Kultfigur aufgestiegene Nürnberger Rundfunkreporter« (13. Februar 1998) sei eine Instanz; doch das Feiern kannte ohnehin keine Grenzen. Auf Zeitungsdienste verzichten wir diesmal. SDR 1 (Wir über uns, 13. April 1997) goutierte »erlebte Sprachspiele« und »Sportgeschichte auf CD«, Stuttgarts Privatradios urteilten: »Dann wird eben aus der Bogenkopflampe ein Klassiker – unvergeßlich!« 3sat (Kulturzeit, 4. August 1997) genoß »Formulierungen wie Markenzeichen«, B 2 (Kultur aktuell, 5. Mai 1997) entschied: »Günther Koch läßt keinen Fußballfan kalt.« Dieter Eckstein (B 1, 15. März 1997) bestätigte: »Es gibt so viele schlechte Reporter. Und ein guter dagegen – das ist halt zu wenig.« Wenn schließlich Friedrich Küppersbusch auf dem Beichtstuhl in Willemsens Woche im Brunzton der Überzeugung zum besten gibt, dem »Robert Koch vom BR« reiche sowieso niemand das Wasser, dann kann das nur stimmen; dann darf item Reini Beckmann via seine unverändert gelungene Spitzenshow ran kundtun, Ewald Lienens live dargebotene Kommentarübung sei »ja allerbeste Hörfunkreportage, fast wie seinerzeit aus dem Frankenstadion der Robert Koch«.

      Warum aber, Ruhm hin oder her, gleich noch eine ganze Platte mit nix als Robert Koch und Robert-Koch-Reportagen? Na, warum denn nicht; a) bin ich als Herausgeber der ganzen Angelegenheit durchaus geldgierig, ja spitz auf weitere Tantiemen in schwindelerregender Höhe, b) kann ein bißchen Zusatzkohle nie schaden, und c) muß halt sein, was sein muß; d) des Schotters und e) folgender »inhaltlicher Gründe« (O. Tolmein) wg.:

      Das schnellste Tor der Bundesligageschichte will festgehalten, neuere Club-Höhepunkte, vornehmlich der Franken Abschied aus dem Regionalligasumpf, müssen für die Ewigkeit konserviert werden, die Bayern-Fans mögen sich an der vierzehnten Deutschen Meisterschaft erfreuen, unzählige geratene und schöne, komische und kriminell spannende Koch-Beiträge harrten ihrer Zugänglichkeit über die Tagesaktualität hinaus. Der brave MSV Duisburg soll eine gewichtige Rolle spielen und Effenbergs Tor, das Koch ankündigte, woraufhin der famose Hessische Rundfunk, mein Sender vor Ort, kurzerhand die bestellte Einblendung verließ. Und als 52,7 Prozent der Hörer von Kochs Hausprogramm, dem B-1-Format Heute im Stadion, Roberts Schilderung des Klinsmann-Anschlußtreffers gegen die Sechziger zum »Radiotor des Jahres 1997« wählten, war die Sache klar.

      Außerdem, und da rundet und krümmt sich nun das Projekt Wir hören Günther Koch! gleichsam relativitätstheoretisch wie -praktisch in sich selbst zurück, ruft Wir hören Günther Koch! keinesfalls ausschließlich den Reporter und neuerdings Popstar Robert Koch, sondern wartet zudem, quasi i. S. der Idee des »Bonus-Tracks« (K. Walter), mit gewissermaßen unterhaltungsindustriellen Neuerungen auf, insofern wir uns entschlossen, auch dem Nachwuchs der Gesellschaft was Tanzbares anzubieten, sprich Musik zu integrieren. Und brandneue, ja verteufelt frische, speziell für diesen Tonträger rasch zusammengedengelte zumal.

      »Ein Mann, ein Schuß, ein Tor – Der inoffizielle Song zur Fußball-WM ’98« ist unter keinen Umständen lediglich der inoffizielle Song zur Fußball-WM 1998, sondern wahrscheinlich ein geheimtipmäßiger Chartbreaker der dröhnendsten Sorte. Um ihn, den Smash-Hit, nicht allein in der Gegend herumstehen zu lassen und die kompositorische, die stilistische Balance zu wahren, findet sich mit dem Ska-Evergreen »G. Koch« von den Hinks ein zweites Stück ein. Gerne wiederveröffentlicht hätten wir weitere Paradebeispiele aus dem Genre des Fußballiedgutes avec Robert Koch, berückend fatale Moments musicaux wie Peter Fabian und die Treuen: »Wir fahren zum Club« (Musik: Dill/Tillis, dt. Text: Fabian; Arena Sound 1987), die nie auf Platte gebannte, Harold Faltermeyers »Axel F.« nachstellende Sampling-Rap-Dance-Produktion »Papa Tooor!« (Berlin 1988) oder den Frankengassenhauer »Nürnberg grüßt Europa« der Conny Wagner Show Band (MAXX Tonträger; enthält den schon sehr ausdauernden »Long version disco mix«), eine rare Weise, die die Weather Girls und die Schwedencombo Europe ingeniös miteinander vermalmt und den Hauch des Zeppelinfeldes atmet. Allein, der Platz reichte erneut nicht. Die Wissenschaft wird später nachsetzen, Klaus Walter verborgene Hipness und andere Trashkomponenten explorieren müssen.

      Am dollsten aber rockt eh Robert Koch pur. Auf vielfachen Wunsch haben wir keine Mühe gescheut, sogar das Nicht-Fußballerische breit zu berücksichtigen; also einerseits die technische Seite jeder Fußballradioreportage zu dokumentieren und Exempel für Schneidekommandos und Atmosphärisches einzustreuen (am 21. Februar 1998, kurz nach Redaktionsschluß, verstarb 75jährig Fritz Hausmann, der Gründer und langjährige Leiter von Heute im Stadion, seine Moderationen erinnern an bessere Zeiten); andererseits hören wir hier erstmals auch den Rhönradreporter Robert Koch, den Kanukommentator und den Schachschlawiner, der keine Konfrontation scheuen muß mit Samuel Becketts als herausragende Leistung des Sprachschaffens sanktionierter Schachreportage: »Bald verging eine ganze Pause, ohne daß irgendein Positionswechsel eintrat, bald war das ganze Brett in Aufruhr und glich einem Gewoge von Zügen.« (Murphy, Reinbek 1987) Vergleichen Sie nur selbst!

      Kaum zu ignorieren wäre und ist Robert Kochs Dernydiskurs. Größeren Raum nimmt, vom Dernysport abgesehen, der Derbygedanke ein. Nicht bloß das traditionelle Münchner Kräftemessen wird sorgfältig aufgearbeitet, überdies das wohl noch brisantere Nürnberg-Fürther Nachbarschaftsduell sieht sich gewürdigt. Im übrigen schafft Bayerns unvergessene Pokalschlappe gegen Vestenbergsgreuth zwischen München und Mittelfranken stringente Querverbindungen; so daß, den Interdependenzansatz zuspitzend, zuletzt die exquisiten, oft meisterschaftsentscheidenden Maispiele der Bayern (gegen Sechzig und den VfB) die Brücken schlagen zu Wir rufen Günther Koch!, wie es eleganter nicht ginge. Wobei wir, um den Braten vollends abzuschmecken, obendrein die spektakuläre Klinsmann-Getränkedose angesprochen hören.

      Allerdings fehlen abermals gewichtige Ereignisse und Reportagen, die es beinahe auf Wir hören Günther Koch! geschafft hatten und aus Platzgründen im allerletzten Moment abschmierten: Handballeuropapokalendspiele z. B., die Deutschen Schülermeisterschaften im Feldfaustball (SV Hof 1911 – TuS Rot-Weiß Koblenz), ein Livebericht vom Torwarttraining der Club-Amateure (vom 6. August 1980), Ringen selbstredend, Rallyesport, Eisschnellauf, Fechten, Biathlon und die eigentlich unverzichtbare Auseinandersetzung zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem FSV Frankfurt.

      Wer weiß, wer weiß, was fürderhin uns und Ihnen, geneigte Hörer, noch blüht. »Prellball?« fragte SDR 3 (Leute, 24. April 1997). »Schwierig«, so Robert »Günther« Koch.