Jürgen Roth

Fußball! Vorfälle von 1996-2007


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herein, und bisweilen blickte einer der TSC-Männer in die Richtung besonders lauter Hereinrufer.

      Keeper Weiland rettete in höchster Not. Das Dorf schrie, klagte, jammerte und schimpfte, die Männer in meiner näheren Umgebung schwitzten, fluchten und winkten ab. Viel Bier wurde schon jetzt, kurz nach vier, getrunken, zur Kühlung der erhitzten Gemüter, und der Zapfer mit der grünen Lederschürze machte einen zufriedenen Eindruck und gab jedem, der sein helles Bier kaufte, ein paar aufmunternde, tröstende Worte mit auf den Weg, noch sei das Spiel ja nicht zu Ende, und in zwei Wochen, die Hersbrucker, die werde man sicher wegputzen und dann wieder ein wenig hinaufklettern in der Tabelle. So der Bierzapfer am Rande des Fußballplatzes.

      Wenn es denn beim Nullnull bliebe, könne und müsse man zufrieden sein, sagte der Mann neben mir. Jetzt wolle er sich eine zweite Wurst gönnen und diese rasch verdrücken, ausnahmsweise, sagte der Mann und ging hinüber zur mobilen Wurstbraterei, die auch kalte Bratwurst feilbot.

      »Der Fußball«, erklärte Edmund Stoiber 1997, »ist ja heute praktisch schon ein gesellschaftliches Grundnahrungsmittel«, und eine Gesellschaft, die ihren Stoffwechsel kapitalistisch organisiert und destruiert, geht nicht zimperlich um mit dem Volksseelenfutter. Seit Juli eskaliert zwischen der Kirch-Gruppe und dem ARD-Fernsehen eine höchst krampfige Auseinandersetzung wegen der TV-Kurzberichterstattung von der samstäglichen Bundesliga. Das Konsortium des fränkischen Medienunternehmers löhnt den Vereinen pro Saison 750 Mio. Mark für die Übertragungsrechte, die der schwer defizitäre Bezahlkanal Premiere World refinanzieren muß, und weigert sich, dem Ersten freie Hand zu lassen bei der Wahl jener Partien, die man vor der auf die Prime Time 20.15 Uhr verlegten Gurkensendung ran (Sat.1/Kirch) in der Tagesschau zeigen möchte. Selbstredend begehrt die ARD das sog. Topspiel, Kirch, der Ligaverband und der assistierende DFB weisen das zurück. Borussia Dortmund, bemüht, Monetenspender Kirch in der Währung der Abhängigkeit und Exklusivität etwas zurückzuzahlen, gab bekannt, »keine ARD-Teams in die Stadien zu lassen« (Süddeutsche Zeitung, 24. Juli), während die »beleidigte« (FAZ) ARD »ihren Kamerateams und Reportern notfalls mit Hilfe der Gerichte Zugang zu den Stadien verschaffen« (Süddeutsche Zeitung, 20. Juli) will.

      Nun steht außer Zweifel, daß das Bundesverfassungsgericht 1998 die unreglementierte Kurzberichterstattung zum unantastbaren Rechtsgut erklärte. Deshalb reichte die ARD beim Landgericht München I einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen Kirchs Sportrechteagentur ISPR ein, der aber abgelehnt wurde. Bis zur letzten Instanz kämpfe man, hieß es danach aus den Reihen der tapferen Anwälte der Informationsfreiheit (»ein harter und dorniger Weg«, so der ARD-Vorsitzende Peter Voß, die Kirch-Hauspostille Bild tobte: »Feldzug«!), und die Chancen sind nicht übel. Dennoch fragte die Funkkorrespondenz (30/2001) zu Recht: »Für wie schlecht müssen die Kirch-Leute die ran-Sendung halten, wenn sie tatsächlich der Meinung sein sollten, diese einzweidrittel Minuten machen der anschließenden Sat.1-Sendung die Zuschauer abspenstig?«

      Die jüngsten ran-Quoten waren eine Offenbarung. Eine heimatmusikalische ARD-Produktion schlug am 4. August Jörg Wontorras alberne Faselshow locker – bei 7,1 zu 2,0 Mio. Zuschauern. Kirch wird die Sat.1-Zumutung an die Wand fahren, dann den eigenen Pay-TV-Laden versenken; die potenten Bundesligavereine danken für die Ocken und gründen, nach englischem Vorbild und der Verwertungslogik folgend, klubeigene Sender mit Hofschranzen an den Mikrophonen und gegebenenfalls virtuellen Stadionkulissen. Es wäre, käme es so, ein Segen, nämlich die Öffentlichkeit erlöst vom endlos zyklischen Theater um einen Sport, dessen Protagonisten nichts unversucht lassen, um ihn zu ruinieren.

      Und das deutsche Volk sollte deshalb nicht gleich verhungern.

      Was macht eigentlich Otto Baumgartner? Und was treibt der Spanier so? Womit beschäftigt sich die deutsche Boxweltmeisterin Regina Halmich? Und was ist denn da dauernd im Sport los?

      In bruchloser Fortsetzung des lasterbeladenen Luderjahres 2001 (wir erinnern kursorisch an Anni Friesingers freisinnige Bekenntnisse zum »erotischsten Sport überhaupt«, zum Eisschnellauf, an Stefan Kretzschmars weniger handball- und eher GV-bezogene Offenherzigkeiten oder an die Sexualturbulenzen im spanischen Fußball), in Verlängerung ebendieses denkwürdigen Jahres startete nahtlos weiter durch z. B. die Zeitschrift PLAYBOY, die sich zwecks Februarausgabe das kaum dreißigjährige und darob geringfügig unreife Ottmar-Hitzfeld-Gspusi Rosi Salioni schnappte, auf daß sie zu einer Bilderstrecke unter dem Titel »Die Geliebte des Generals« beichten durfte: »Der attraktivste Fußballer, den ich kenne, ist Lothar Matthäus. Er sieht gut aus und spielt großartig.«

      Wenn er auch nicht mehr spielt, der exilierte Münchner Muskelmann, dann sieht er wenigstens gut aus – fast noch besser wahrscheinlich als Schalkes oberster Lärmer Rudi Assauer, der für Bild seine extrem aufreizenden Zigarrensaunagänge knipsen ließ – und gleichwohl schwer abschmierte gegen den Ende Oktober 2001 im Feldwebelton zusammengestauchten Angestellten Emile Mpenza. Den nämlich wählte, da sie sonst nix zu tun hat, am 30. Januar zugunsten der Bild-Zeitungsleserschaft besagte Regina Halmich unter »die zehn schärfsten Sportler« resp. »Sportler-Bodys«, knapp hinter Trainingspartner Wladimir Klitschko und vor beispielsweise Michael Schumacher. Letzterer besitze keinen ganz so hohen »Erotik-Faktor« und fährt ja bloß vermummt im allerdings affengeilen roten Auto herum.

      Den vorerst handgreiflichsten Erotikfaktor jedoch haben fünf Profis des spanischen Renommiervereins FC Barcelona angepeilt. Kluivert, Cocu, Gabri, Dani und Gerard, so berichtete die schockierte Weltpresse, feierten kürzlich vor einer Auswärtspartie in Madrid eine recht unanständige, 4.000 Euro verschlingende Fete mit vier Prostituierten, woraufhin die Klubführung laut Bild eine »Orgien-Erklärung« verlangte und die Fans der katalanischen Edelschmiede »aufgeblasene Sex-Puppen mit Barça-Mützen« (Bild) schwenkten. Weil sie frecherweise nicht dabeisein durften beim Erotikevent?

      »Einige Spieler bezahlen auf dem Fußballplatz für das, was sie in ihrem Privatleben tun«, kommentierte Barça-Trainer Carlos Rexach den Vorfall. Für einen anderen und sehr viel schmerzlicheren Vor- bzw. Unfall fand indes vor fast siebzehn Jahren ein Coach namens Klaus Sturm folgende Worte: »Er war kurz vorm Nervenzusammenbruch, saß nach dem Spiel noch geistesabwesend in der Kabine. Wir mußten ihm die Sportklamotten ausziehen und ihm in seine Privatsachen helfen.«

      Was war geschehen? Wir zitieren aus der Bild vom 18. April 1985:

      »Bayernligaspiel FC Bamberg gegen Jahn Regensburg (1:0), die 74. Minute, unvergeßlich. Regensburgs Mittelfeldspieler Otto Baumgartner (22) ist gerade eingewechselt worden, er steht im Mittelkreis. Sein Torwart wirft ihm den Ball zu, da stoppt Otto das Leder mit der Brust […]. Otto stürmt los, Richtung eigenes Tor. 600 Fans des Gegners staunen erst, dann feuern ihn die ersten an.

      Otto erreicht die Strafraumgrenze. Er ist ein guter Mann, hat früher sogar in der Jugendnationalelf gespielt. Otto umspielt seinen Verteidiger Grabmeier und schießt – traumhaft sicher trifft er flach ins rechte Eck. 1:0 […].

      Und der Regensburger Torwart Mühldorfer? Der hatte gar nicht reagiert und war ganz ungläubig: ›Ich dachte bis zuletzt, Otto würde ’ne Rückgabe machen.‹«

      Später »entschuldigte sich Otto bei Regensburgs Fußballboß Eberl. ›Ich hatte totalen Filmriß. Ich hab’ bei meinem Sturmlauf nichts gehört und nichts gesehen. Als ich die entsetzten Gesichter meiner Kameraden sah, wurde mir bewußt, was ich angestellt hatte.‹«

      Uli Hoeneß hatte Otto Baumgartner einen Profivertrag versprochen. Baumgartner hängte aber die Fußballschuhe an den Nagel. Otto wechselte ins Fuhrunternehmen seiner Eltern.

      Diese vergessene Geschichte gemahnt uns angesichts der Woche um Woche heftiger brausenden Sperenzchen rund um all die geldunersättlichen Sebastian Kehls, meinungskräftigen und tattooprotzenden Stefan Effenbergs und waschbrettbauchdarstellerisch tätigen Cracks an wahre, herzerschütternde Tragik, an Zerbrechlichkeit, Schwäche, an die Möglichkeit des Scheiterns, die in der gegenwärtigen Welt des Dicktuns und narzißtischen Gehampels nicht mehr vorgesehen ist.

      Ja, was