der Widersprüche schätzt: »Ganz anders unsere Nationalspieler, die auf ebenso gepflegtem Rasen antreten wie in München, Mailand oder Manchester«, und über die – dialektisch geforderte – dreifache Alliteration, den Inhaltsgleichschritt bei stabreimendem Anklang, über eine rhetorische Figur mithin, die vor Holzschuh nur ein Richard Wagner annähernd so geschickt zu handhaben verstand, findet Holzschuh zurück zur Appellation als der eigentlich sinnstiftenden Textart des Fußballjournalismus. Unmißverständlich gibt er für Völler und dessen Mannschaft das »Nahziel« aus, »mit Schwung und Kampfgeist das Vertrauen der Fans zurückzugewinnen«, um dann spätestens 2006 den Titel zu erringen.
Das Ringen um Gehalt, der Kampf um Größe: Nicht allein die imposant monomotivlichen Farbphotographien, die oft genialen Wort-Bild-Korrespondenzen (die Überschrift »Alles steht und fällt mit Käpt’n Keane« kommentiert eine Spielszene, in der um den aufrecht stürmenden irischen Spielführer herum alles fällt und liegt) und die biblische Flut an Fakten, an statistischem Material (Stadiongrößen etc.), historischen Daten (Qualifikationsergebnisse etc.) und Spielernamen (Zinedine Zidane etc.) machen das kicker-WM-Sonderheft zum unentbehrlichen Begleiter während vier aufregender Wochen. Zudem prägt dieses auch haptisch höchst passable Resultat eines gigantischen publizistischen Kraftaktes ein selten gewordenes Gefühl für die harmonische Komposition, ein, cum grano salis, klassizistisches Konzept mit zeitnaher Zielrichtung und knallbunten, dem objektiven Preßgeist geschuldeten Boulevardeinsprengseln. Im Abschnitt über die deutschen Gegner aus Gruppe E heißt es z. B.: »Kamerun – das sind nicht nur die ›unzähmbaren Löwen‹, es ist auch Patriotismus pur.«
Den Willen zur Innovation pur unterstreicht zumal die formale Klammer der zwei Spielpläne – vorne der reizvoll kolorierte und durch Bitburger-Bildchen verzierte zweiseitige Klappspielplan, hinten die einseitige Kadenz des WM-Kalenders. Dazwischen regiert der Gedanke der Synthese von »Pflicht-Informationsangebot« und sprachlicher Kür. Unter zahllosen journalistischen Topofferten wie Taktikschemen, Regelerläuterungen (»Jeder Spieler trägt im Verlauf des Turniers eine feste Nummer, […] die jeweils auf dem Rükken, der Brust und der Hose angebracht ist. Über der Rükkennummer ist der Familienname des betreffenden Spielers anzubringen«) und intimen Insidernews (Lizarazu, »der Vater eines Sohnes, ist ein begeisterter Surfer, auf dem Brett auf dem Atlantik genauso wie im Internet«) wären die Tabellen gesondert zu erwähnen: Exakte senkrechte schwarze Linien treffen auf graue Horizontalstriche, darüber liegt ein roter Querbalken mit beispielsweise der Zeile »Spieler, Tore, Noten«, und in den viereckigen Freiflächen tummeln sich ganz unterschiedliche Zahlen.
Diese Informationspolitik der Reichhaltigkeit ergänzt der abgeklärte Stil einfühlsamer Hintergrundberichte und Analysen, elaborierter Rückblicke und (Experten-)Prognosen. Sie bilden das seriöse Passepartout für Inseln der Lust am plastischen Ausdruck. Erst wo journalistische Dezenz obwaltet, kann der schmückende Wortwitz zu Höchstform auflaufen und in die philosophische Tiefe geflankt werden. »Das deutsche Team kurz vor der WM: Sicher ist nur, daß kaum etwas sicher ist«, weiß Wolfgang »Sokrates« Tobien und faßt im unverwechselbaren kicker-Substantivierungssound zusammen: »Mit seiner großen Popularität und Beliebtheit beschleunigte Rudi Völler den Wiedergewinn des öffentlichen Wohlwollens beim Neubeginn nach der EM 2000.«
Allen voran wirft Karl-Heinz Heimann sein Scheinwerferlicht mit erkenntnistheoretischer Verve und Spaß an der Formulierungsfreude auf sämtliche Phänomene des »Welt-Fußballs«. Ein paar Kostproben aus dem Einführungsessay müssen leider genügen: »Deutschland kann, wenn der Start gelingt und die Spieler ihr Selbstvertrauen finden, weiter kommen, als viele denken.« Oder: »Viel wird von den Schiedsrichtern abhängen.« Oder: »Die sportlich wichtigste aller Fragen heißt natürlich auch diesmal: Wer wird Weltmeister?«
Schon vor Beginn der Weltmeisterschaft bleibt festzuhalten: Der Ball läuft rund durch die Zeilen. »Der syntaktische Schaum« (S. 92), aus dem der adidas-WM-Ball »Fevernova« hergestellt wurde, seift das prächtige Extrablatt allseitig ein. Mit dem kicker-WM-Sonderheft hat der Olympia-Verlag eine weltmeisterliche Leistung abgeliefert. An diesem Wurf werden die Konkurrenten von Focus bis Fit For Fun schwer zu blättern haben, und sie werden angesichts der erdrückenden Kompetenzübermacht der kicker-Truppe ebenso ins Schwitzen geraten wie die Akteure auf den gepflegten Rasenflächen Südkoreas und Japans.
O du, Türkei
Türkei, nicht ganz unglücklich / Sollst Du Dich schätzen / Ob Deiner Mannen. / Hand und Fuß meist hat, was hinten / Aktas tut, und / Den Kopf wissen jeweils zu benutzen die / Zwei vor ihm, dem Wächter des Tores, die beiden, welche / Hören auf die Namen schön und hell: Asik und Akyel. //
Nicht also sollst noch wirst Du zagen, Türkei, nicht / Die Flinte ins Korn werfen und den Ball schlagen ins Aus. / Nein, über Özalan und Özat möcht’ er laufen geschwind, und wie der Wind vom Bosporus / Herüberwehen soll es Flanken auf mittellinks, wo das / Leder sich schnappt Belözoglu und treibt es voran, vielleicht / Gibt er auch mal ab auf Buruk, der schickt / Davala steil oder Dursun oder / Den jungen Sas. //
Außerdem, Türkei, ist da / Ja noch Bastürk, der Kleine, / Der Feine und Flinke und Fabelhafte, derjenige / Bastürk, liebe Türkei, den wir lieben / Von Leverkusen her. / Ihm, Türkei, vertraue Dich an, / Ihm, Bastürk, schenke Dein Herz, und / Du wirst selbst in den bitteren / Momenten der Niederlage, der Schmach, / Den Mut nicht verlieren, denn / Es wird kommen ein neuer Tag, und mit dem neuen Tag / Wird kommen ein neues Spiel. //
Türkei, auch wenn Rüstü Recber zwischen / Den Pfosten verharrt und Korkmaz, Temizkanoglu und Ünsal die Kette schmieden, / Auch dann, wenn Ercan in der Mitte wühlt und Havutcu ihm zur Seite steht, auch / Dann, Türkei, und sollte gar den Sturm bekränzen Mansiz von Besiktas, Türkei, auch dann / Ist nichts verloren und alles offen. / Und so laßt hoffen uns und erträumen mehr, / Mehr Tore und Torschüsse und Torschußversuche, / Denn dann, Türkei, / Sei dem Halbmond glanzvoll der Weg gewiesen zum / Silbrig beschienenen güldnen Pokal. //
Aber, Türkei, hier unten, vor meiner Tür, machst / Du bitte das nächste Mal nicht ein solches Geschrei. / Dafür ist doch ein »Türkischer Sozialdienstverein e. V.« nicht gedacht!
Die Schönheit der Eigentlichkeit
Und es sprach der Allmächtige, bürgerlich Franz Beckenbauer, im Kundenserviceblatt Premiere Magazin (5/2002): »Ach, das sind doch populistische Aussagen von Politikern. Die sagen: Alle Spiele müssen ins Free-TV und dürfen kein zusätzliches Geld kosten. Klar, die Leute klatschen und denken: Bravo, das ist unser Mann! Aber ich sage Ihnen, das ist ein Populist! Wo gibt’s denn heute noch etwas umsonst?« Bei e-plus?
Es ist nicht so, daß Franz Beckenbauer zu den Intellektuellen zählt, deren öffentliche Worte den populistischen Verkürzungen, Verdrehungen und Verfälschungen das nüchterne, nicht interessengeleitete Urteil entgegenhalten. Es scheint eher so zu sein, daß sich Franz Beckenbauer nicht zu schade ist, der Postille seines Haussenders ein Interview zu gewähren, in dem er tatsächlich derart haltlos daherredet, wie das nur einer tun kann, der gar nicht mehr wahrnimmt, was er ventiliert. Und als genüge das nicht, entblößt er seine aufdringliche Opportunität zudem aufs gravierendste, indem er dem Arbeitgeber ein Zeugnis ausstellt, das zwischen Propaganda und einem irgendwie Westerwelle-affinen Dauerbekenntnis zu Wettbewerb und Leistung changiert: »Was gut ist, kostet Geld, und da gibt es im Fußball zu Premiere überhaupt keine Alternativen. Das ist das beste Programm, das es jemals in Europa gegeben hat.«
So ähnlich dürfte das auch Premieres Starreporter Marcel Reif sehen, und je schwächer das Produkt Premiere nachgefragt wird, desto lauter schallt es aus dem Blätterwald der eigenen Fernsehgemarkung. »Die Weltmeisterschaft ist einfach der absolute Höhepunkt in diesem Sportjahr«, rührt Reif verzweifelt die Trommel, und das aktuelle Premiere Magazin (6/2002) assistiert ihm angstbeladen, man warte »mit den besten Kommentatoren und Experten« auf und schaffe »mit weltmeisterlichem Aufwand« »das beste WM-Programm aller Zeiten«.
Nicht ganz. Aber ungefähr. Premiere ist gut, weil man nicht anders kann. Es fehlt das Geld, lediglich zwei Reporter weilen vor Ort, Reif und der erstaunlich engagiert-kenntnisreiche, unprätentiöse Fritz von Thurn und Taxis, und der Rest muß im Münchner Studio