konzentrierte Weltmeisterschaft, gemäß dem ehernen Fernsehgesetz: weniger Leute, weniger Geschwätz.
Während die Öffentlich-Rechtlichen, die pro Tag lediglich ein »Topspiel« übertragen dürfen, ein beklagenswertes Schauspiel der Maßlosigkeit, d. h. der völlig aus dem Ruder gelaufenen Rand- und Rundumberichterstattung bieten, ja eine diabolisch aufgeblasene Trinität aus Delling-Netzer- oder Poschmann-Rehhagel-Duetten, Schaltungen und – z. T. sehr »lustigen« – Filmen ins Werk richten, konzentriert sich das Nischenprogramm Premiere bei vollem Fußballprogramm – gezwungenermaßen – auf die Sache selbst.
List der »freien Marktwirtschaft« (G. Westerwelle), des Kapitalismus: Weil die Ressourcen fehlen, wächst, quasi hölderlinsch rettend in der größten Gefahr, das Lösende, zerstäubt der Krampf des hybriden Event-TVs, wird Bescheidenheit zur Zier der Sachlichkeit, entsteht aus dem Mangel Qualität, aus der Kargheit die Schönheit der uneitlen »Eigentlichkeit« (Adorno), erwirkt die Verknappung der Mittel eine Besinnung aufs »Wesen« (Hegel) des nach wie vor ziemlich großartigen Sportspiels Fußball.
Bloß ARD und ZDF begreifen es nicht, sie begreifen nichts. Die ARD läßt Heribert Faßbender die »Veronkelung der Fußballreportage« (Süddeutsche Zeitung, 3. Juni) vorantreiben und Adlatus Wilfried Mohren lustlos möhren, es sei »ein bißchen wirbelig da hinten«, einstweilen Günter Netzer seine hochavantgardistischen Schnarchsackstatements ins Hamburger Studio stottert, etwa die sagenhafte Einschätzung: »Barthez hat eine Reaktion mit dem Fuß.«
Charmant hingegen die Sekundanten und Sekundärkommentatoren von Premiere. »Man sieht es ganz knallhart schon«, beweist Lothar Matthäus zu München-Unterföhring knallklar-glasharten Durchblick, und Studiopartner Dieter Nickles grinst, gähnt auch mal und erläutert frei flottierend: »Vor dem Spiel weiß man eigentlich gar nicht viel.« Diese schlichte Einsicht konterkariert allerdings Allstar Bekkenbauer und verrät, vor dem Anpfiff hätten die Spieler »Zeit, um sich die letzten Rituale noch mal zu machen«, was Beckenbauers Ziehsohn Matthäusmatze wiederum durch den gescheiten Einwurf auf den Kopf des Fußballs stellt: »Im ersten Spiel muß man gewisse Weichen setzen.«
Die Premiere-Mannschaft agiert seit dem ersten Spiel ohne Fehl, ohne Tadel und mit viel Taktgefühl. »Das ist natürlich alles ’ne Riesennummer kleiner«, sprach Marcel Reif bei Deutschland – Saudi-Arabien nolens volens ein wahrhaftiges Wahrwort, und zwischen kurzen Vorberichten und konzisen Zusammenfassungen geben die Reporter unaufgeregt ihr Bestes, zum besten der Reportage. Ein Ire sei »die personifizierte Standardsituation«, hörten wir da, oder Michael Pfadt schuf die Kausalität: »Boris Zivkovic ist per Platzverweis nicht mehr da«; indessen des Mexikaners Luis Hernandez Einsatz so erhellt wurde: »Dreiunddreißig Jahre alt, hat aber natürlich Platz.«
Premiere wurde binnen weniger Tage zum Quell der Freude. »Das ist eine Erkenntnis, die wir gefunden haben«, pflichten wir Dieter Nickles bei und ergänzen mit Premiere-Deuter Toni Schumacher: »Das ist alles so ’n bißchen ins Fröhliche gehalten.« Nur einmal befand sich selbst das weithin des Platzes verwiesene ZDF auf der Ballhöhe der neuen Zurückhaltung. Während der Begegnung England – Schweden sinnierte man beklommen, weshalb die üblichen Kameraschwenks hinüber zur Haupttribüne der Wichtigtuer dieser Welt ausblieben, und Béla Réthy (ZDF) lüftete den Schleier der Unwissenheit: »Aus Sicherheitsgründen dürfen keine Prominente gezeigt werden.« Nicht mal die popeligen Beckenbauers.
Das Gebührenfernsehen braucht eine politisch erzwungene antipopulistische Regie, das alternativlose Bezahlfernsehen bloß weniger Zahlende. Der Kapitalismus, heißt es bei Karl Marx, ist die revolutionärste Kraft der Menschheitsgeschichte. Zumindest der jüngeren Fernsehgeschichte.
In Schlagzeilengewittern
Gestern, bei Deutschland – Irland, mal ZDF, das Zweitbeste Deutsche Fußballfernsehen unter zwei Anbietern. Draußen erstaunlich viel Verkehr. Die armen Müllmänner müssen schuften. Mein augenblickliches Lieblingsdrecksblatt Bild packt nach den Schlagzeilen »Rudi, haudi Saudi« und »Klose, schieß sie aus der Hose!« im Sportteil auch die Line »Frau Kahn in Japan eingetroffen«. Na so was.
Ich bin pünktlich zum Spielbeginn auf meinem irischgrünen Sofa eingetroffen. Experte O. Rehhagel sieht »Flankengewitter« heraufziehen. Kurz zu Premiere, um der öffentlich-rechtlichen Werbefolter zu entgehen. Der dortige Fr. Beckenbauer attestiert »uns« (Jockel Fischer), »das haben wir auch gar nicht notwendig«. Was? Nervös zu sein?
Béla Réthy flattern die Nerven und stottert angesichts der stürmischen Inselbarbaren: »Man hatte mit einer abwartenderen Abwartung gewartet.« Der Janckerschrank fällt um. Ich greife zu einem Beruhigungserfrischungsgetränk mit grünem Etikett. Mein grünes Sofa ächzt.
Bis zur 19. Minute. Erst setzt endlich »Inselwetter« (Réthy), meint: Regen, ein, dann köpfelt Klose, noch in der Hose, ein. Kahn kocht. »Einige werden dieses Spiel feucht genießen müssen.« (Réthy) Ich auch.
Réthy verliert völlig die Sprachfassung und sieht »keine Anspielstation in einem Bereich, der Sinn macht«. Kahn hält wie ein Wahnsinniger. Bevor überhaupt irgendwas und noch dazu ein Bereich »Sinn macht«, mache ich die Bild-Überschriften von morgen. »k. u. k. – Klose und Kahn!« Zu schlapp. »King Kahn König«. Öde. »Irrer Kahn knockt (K)Ir(r)land k. o.«. Puh. Bäh. Dann lieber »Deutschland kahnenklos – Irland torlos«.
Wie? So nicht? O. k. Also: »Kahn killt Kelten«. Genau. Ein Belohnungsschluck. Bode kommt. Muß das 2:0 machen. »Marco macht die Bode«. Nix war’s. Und dann die 93. Minute. Es fehlten dieser Glosse neunzig Sekunden bis zum Erreichen des Achtelfinales. Und der Herr Redakteur muß natürlich das letzte Wort behalten: »Klose, das ging in die Hose«. Bzw. Franz Beckenbauer: »Woas die Zeitungen schreib’n, is’ ja völlig wurscht.«
Fernsehradio
Ich schätze Tom Bayer, die honorig-sonore Fußballradiostimme des WDR, sehr, und ich hab’ Tom Bayer sogar mal kennengelernt. Er hatte zusammen mit Günther Koch die Bundesligapartie Bayern – Dortmund in voller Länge übertragen, und hinterher beim Bier plauderte er so charmant und fachlich brillant wie via Äther.
Ich bin also positiv voreingenommen gegenüber Tom Bayer, und deshalb ist um so bedauerlicher, was er derzeit als Premiere-Reporter bietet. Bayer tönt gewohnt freundlich und spielt die natürlichen Stärken seiner Stimme aus, aber so gewinnend der Klang, so mißlich die Gesamtanlage seiner Reportagen. Bayer beherrscht die Kunst der Radiodramaturgie aufs trefflichste, den situationsbedingt schlagartigen Wechsel zwischen Schilderung, Abschweifung, Stakkato und Crescendo, doch leider vergißt er, daß er gerade einem anderen Medium dient.
Günther Koch arbeitet nicht fürs Fernsehen. Er weiß, er sähe schlecht aus, er würde zu ausführlich, zu breit daherreden. Tom Bayer redet pausenlos, pausenlos zu breit, zu ausführlich daher. Die Dimensionen eines Werner Hansch erreicht er nicht, trotzdem tut das weh, denn er hätte es nicht nötig, jeden Kurzpaß, jeden Flankenwechsel, jede Körperdrehung, jedes Replay zu kommentieren. »Aber jetzt schauen wir erst mal hin, was Allbäck macht«, fordert er uns auf, und das müßte nicht sein.
Bayer braucht eigentlich kein Vorbild. Ausnahmsweise nehme er sich bitte eins – am eher wortkargen Premiere-Kollegen Wolf-Christoph Fuß. Radio machen im Fernsehen ist Formel-1-Fahren auf der Kartbahn.
Sieben Schwedenspielgeschichten
Es war so, daß der erbarmungslose Schwed mit einem Unentschieden, und wäre dies auch nur ein torloses 0:0-Unentschieden gewesen, zufrieden gewesen und in der nächsten Runde gelandet wäre. Also setzte er auf seinen Tormann Isaksson und machte mit den restlichen Mannen dicht. Da schauten die Argentinier.
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Vorne beim Schwed war bloß Larsson abgestellt, die Glatze. In der Mitte zog der Schwed rund um Mellberg eine fünf Mann hohe Mauer hoch, und hinter ihr stand eine feste Viererkette. Die Matten des Gegners, d. s. die langhaarigen Angreifer der Argentinier, rannten ein ums andere Mal auf dieses Bollwerk los. Es nützte vorläufig nichts.
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Es war um die 28. Minute herum, daß der Argentinier