Jürgen Roth

Fußball! Vorfälle von 1996-2007


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wußten wir, lag lange schon schlimm darnieder: »Die

      In 15 Länder zerfallene Sowjetunion ist bei der WM 98

      Überhaupt nicht dabei …«

      Und wir dachten an Jaschins Flüge

      1966, an Rudi Michels Rede und an den

      Halbfinalsieg, ein schönes Spiel. Und »die

      Südamerikaner gewannen vier WM-Turniere, mehr

      Als irgendeine andere Mannschaft«, aber sie taten sich auf europäischen Gründen

      Stets sehr schwer, sie könnten bald ausscheiden und Heimfliegen. Doch haben sie, wußten wir da, einen, den

      Nennen sie Ronaldo, »es sind«, erklärte uns

      Der kicker, »seine überraschenden Einfälle,

      Mit denen er Spiele wieder flottmachen kann. Der Eindruck, er würde nicht viel tun während

      Des Spiels, stimmt ja nicht.«

      Und wir nickten, und wir ärgerten uns und sorgten uns, Ronaldo könnte

      Zu oft, allzuoft treffen, und Lothar hätte das Nachsehen, der

      Fünffache gepriesene Teilnehmer, dessen Schuß gewaltig und

      Dessen Antritt noch immer feurig.

      Und wir lasen mehr. Wir lasen eine Spalte, wir lasen eine zweite Spalte, wir lasen die dritte,

      Wir lasen: Er, Ronaldo, »vor allem nährt die Hoffnungen«, er nähre Siegessehnsüchte

      Seines Trainers und seines Verbandes, aber man solle

      Die anderen nicht vergessen. Das war klar.

      »Die Mannschaft des Veranstalterlandes«, lasen wir, »wächst meist,

      Angefeuert von den heimischen Zuschauern,

      Über ihr gewohntes Leistungsvermögen

      Hinaus«, und wir lasen: »Italien

      Wird in allen Diskussionen

      Genannt«, und wir lasen:

      »Südamerikas Qualifikationssieger

      Argentinien kann sich

      Großer Aufmerksamkeit erfreuen.«

      Und wir lasen:

      »Allerdings muß es auch

      Bei einer Weltmeisterschaft

      Nicht immer so sein,

      Wie es war.«

      Und wir hofften, und wir blätterten um.

      Und da sahen wir, wie er

      Geschrieben und wie sein Wort

      Gestalt hatte und wie er meinte:

      »Wir haben wahrscheinlich

      Die älteste Mannschaft des Turniers.«

      Und wir verzagten erneut. Und »doch«,

      Bedachte er, »das hat auch etwas Positives an sich:

      Wir verfügen über einen großen Kreis

      Erfahrener Spieler, generell und auch speziell

      Bei WM-Turnieren«, und das Stimmte.

      Und wahr war sein Wort: »Unsere Mannschaft […] hat das Zeug, im Konzert der Weltbesten

      Eine tonangebende Rolle zu spielen.« Und

      Wahr war und wahr ist: »Sie ist verpflichtet, ihre Ziele hoch zu stecken.«

      Und aber wir wußten auch, da er sann: »Aber niemand kann eine Garantie abgeben.«

      Denn, das wußten wir so gut wie er, »zunächst

      Einmal muß sie in ihrer Gruppe bestehen.«

      Denn »die ganze Konzentration

      Darf immer nur dem nächsten Schritt

      Gelten.« Denn

      »Wer schon vom übernächsten Schritt redet,

      Wird beim nächsten schon auf die Schnauze fallen.«

      Das schrieb er, und es stimmte.

      »Siehe unsere Erfahrungen bei der

      WM 1994 in den USA«, siehe den Halunken

      Stoitch- und siehe den Lumpen HSVkov, und siehe,

      Er gab uns recht: »Ergebnis

      Noch in aller Erinnerung …«

      Und also rüsteten wir uns und

      Gingen wir in uns, und wir lasen noch ein

      Stück, und wir stimmten ihm zu. Denn

      Er hatte geschrieben: »In jedem Spiel

      Trifft man auf einen Gegner, Der sich ebenfalls darauf vorbereitet

      Und sich etwas vorgenommen hat.«

      Und wir priesen still seinen Namen

      Und dankten ihm, daß er seinen Scheinwerfer

      Geworfen hatte und sich und auch

      Uns wünschte: »Hauptsache, es wird Fußball gespielt.«

      Und es werde gespielt bis zum Schluß, denn

      »Abgerechnet wird erst am Schluß, der

      Neue Weltmeister steht frühestens

      Am Sonntag, 12. Juli, 22.45 Uhr fest. Es kann

      Aber auch noch um einiges

      Später werden: Wenn es eine Verlängerung

      Gibt, ein ›Golden Goal‹ oder gar erst ein

      Elfmeterschießen

      Entscheidet.«

      Und es stand ein Kasten unten drunter,

      Und der Kasten zeigte

      Die Weltmeister seit neunzehnsechsundsechzig

      Und fragte: »Steht der Weltmeister 1998 schon fest?«

      Und es stand aber bloß

      Geschrieben neben der

      Zahl 1998:

      »???«

      Die aufgeregte Gegenwart kannte bis vor kurzem keinen verhaßteren und gröber geschmähten Fußballer als den Münchner Lothar M. Kein anderer mußte sich derart ausdauernd beleidigen, veräppeln, in den »Schlamm der schmierigsten Halbweltanschauung« (Karl Kraus) hinabzerren und mit allerlei eilfertig dämlichem Spruchwerk belästigen lassen. Gewiß, er, der geniale Langpaßschläger und weitblickende, unbekannte Horizonte des Fußballs abschreitende und die Räume des Rasens gewandt und geschwind durchmessende Stratege von odysseischen Gnaden, er, der Bubenparvenü, er, der später aus Pumas Obhut gen Mönchengladbach entlassene Bolzer und Renner und Grätscher und flinke Läufer, er, der Übersicht wahrende Lothar M., zwischenzeitlich Italiens geliebter Sohn und, Gott sei hoch gepriesen, zurückgekehrter Bayernlibero, er lieferte schon den einen oder anderen Anlaß, um sich über ihn zu echauffieren. Zu affig und affektiert hantierte er vor aller Welt mit geschätzten zwanzig Handys herum, und seine riefenstahlaffine Ablichtung zugunsten der Kreditkartenfirma American Express hätte wirklich nicht sein müssen. Das tat weh, das schmerzte.

      Freilich, wenig dürfte leichter sein, als Fußballer zu imitieren und ihren Dialekt zum psychischen Defekt zu erklären. Was W. Boning und die neudeutsche Comedyblase bzgl. Lothar M. wider Willen dokumentierten, war nichts anderes als die schäbige Einfallslosigkeit eines Kabarettistenschmus, der inferiorer ist als jeder zusammengestotterte Satz eines Fußballers, der Fußball spielen und nicht klug daherreden können muß. Daß Lothar M. durch