wußten wir, lag lange schon schlimm darnieder: »Die
In 15 Länder zerfallene Sowjetunion ist bei der WM 98
Überhaupt nicht dabei …«
Und wir dachten an Jaschins Flüge
1966, an Rudi Michels Rede und an den
Halbfinalsieg, ein schönes Spiel. Und »die
Südamerikaner gewannen vier WM-Turniere, mehr
Als irgendeine andere Mannschaft«, aber sie taten sich auf europäischen Gründen
Stets sehr schwer, sie könnten bald ausscheiden und Heimfliegen. Doch haben sie, wußten wir da, einen, den
Nennen sie Ronaldo, »es sind«, erklärte uns
Der kicker, »seine überraschenden Einfälle,
Mit denen er Spiele wieder flottmachen kann. Der Eindruck, er würde nicht viel tun während
Des Spiels, stimmt ja nicht.«
Und wir nickten, und wir ärgerten uns und sorgten uns, Ronaldo könnte
Zu oft, allzuoft treffen, und Lothar hätte das Nachsehen, der
Fünffache gepriesene Teilnehmer, dessen Schuß gewaltig und
Dessen Antritt noch immer feurig.
Und wir lasen mehr. Wir lasen eine Spalte, wir lasen eine zweite Spalte, wir lasen die dritte,
Wir lasen: Er, Ronaldo, »vor allem nährt die Hoffnungen«, er nähre Siegessehnsüchte
Seines Trainers und seines Verbandes, aber man solle
Die anderen nicht vergessen. Das war klar.
»Die Mannschaft des Veranstalterlandes«, lasen wir, »wächst meist,
Angefeuert von den heimischen Zuschauern,
Über ihr gewohntes Leistungsvermögen
Hinaus«, und wir lasen: »Italien
Wird in allen Diskussionen
Genannt«, und wir lasen:
»Südamerikas Qualifikationssieger
Argentinien kann sich
Großer Aufmerksamkeit erfreuen.«
Und wir lasen:
»Allerdings muß es auch
Bei einer Weltmeisterschaft
Nicht immer so sein,
Wie es war.«
Und wir hofften, und wir blätterten um.
Und da sahen wir, wie er
Geschrieben und wie sein Wort
Gestalt hatte und wie er meinte:
»Wir haben wahrscheinlich
Die älteste Mannschaft des Turniers.«
Und wir verzagten erneut. Und »doch«,
Bedachte er, »das hat auch etwas Positives an sich:
Wir verfügen über einen großen Kreis
Erfahrener Spieler, generell und auch speziell
Bei WM-Turnieren«, und das Stimmte.
Und wahr war sein Wort: »Unsere Mannschaft […] hat das Zeug, im Konzert der Weltbesten
Eine tonangebende Rolle zu spielen.« Und
Wahr war und wahr ist: »Sie ist verpflichtet, ihre Ziele hoch zu stecken.«
Und aber wir wußten auch, da er sann: »Aber niemand kann eine Garantie abgeben.«
Denn, das wußten wir so gut wie er, »zunächst
Einmal muß sie in ihrer Gruppe bestehen.«
Denn »die ganze Konzentration
Darf immer nur dem nächsten Schritt
Gelten.« Denn
»Wer schon vom übernächsten Schritt redet,
Wird beim nächsten schon auf die Schnauze fallen.«
Das schrieb er, und es stimmte.
»Siehe unsere Erfahrungen bei der
WM 1994 in den USA«, siehe den Halunken
Stoitch- und siehe den Lumpen HSVkov, und siehe,
Er gab uns recht: »Ergebnis
Noch in aller Erinnerung …«
Und also rüsteten wir uns und
Gingen wir in uns, und wir lasen noch ein
Stück, und wir stimmten ihm zu. Denn
Er hatte geschrieben: »In jedem Spiel
Trifft man auf einen Gegner, Der sich ebenfalls darauf vorbereitet
Und sich etwas vorgenommen hat.«
Und wir priesen still seinen Namen
Und dankten ihm, daß er seinen Scheinwerfer
Geworfen hatte und sich und auch
Uns wünschte: »Hauptsache, es wird Fußball gespielt.«
Und es werde gespielt bis zum Schluß, denn
»Abgerechnet wird erst am Schluß, der
Neue Weltmeister steht frühestens
Am Sonntag, 12. Juli, 22.45 Uhr fest. Es kann
Aber auch noch um einiges
Später werden: Wenn es eine Verlängerung
Gibt, ein ›Golden Goal‹ oder gar erst ein
Elfmeterschießen
Entscheidet.«
Und es stand ein Kasten unten drunter,
Und der Kasten zeigte
Die Weltmeister seit neunzehnsechsundsechzig
Und fragte: »Steht der Weltmeister 1998 schon fest?«
Und es stand aber bloß
Geschrieben neben der
Zahl 1998:
»???«
Der Langpaß-Odysseus
Die aufgeregte Gegenwart kannte bis vor kurzem keinen verhaßteren und gröber geschmähten Fußballer als den Münchner Lothar M. Kein anderer mußte sich derart ausdauernd beleidigen, veräppeln, in den »Schlamm der schmierigsten Halbweltanschauung« (Karl Kraus) hinabzerren und mit allerlei eilfertig dämlichem Spruchwerk belästigen lassen. Gewiß, er, der geniale Langpaßschläger und weitblickende, unbekannte Horizonte des Fußballs abschreitende und die Räume des Rasens gewandt und geschwind durchmessende Stratege von odysseischen Gnaden, er, der Bubenparvenü, er, der später aus Pumas Obhut gen Mönchengladbach entlassene Bolzer und Renner und Grätscher und flinke Läufer, er, der Übersicht wahrende Lothar M., zwischenzeitlich Italiens geliebter Sohn und, Gott sei hoch gepriesen, zurückgekehrter Bayernlibero, er lieferte schon den einen oder anderen Anlaß, um sich über ihn zu echauffieren. Zu affig und affektiert hantierte er vor aller Welt mit geschätzten zwanzig Handys herum, und seine riefenstahlaffine Ablichtung zugunsten der Kreditkartenfirma American Express hätte wirklich nicht sein müssen. Das tat weh, das schmerzte.
Freilich, wenig dürfte leichter sein, als Fußballer zu imitieren und ihren Dialekt zum psychischen Defekt zu erklären. Was W. Boning und die neudeutsche Comedyblase bzgl. Lothar M. wider Willen dokumentierten, war nichts anderes als die schäbige Einfallslosigkeit eines Kabarettistenschmus, der inferiorer ist als jeder zusammengestotterte Satz eines Fußballers, der Fußball spielen und nicht klug daherreden können muß. Daß Lothar M. durch