Jürgen Roth

Die Poesie des Biers 2


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       Ich bin vor gut eineinhalb Jahren auf einem Wolga-Dampfer Augenzeuge eines ziemlich titanischen Treffens zwischen dir und Egon Bahr gewesen. Ist damit zu rechnen, daß du dich in Zukunft biographisch einem SPD-Granden wie eben Egon Bahr zuwendest?

      Bei Egon Bahr schließe ich’s nicht aus. Gegenüber Bahr gab es immer – vielleicht auch durch die Affinität im Berufsleben, Bahr ist ja gelernter Journalist – eine Art Sympathie, sowohl für seine Tätigkeit als Adlatus von Willy Brandt als auch für den Typ, obwohl es ein Berliner Grundtypus war und ist. Das ist auch nachweisbar. Weit vor der Wolga-Fahrt, schon in den Sudelblättern [aus dem Jahr 1987], wird Egon Bahr als eine Licht- und Trostgestalt kurz angewürdigt. Ansonsten, bei immer noch nicht gekündigter SPD-Mitgliedschaft, die aber schon seit fünfunddreißig Jahren ruht, ist mir, wie es die Zeit mal sehr richtig geschrieben hat, die auftrumpferische CSU-Kultur, und sei es Vilshofen und Passau unter Strauß, vergleichsweise doch noch etwas näher.

      Wenn Satire – eine Binsenweisheit – wesentlich Negation und Frankfurt die Stadt der Satire ist, muß man Frankfurt prinzipiell ablehnen. Aber du hast in den Sudelblättern gegen Adorno und Erich Kästner einmal das Positive benannt. Und das Positive in dieser Welt sei: der Frankfurter öffentliche Personennahverkehr. Der funktioniere tadellos und zu jeder Zeit.

      Ich müßte jetzt lange nachdenken und die Erinnerungsneuronen anschüren und glaube, eingestehen zu müssen, daß ich hier einer Einflüsterung meiner Ehefrau, die den Nahverkehr jeden Tag noch naher gebraucht hat als ich, erlegen bin. Gelegentlich finden sich solche Spuren der Meinungen der Ehefrau in meinen Büchern. Ich bin halt auch manipulierbar, kann aber das Urteil inzwischen erweitern. Die vielgescholtene Eisenbahn ist vielleicht nicht das Positive auf dieser Welt, aber keineswegs so negativ, wie alle unsere Rentner bis hin zu den FAZ-Redakteuren in der Bahn ununterbrochen den Watschenmann der Nation schlechthin traktieren. Vielleicht beschließen wir’s, Frankfurt weit überschreitend, mit einem vorsichtigen Lob der und einer Wiedergutmachung an der deutschen Bundesbahn.

      Ich würde sagen, dem schließe ich mich an.

      Ja, das mach nur.

      Abhocken

      Wenn es einer Kneipe, einer Wirtschaft in Frankfurt gegönnt sei, daß wieder mal und im Zuge des neuen deutschen Wirtschaftswunders etwas nachdrücklicher das sauerst verdiente Geld in sie hineingetragen wird, dann der an der anheimelnd mit allerlei Laubbäumen prunkenden Frankenallee gelegenen Zeitungsente.

      Von ihren älteren Tagen, als das blitzsauber Wohligkeit gewährende Etablissement noch vis-à-vis residierte, an der Ecke Frankenallee/Hufnagelstraße, wo Gunter Sare zu Tode kam, zeugen die schönsten Geschichten rund um praktisch nie endende Chaosaktionen der Stammgastmannschaft. Gleichwohl, auch damals schon war die Zeitungsente genausosehr ein Hort des gedankenfreien Verweilens, der buddhabräsigen Gammelmeditation und des guten Essens, das vor allem zur Mittagszeit allerlei Pressemenschen zu achten und zu genießen nicht sich scheuten.

      Im März 2003 zog das vom ehemaligen Fußballprofi Rasha Marinkovic 1989 der Welt geschenkte Lokal um, ins Haus Gallus. Geändert hat sich damit nichts oder doch einiges. Die Zeitungsente hat sich von einer granitehrlichen Eckkneipe in ein formidables, großräumiges Barrestaurant verwandelt, in dem aber nach wie vor – zumal am Tresen – rhetorisch hochgewandte Zeitgenossen recht regelmäßig zugange sind, um eine leibhaftige Mainzer Fußballgröße wie Michael Thurk vollzuschwallen, das Spiel selbst zu gucken oder eines der exquisiten Gerichte aus der dezidiert international orientierten Gourmetküche zu verdrücken.

      Da abzuhocken, und sei’s an einem der schläfrigeren, kalmierenden Tage, oder auf der Terrasse zur Straße hin, das hilft allemal, die röhrend dumme Welt zu vergessen und zu merken, worauf es im Leben ankommt: auf ein Bier, eine bekömmliche Mahlzeit, einen sympathischen Wirt und auf ein – leider durch undurchschaubare personalpolitische Dauerrotationen ununterbrochen durcheinandergewirbeltes – Damenbedienungsteam, das ein paar Gedanken auf Trab bringt.

      In »Kamerun«, wie das Gallusviertel einst genannt ward, gibt es eine Oase. Dort sich zu laben ist ein Gebot der Vernunft und der Lebenskunst. Und zwar jeden Tag aufs neue.

      PS: Im Vorwort zur zweiten Auflage der Poesie des Biers (Münster 2010) habe ich »auf das konservatorisch-eschatologische Moment von Literatur« verwiesen. Ich muß es auch an dieser Stelle tun. Die Zeitungsente existiert nicht mehr.

      Konrad Duden, Oskar Werner und

       Dr. Potthoft

       Von Marco Gottwalts

       Ehrendes Gedenken

      Profunde Kenner der Sesamstraße verbinden vielleicht noch etwas mit der Figur des Alphabet-Jens. Die Geschichten rund um die witzige Puppe spielten im imaginären Wilden Westen, wo die bloße Nennung seines Namens Angst und Schrecken verbreitete. Denn er war der schnellste Alphabetaufsager jenes gesamten Wilden Westens. Betrat er den Saloon, verstummte das Klavier, und es herrschte atemloses Schweigen.

      Er gewann jedes Duell spielend. Während andere noch überlegten, welcher Buchstabe auf das C folgt, hatte er bereits das R hinter sich gelassen und formte das S mit seiner flinken Zunge. Der Clint Eastwood unter den Alphabetaufsagern also – pistolenkugelschnell und gnadenlos präzise.

      Was jedoch die wenigsten wissen, ist, daß der lustige Name Alphabet-Jens eine dreiste Anspielung auf Konrad Duden ist, der zu seinen Lebzeiten von seinen Freunden und Arbeitskollegen liebevoll »Buchstabier- Konni« genannt wurde.

      So lautet zumindest die offiziell überlieferte Schreibweise. Auf dem Sterbebett hat nun jedoch Karl Heinz Schibulski, Lieblingsenkel von Dudens engstem Mitarbeiter Friedrich Wilhelm Schibulski, noch flugs seine Lebensbeichte abgelegt und der erschüttert dreinblikkenden erbgeilen Mischpoche eröffnet, daß Duden ob seiner Neigung zu übermäßigem Gerstensaftkonsum tatsächlich als »Buchstabier-Konni« verschrieen war – eine Nachricht, die, was wohl leicht nachvollziehbar ist, die bisher weitgehend als gefestigt geltende Duden-Forschung in ihren Grundfesten erschüttert hat.

      Eine Neufassung großer Teile seiner Biographie erscheint somit unausweichlich. Und so lag es nicht nur nah, sondern es verlangte sogar zwingend danach, die frühere Philologen-Schänke in Berlin nach ihrem wohl berühmtesten Stammgast zu benennen: Duden-Schänke.

      Um nun zu überprüfen, ob diese historische Verantwortung vom dortigen Fachpublikum auch angemessen gelebt wird, begab ich mich zum Ortstermin und traf sorgfältig meine Feststellungen. Im Ergebnis darf ich ausführen, daß das Wissen um das Erbe des großen Namensgebers allenthalben mit Händen zu greifen und insofern nicht zu beanstanden ist. Was das BuchstaBieren angeht, macht den Insassen hier so schnell keiner was vor. Alphabet-Jens muß sich warm anziehen.

      *

       Der berühmte Schritt zu spät

      Als geborenes Landei mit entsprechend derb-bäuerlicher Sozialisation bin ich ein Freund des Faktischen und der Eindeutigkeit. Schnickschnack und Rumgedöns sind meine Sache nicht. Und so ist es auch kein Wunder, daß ich in den Tagen, als mein Körper noch etwas geschmeidiger und leistungsfähiger war, Sportarten mit »Hand und Fuß«, nämlich Hand- und Fußball ausübte. Und in beiden Disziplinen führten mich meine Talente an die vorderste Front. Im Handball bekleidete ich die Position des robusten Kreisläufers und im Fußball die des Mittelstürmers klassischer Gerd Müllerscher Prägung: Zack – bumm – Tor! Zu Recht wurde mir die Fähigkeit zugesprochen, dorthin gehen zu können, wo’s weh tut – wie man so schön sagt.

      Meine Amateursportlerkarriere hat inzwischen ihr Ende gefunden. Doch sollte ich deshalb auch meine hervorstechenden Talente einmotten? Keinesfalls, denn auch der elefantengraue Alltag spart nicht mit Herausforderungen, in denen eine Portion Unerschrockenheit und Unempfindlichkeit durchaus von Vorteil ist.

      Nehmen wir zum Beispiel den Gastronomiebetrieb Kronprinzen-Eck im Frankfurter Bahnhofsviertel. Allein der Name des Instituts wird die empfindsamen Gemüter unter euch zweifellos erschaudern. Anders verhält es sich beim furchtlosen Verfasser dieser Zeilen. Selbstbewußt wie Chuck Norris näherte ich mich der bereits äußerlich