Bier auf seine schönste Weisse«, steht auf dem Aschenbecher. Drüben werden die leuchtenden Pokale wie Monstranzen ins wacker ermattende Abendlicht gehoben. Beiläufig werfen die Bäume Schatten. Der Hausrotschwanz auf der Dachrinne macht einen Knicks, als verneige er sich vor alledem. »Genau.« – »Jawoll.« –»Genau so is’ es nämlich.«
Am nächsten Morgen Bierschinken und Göttinger Wurst zu Kaffee und Brötchen, lediglich echtes Landbrot fehlt auf dem Büffet. Die fröhlichen Damen des Hauses plaudern, gänzlich unfränkisch, ausgelassen. Item itzo diese höchst wohlige Gestimmtheit: Es genügte vollauf, »nie mehr begehrend als die Gegenwart« (Wutz), den ganzen Tag damit zu verbringen, in die Luft zu gukken, neben sich zwei, drei Flascherl Bier mit Schraubverschluß. Die säkulare Vita contemplativa, sie wäre das Naheliegendste und Einfachste, und man spürte endlich einmal die Zeit, ohne daß sie bedrohlich erschiene. Gegen Abend fielen schließlich die »Goldfäden« (Wutz) der wandersmüden Sonne aufs Turmkreuz von St. Erhard, vorm sacht wolkendurchwebten Himmelsfond.
Doch Goldkronach ist ja nicht zuletzt Alexandervon-Humboldt-Stadt, dem sollte man Rechnung tragen. Der nachmalige Universalwissenschaftler und »Wissenschaftsfürst«, dessen Ceterum censeo die Freiheit (»Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt«) und der ein inständiger Anhänger der Französischen Revolution war, ward 1792 als Bergbauingenieur von Berlin aus für fünf Jahre nach Franken entsandt, um den Erzabbau in den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth zu reorganisieren. 1793 beförderte man ihn zum Oberbergmeister, im nämlichen Jahr trat er seinen Dienst in Goldkronach an.
Humboldt war bestrebt, »dieser romantischen Gegend nur einen kleinen Teil ihres Glanzes wiederzugeben«. Bereits im Januar 1794 ließ er seiner Begeisterung in einem Brief die Zügel schießen: »Mit dem Bergbau geht es überhaupt hier jetzt vorwärts. In Goldkronach besonders bin ich glücklicher, als ich es je wagen durfte zu glauben.«
Am Rande Goldkronachs wurde seit 1363 Goldbergbau betrieben, der erste schriftliche Nachweis des Namens Goldtkranach stammt aus dem Jahr 1398. Die Blütezeit der Goldgewinnung aus leicht zugänglichen Bodenschichten dauerte bis ins 15. Jahrhundert an (manche Quellen sprechen vom 16. Jahrhundert), die Schächte im Goldberg, im heutigen Stadtteil Brandholz, wo vermutlich das größte Goldvorkommen Deutschlands lag, hießen »Name Gottes«, »Unverhofft Segen Gottes«, »Schickung Gottes«, aber auch »Fauler Nickel« oder »Goldener Hirsch«.
Humboldt war – wie Jean Paul und dessen Figur des Maria Wutz (er »war allen Menschen gut«) – ein wahrer Philanthrop. Im Sinne seines Credos, »das Studium der physischen Natur mit dem der moralischen zu verknüpfen«, rationalisierte er nicht nur die Arbeitsabläufe im seit Mitte des 17. Jahrhunderts maroden Bergbau, sondern er verbesserte die Sicherheit der Hauer, Steiger und Fördermänner, führte die Bergbauhilfskasse und das »Büchsengeld« für Witwen und Waisen ein und gründete Ende 1793 in Steben auf eigene Kosten die Erste Königlich Freie Bergschule.
Der Goldbergbau verdankte Humboldt eine merkliche Renaissance, die ein gutes halbes Jahrhundert anhielt (endgültig Schicht im Schacht war allerdings erst 1925). Trotz seines Enthusiasmus gab er sich jedoch keinen übermäßigen Illusionen hin. Man dürfe »nichts von der Natur erzwingen wollen, was sie nicht leisten kann«, und die Abholzung der Wälder nannte er einen »Menschenunfug […], der die Naturordnung stört«.
Im vor zehn Jahren eröffneten, liebevoll gestalteten Goldbergbaumuseum im ehemaligen Forstamt an der Bayreuther Straße, in dem Humboldt ab und an Quartier nahm, werden in sieben übersichtlichen Abteilungen Werkzeuge, Grubenrisse, Befahrungsprotokolle, Karten, Modelle, ein nachgebauter Stollen, Gesteinsproben aus goldhaltigen Quarzgängen und anderen Montanformationen, Zeugnisse der Goldverarbeitung und viele aufschlußreiche Dokumente mehr präsentiert. Gold, erfährt man, widersteht Alkalien und Säuren, ist unzerstörbar, verliert seinen Glanz nie und symbolisiert daher Macht, Göttlichkeit und die Ewigkeit. Vielleicht bestrafte darob der Goldkönig in der Goldkronacher Goldbergsage die Gier der Menschen, die sich mit dem Edelmetall zu schmücken gedachten, mit schlimmer Not und Armut.
Vor etwa zwanzig Jahren fand in Goldkronach eine Goldwasch-WM statt, ins Leben gerufen vom damaligen, wir scherzen nicht, Bürgermeister Blechschmidt. Auf sie folgte die seither alle zwei Jahre ausgetragene Deutsche Goldwaschmeisterschaft auf dem Goldberg. Der sei, schmunzelt der zuvorkommende Rathausangestellte, der uns durchs Museum geleitet, auf Grund der »durchschlägigen Stollen« ein »Schweizer Käse«, mithin ein Beispiel für jene »durchsichtigen Berge voller Goldadern«, die wiederholt Topographien der Jean Paulschen Traumwelten sind.
Am Humboldtweg auf dem Goldberg liegen die zwei Besucherstollen »Schmutzlerzeche« (zugänglich seit 1985) und »Mittlerer Name Gottes« (seit 1993), die wie das Museum sonn- und feiertags geöffnet sind. Es empfiehlt sich, frei von Platzangst zu sein, schlüpft man in die engen Gänge hinein und versucht, ein Goldfinserl zu finden, eines der nach wie vor dort dösenden, zwischen einem halben und einem Millimeter kleinen Goldkörner.
Die Goldkronacher Goldvererzung ist das Resultat einer geologischen Singularität. Exakt durch die Stadt verläuft die Fränkische Linie, eine tiefe und lange Abbruchkante, die durch das Aufeinanderprallen des afrikanischen und des europäischen Kontinents entstand. Das Fichtelgebirge, wesentlich älter als die dusseligen Alpen, diese »Tyrolerberge bei München« (Jean Paul), die zusammenpacken und nach Hause gehen dürfen, schob die weichen Gesteine des Vorlandes von sich weg. Jene senkten sich ab, das stolze, bockelharte Fichtelgebirge hob sich an. In den nach dem geologischen Ringkampf zurückgebliebenen Rissen löste sich unter dem Einfluß von Wasser und Sauerstoff peu à peu Gold, und das chemische Element mit der Ordnungszahl 79 fand fortan in der »Wohlfühlregion Fichtelgebirge« neben vielerlei anderen Gesteinskameraden eine kommode Heimstatt.
»Daß es geologisch mal drunter und drüber ging« (Museumsfaltblatt), ist an den zahlreichen Goldkronacher Geopunkten zu studieren, zumal im Kellergewölbe des Schlosses, in dem ein aufmüpfiger Muschelkalksporn, der normalerweise hätte in der Horizontale verbleiben müssen, das Fundament des strahlend weißen Prunkgebäudes bildet.
Gudrun und Hartmut Koschyk zeichnen hier im Namen des Alexander-von-Humboldt-Kulturforums seit 2008 für Symposien, Vorträge, Konzerte, Liederabende, Ausstellungen und Theateraufführungen verantwortlich. »Daß Humboldts Genialität hier in Franken zur Entfaltung kam«, betont Hartmut Koschyk zu Recht, und er habe sich »immer gewundert, warum man so wenig aus Jean Paul gemacht hat. Der Jean-Paul-Preis wird in München verliehen.«
Sein Anliegen ist es, »Bewußtsein für Humboldt in der Region zu wecken«. Mittlerweile kämen Humboldtianer »aus China, Afrika und der arabischen Welt« in diesen »beschaulichen Ort«, in diese dörfliche Stadt, man müsse indes, wolle man den »Wegbereiter der Globalisierung«, der in dieser Kleinwuselwelt regelrecht aufblühte, den Menschen nahebringen, die hiesigen Gesangvereine und Posaunenchöre einbeziehen, was, verrät ein Blick in die Programme der Goldkronacher Kultursommer, offenbar bestens gelingt.
»Die Leute sind offen für das geistige Erbe Frankens«, für den interkulturellen Dialog, nicht minder für die Vermarktungspotentiale jener beiden Intellektualgrößen, die sich nie begegneten und die nie miteinander ein »braunes Bier« (Jean Paul) auf der Terrasse des Goldkronacher Schlosses goutierten, das grünblaugoldene Landschaftspanorama förmlich in sich hineinsaugend.
Wir treffen den Schauspieler und Rezitator Hans- Jürgen Schatz in Goldmühl, das bereits zu Bad Berneck gehört. Humboldt wohnte 1793/94 in der Alten Mühle. Im Schwarzen Roß nebenan, in fünfter Generation in Familienbesitz, kredenzt man uns zum seraphischen Steak dunkles Beck’n-Bier aus Büchenbach. Hans-Jürgen Schatz, künstlerischer Leiter der im Oktober stattfindenden ersten Jean-Paul-Tage in Bad Berneck, versucht seit 1992, die »Nachempfindbarkeit der Entstehungsbedingungen der deutschen Romantik« durch akribisch arrangierte Lesungen zu befördern und Jean Paul »durchzusetzen«. »Man braucht Ruhe, um Jean Paul zu lesen«, merkt er an, auch als Vortragender müsse man sich seine wildwüchsigen, gestrüppartigen, gewissermaßen avant la lettre postmodern mäandernden artistischen Welterkundungen »zäh erschließen«. »Doch wenn man Jean Paul kommentierend und einordnend vorstellt, sagen die Leute: ›Vorgelesen ist es gar nicht mehr so schwer.‹«
Der in sich