Jürgen Roth

Die Poesie des Biers 2


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sie, die kleine »geflügelte Welt« (Jean Paul: Siebenkäs). Das Firmament blank und heiter. »Man kann die seligsten Tage haben«, schwärmt Jean Paul, »ohne etwas anderes dazu zu gebrauchen als den blauen Himmel.«

      Laß uns vor die Tore der Stadt wandern, nur ein paar Meter. Laß uns behaglich die Luft und die gescheckten, sich in die Ferne hineinschmiegenden Wolken atmen. Laß uns die Untererde der Gesteine vergessen und das grüntrunkene Gehügel, Gesäume und Gebüschel schauen, das herumwackelnd’ Getier, das brummelnd und bummelnd sich wandelnde Wimmeln, die gnadenreiche Illumination all dessen, laß die Wonne Oberhand gewinnen in einem Kosmos, den Jean Paul ersonnen haben muß und aus dem man langsam, langsam herausfallen möcht’, weich und zeitverzögert.

      »Weizen?« – »Ja, gerne.« Die schlanke, kleinwüchsige Bedienung der Krone kennt uns unterdessen. Ein Einwortfragesatz langt. Die Bachstelze flaniert wippend vorbei. Der Koch tritt vor die Tür und erkundigt sich beim Mittagstisch, ob es schmecke. Ein altes, dürres Weiblein, die Nachbarin, sitzt auf der Bank vor ihrem Haus und lugt.

      Das zweite Weizen kommt. »Brauch’ mer net anschreib’n, oder?«

      In der milchig beleuchteten Schwemme, in der die olfaktorische fränkische Signatur von Sauerkraut und Angebratenem prosaisch verwunschen herumwabert, ist sie noch einmal zu spüren, die fußläufige Weltläufigkeit der beharrlich geschmeidigen Jean Paulschen Seele, und an der Wand hängt ein Schild: »Als der Herrgott die Arbeitsstunden der Wirtsleute mit deren Einkommen verglich, drehte er sich um und weinte bitterlich.«

      Daß sich innere und äußere Welt »wie zwei Muschelschalen aneinanderlöten und dich als ihr Schaltier einfassen«, das ist uns, »doppelselig« (Wutz), beschieden. Es ist gar recht dies alles, vor allem, wenn man wähnt, geistig in den Seilen zu hängen, die durch die Leere gespannt sind.

      Ein Mann in einem grünen Poloshirt schlappt mit einer goldenen Tuba auf den Marktplatz. Stände sind aufgebaut, anläßlich des alljährlichen Marktplatzfestes. Sie bieten Waffelbruch, Schaumwaffeln, gebrannte Mandeln, Kokosmakronen feil, wie in unserer Kindheit. Luftballons flattern im linden Wind, und vom Stand des Kleintierzuchtvereins Goldkronach gackert ein Huhn so unablässig und mechanisch herüber, als sei es eine elektronische Attrappe. Erst als wir es begutachten, gewahren wir: Es lebt. Es ist ein Zwerg-Vorwerkhuhn.

      Auf einem Informationsblatt der Frauenliste Goldkronach (»Nerven und Abgase sparen: Bus fahren«) finden wir eine Verbindung nach Bayreuth. Es schmerzt, der Ruhe den Rücken kehren zu müssen. Aber die Aussicht aufs gelbgrüne Buckelland rundherum wird uns dafür entschädigen, die Aussicht auf die gestaltgewordene Sanftmut unter einer unvergleichlichen Goldlichtglocke.

      Lehnen wir ab

      Kopfschmerzen bei Beck’s und Co. – nie zuvor haben die Deutschen weniger getrunken als 2013. Selbst schuld, sagt Jürgen Roth, Präsident des in Münster ansässigen Deutschen Bier-Institutes.

       Der Bierverbrauch ist auf einem historischen Tiefstand. Ist bei Ihnen jetzt Frustsaufen angesagt?

      Roth: Wir sind da zwiegespalten. Sehr zu unserer Freude ist der Rückgang gerade bei den Großbrauereien massiv. Da dürfte sich auch der Bierkartellskandal auswirken. Die Leute sind einfach nicht mehr bereit, für Markenprodukte mehr auszugeben als für beinahe identische Billigbiere. Traurig ist andererseits, daß die Menschen seltener in Gaststätten gehen, u. a. weil das Bier dort viel zu teuer ausgeschenkt wird.

      Der Brauer-Bund führt das schlechte Wetter als Grund für den Rückgang an. Dabei war 2013 in unserer Erinnerung ein Topsommer.

      Dieses dumme Gequatsche geht seit fünfzehn Jahren so. Nach dem Jahrhundertsommer 2003 wollten uns dieselben Leute weismachen, daß es zu heiß war und deshalb die Leute lieber Limonade getrunken hätten. Lachhaft.

       Könnte es schlicht sein, daß die Deutschen längst nicht mehr das beste Bier brauen?

      Die Erkenntnis setzt sich offenbar langsam durch. Daher sind sogenannte Craft-Biere – eine Bewegung aus dem angelsächsischen Raum – im Vormarsch, bisweilen mit Sorgfalt gebraute Getränke. Die Leute haben die Schnauze voll vom designten Einheitsbierbrei. Ein anderer Aspekt ist der Fitneßwahn der Deutschen, die Bier verteufeln und meinen, Weißweinschorle sei gesünder. Oder sie trinken gleich alkoholfreies Bier – ein Trend, den unser Institut rundweg ablehnt.

      Gleiches gilt womöglich für Bier mit Limonengeschmack.

      Wer so etwas über seine Lippen rauschen läßt, mit dem reden wir gar nicht erst.

      Bierschatten

       Von Thomas Kapielski

      Mit Beharrlichkeit und gutem Beistand, der auf Stilgefühl im Volke schließen läßt, ließ sich in vielen Gaststätten der Willybecher wiedereinbürgern und irriges Bierglasdesign zurückdrängen. Der Willy ist ein (des darin waltenden Goldenen Schnittes wegen) ebenmäßiges, schlichtes Bierglas, das alle Standardgrößen von 0,2 bis 0,5 l harmonisch zu variieren vermag. Gestaltet hat es kein Designer, sondern Willy Steinmeier, Vertriebsleiter der Ruhrglas AG. Allein solchen Geistes entsprossenes Glas und ähnliche Humpen und Kelche sind dem Biere angemessen; zu Recht trägt es des Schöpfers Namen. Führt eine Wirtschaft den Willybecher, dann hat sie die Prüfung bestanden. Der hier abgebildete steht parat im tadellosen Wirtshaus Wuppke zu Berlin.

      *

      Hier lebte und wirtschaftete einst der Blaue Affe am Berliner Hermannplatz. Es gab ihn seit den zwanziger Jahren, als ein Rausch noch Affe und ein Bier- und Schnapsrausch blauer Affe hieß. Ich besuchte ihn ab und an seit 1971, regelmäßig dann von ’82 bis ’88, dann erst wieder (leidiger Umzüge wegen) ab ’91 bis ’98. (Im Film Das Quiller-Memorandum – Gefahr aus dem Dunkel sieht man den Tisch, an dem sich der Verleger Bernd Kramer mit mir besprach und anregte.) Kneipen leben ahistorisch, allenfalls zyklisch – nicht apokalyptisch! Der Blaue Affe war ein Himmel auf Erden. Heute stehen Geldautomaten einer Bank darin. Im Hammer vis-à-vis werden schon seit Jahrzehnten Matratzen verkauft; bevor er starb, war er, einer Renovierung wegen, längst unheilbar. – So waltet wohl doch eine Endzeit!

      *

      Auch diese Wirtschaft ist durch verunglückte Auffrischung schwer beschädigt worden. Sah sie zuvor, wie abgebildet, noch dem Foyer und der Frühstücksstube eines plüschigen Vertreterhotels ähnlich (was auch schon unstatthaft ist, aber gemütlich war), so gleicht sie nun einer klinischen Wartehalle. Die unübertrefflichen Gäste, das vortreffliche Personal, die Raucherlaubnis und der Willybecher sind erhalten geblieben; sie bilden den fügenden Rest. Überdies hofft man – mehr Hoffnung besteht vorerst nicht! –, die Raucher werden die geweißten Wände alsbald wiedergutmachen. Einer unter uns Betrogenen aber sprach schon verdrießlich: »Wenn ick mein Bier inne Sushibar oda Eisdiele saufen will, denn tu ick dit – inne richtje! Ick will aba ’ne Kneipe! Und da jeh’ ick jetz hin!«

      *

      Oder sollen wir uns denn eines Tages nach Zürich auf den Weg machen müssen, die alten, währschaften Kneipen zu suchen?

      *

      Hier läuft es noch ganz gut, bei Büttelmann in Spandau! Trotz schepper Kugeln und Tischdecken. Das heitere Alltagsleben dort ist beschrieben im Roman Je dickens, destojewski!: »Ernst Wuboldt trat ein und grüßte einen jeglichen Gast im bevölkerten Raumrund. In liebbraunes Licht getunkt, grüßte das Trinkvolk unbeirrt brummelnd dawider. Ein leichter Wind bewegte Gardinen, und diese wiegten der Sonne wuselnde Strahlen durch den zarten Tabakdunst über Tische und Leiber hinweg. Im Lichtbalken, der durch die Tür einfiel,