Jürgen Roth

Die Poesie des Biers 2


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      Eine etwas ältere satirische Arbeit von dir beschäftigt sich mit einem ehemaligen Frankfurter OB, der das Postulat in die Welt gestemmt hatte, man müsse Frankfurt wieder als »sinnlichen Raum« begreifen und gestalten. Das fordert die Satire gewissermaßen mit wehenden Fahnen heraus.

      Damals noch nicht so sehr. Ich bilde mir sogar ein, daß ich einer der wenigen war, der damals schon lachen mußte und sich auch lachend geäußert hat. Inzwischen hat man nachlesen können, daß dieser Wahnsinn von der »sinnlich erfahrbaren Stadt« nicht nur die Freßgasse betroffen hat, wo ununterbrochen Apfelwein ausgeschenkt und Fleischwurst gefressen wurde; sondern es gab auch im Umfeld der Grünen, scheint’s, weitgehend ernstgemeinte Pläne, aus dem Main das zu machen, was er früher wohl mal war: eine Art Vergnügungszentrum mit offenbar einem geheizten Schwimmbadteil, in dem pausenlos das Äußerste an Sinnlichkeit herausgekitzelt werden sollte. Meines Wissens war auch der junge Obertheoretiker Jockel Fischer an diesen Überlegungen beteiligt. Als Main-Vergnügungsminister oder zumindest -stadtrat hätte man ihn gern erlebt, den vielmaligen Ehemann und Sinnlichkeitsvorreiter.

      Gibt es denn, wenn schon diese paradiesische Main-Vision nicht hat Wirklichkeit werden sollen, in Frankfurt noch elysische Enklaven? Martin Mosebach würde sagen, die einzigen echt frankfurterischen Räume und zugleich idyllischen Flecken seien die Sachsenhäuser Äpplerwirtschaften.

      Ich tendiere seit zwei, drei Jahren aus den dir auch bekannten Gründen mehr nach Bornheim, sowohl zu den bekannten Apfelweingartengaststätten als auch den Wintergaststätten und, immer noch, den Wasserhäuschen, die bei Hermann Peter Piwitt, Mosebach und mir eine reale und literarische Anhängerschaft gefunden haben. Die besitzen, wenngleich etwas anders als die Münchner Stehausschänke, zumindest noch einen Hauch vom Paradiesischen, sei’s im milden Sommer, sei’s auch bei minus 25 Grad im Freien, für etwas gutgepolsterte Menschen.

      Auch bei Jörg Fauser und Peter Kurzeck ist das Wasserhäuschen ein hervorstechendes Frankfurt-Element.

      Ja, aber doch noch nachdrücklicher die Sachsenhäuser Kneipe. Ich wohnte übrigens im Winter 1969/70 in Sachsenhausen und hab’ mal an einem Sonntag an einem mir noch unbekannten Wasserhäuschen was besorgt, die Zeitung oder Schnaps, und da standen bei selten niedrigen Temperaturen diverse Männer rum und hielten eisern ihre Bierflaschen in der Hand. Das war einer der ersten und freundlichsten Frankfurter Eindrükke, wenn nicht gar ein paradiesischer Eindruck.

      Das – freilich fiktionalisierte – wabernde, dunstige Kneipenmilieu wie in der Gaststätte Mentz, das in den Vollidioten atmosphärisch von einer hohen Signifikanz ist, ist das in Frankfurt angesichts der Sushibarbegeisterung und Chill-out- Tuereigänzlich verschwunden?

      Ich bin heute zufällig am Horizont, der ehemaligen gewissermaßen Stammkneipe des Titanic-Umfeldes, vorbeigekommen und hab’ mir da sagen lassen, dessen hochfliegende Zeit sei auch schon wieder vorbei – so wie ja das Grünen-Milieu mit seinen Ausuferungen in die Lehrerschaft hinein nicht mehr das ist wie vor zehn, zwanzig Jahren. Der Ment selber war schon eine Singularität und nicht unbedingt typisch. Da kam allerhand zusammen. Der Mentz war eine ganz ordinäre Bierwirtschaft, die aber plötzlich ein sternmarschförmig angegangenes Ziel von eben Linken wurde, von sowohl an der Universität tätigen theoretischen Köpfen als zum Beispiel auch von Robert Gernhardt mal so genannten Kulturkrautern. Dazu kam, daß der Mentz eigentlich, was in den Vollidioten noch erwähnt wird, Berliner Zillestube hieß. Also, das Ganze ist eher ein Kapitel von Mißverständnissen durch dick und dünn, und der legendäre und großartige Wirt Hans Mentz hat wohl die Verhältnisse auch ganz gut auf sich wirken lassen, war aber im Grunde geprägt von diesem Berliner Zillestubenideal. Aus diesen und ähnlichen Gründen war das ein großes, verwegenes Gemisch und insofern wahrscheinlich besonders fruchtbar. Allerdings gab es damals noch eher diesen Typ von Frankfurter Eckwirtschaften, die so schöne Namen wie Sportlerstubb oder Sportentrale hatten – schöne Spießerkneipen in einer Weise, in der man den Spießer sehr begrüßt, in der der Spießer sozusagen etwas Fruchtbares entwickelt wie in den alten Frankfurter Volksstücken. Vermutlich ist das aber beides und alles ziemlich den Bach hinuntergerauscht.

      Literaturfähiger Soziotopersat könnten solche Snack-Points wie der Caddy, dieser gewagte Stehimbiß bei dir um die Ecke, oder umgerüstete Tankstellen wie der Rossi sein.

      Ja. Wir könnten da schon korrekterweise im Plural reden. Wir schätzen sowohl den genannten Caddy als die umgebaute Rossi-Tankstelle in der Raimundstraße aufs äußerste – verwegene Kommunikationsformationen, die manchmal, mehr im Winter, an einen bitterlich vor sich hin vegetierenden Wartesaal erinnern. Im Sommer ist meine Hauptassoziation irgendwo bei John-Steinbeck- oder auch Gershwin-Modellen angesiedelt. Ich hab’ mal die noch kühnere Vision entwickelt, daß man auf den Grünstreifen der größeren Straßen im Sommer zechen könnte und daß das hervorragend zu Frankfurt passen würde.

      Müßiggang, Schlendrian, eine Art variiertes Hippietum – das alles paßt in unsere rasende, profitsüchtige Zeit nicht mehr.

      Ja. Aber ich bin da nicht mehr unbedingt die richtige Auskunftsstelle. Ich bin neulich zufällig an einem Lokal in der Börsengegend vorbeigekommen, wo die neuste Formation der Aufsteiger täglich gezwungenermaßen beieinanderhockt, in der Realität wie in der ZDF- Serie Ein Fall für zwei. Das dürfte jetzt eine häufigere Geselligkeitsform in Frankfurt sein, die natürlich nicht unbedingt uns als Gäste erhofft und erwartet – und umgekehrt. Das beruht wahrscheinlich auf wechselseitiger Fremdheit, ja Verabscheuung.

      Wenn wir noch mal zum sozusagen Satirestandort Frankfurt zurückkehren können: Satire ist heute, einem Diktum von dir zufolge, durch und durch Sprachkritik. Just an der hiesigen Universität wird das »Unwort des Jahres« ausgeheckt. Du hast vor Jahren die Wahl des Kohlschen »Kollektiven Freizeitparks« mißbilligend kommentiert und Helmut Kohl vor dieser Kür in Schutz genommen.

      Die Formulierung ist wahrscheinlich nicht vom Kohl, aber wenn man rein sprachliche Kriterien bemüht und unterstellt, sie wäre von Kohl: dann ist sie nicht schlecht. Diese nicht mehr ganz überschaubaren Unwörter und Wörter des Jahres kranken häufig, ja fast immer daran, daß eine schlechte Gesinnung mit einer schlechten Formulierung verwechselt wird. Es kann eine zynische Gesinnung durchaus mal mit einer guten Formulierung einhergehen. Zufällig habe ich heute was recht Schönes in den gesammelten Werken von Matthias Beltz gelesen. Neben auch etwas flacheren Faseleien, die er veranstaltet hat, steht die richtige Frage, was man eigentlich dauernd gegen Menschenverachtung habe. Wen soll man denn sonst verachten außer Menschen? Also, Elefanten kann man nicht verachten, und die Alpen bieten sich auch nicht so sehr an. Das Wetter wird neuerdings sehr verachtet auf sämtlichen Kanälen. – Was die Frankfurter Satiriker angeht, wollte ich doch noch anfügen, daß die manchmal nach außen so scheinende Affinität der Stadt zu Satire und Kritik eine grobe Täuschung ist, im nachhinein. Das läßt sich leicht daran ablesen, daß die ersten Ausstellungen zur Neuen Frankfurter Schule in Marburg, in Wiesbaden, in München und weiß Gott wo stattfanden, und erst an fünfter oder siebter Stelle kam Frankfurt. Die Stadt hat mit großer Verspätung gemerkt, daß hier was nachwächst, das im weitesten Sinne sogar der Imagebildung dient. Nun gründen sich ganze Kulturbeamtenexistenzen auf dieser Neuen Frankfurter Schule, es werden Preise vergeben – und ähnlicher Unfug.

      Ich muß noch mal auf den Zusammenprall von Literatur und Politik in Frankfurt zu sprechen kommen. Denn 1985, nach der Veröffentlichung deiner Helmut-Kohl-Biographie, bist du auf der Buchmesse mit dem Kanzler zusammengestoßen – eine denkwürdige Begegnung.

      Nein, das ist ein Irrtum, eine Legende. Ich bin mit Kohl mal während des Wahlkampfes 1972 zusammengestoßen, das heißt, er hat mir in die Hände gegriffen. Auf der Messe hat man dem Kohl etwas unvorsichtig mein Buch zum Signieren hingehalten, und er hat auch seinen Kohl-Krakel reingemacht – das Exemplar ist noch in meinem Besitz, wenn ich mal sehr verarmt bin, werde ich’s versteigern. Es ist eine sehr kurze Unterschrift, ein Geheimnis der erfolgreichen Kanzlerschaft ist ein kurzer Name und ein kurzer Krakel. Der Rest erinnert an dieses beliebte Kinderspiel: Wie sieht ein Satz am Ende aus, wenn man ihn weitersagt? Die einen berichten, Kohl habe gesagt, das Buch sei ein starker Beitrag, und die anderen – das ist wahrscheinlicher – bieten