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Mein Name sei Berlin


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Heinrich von Kleist(1800)

      Kein Ort für die Liebe

      »Aber, unter uns gesagt, je öfter ich Berlin sehe, je gewisser wird es mir, daß diese Stadt, so wie alle Residenzen und Hauptstädte, kein eigentlicher Aufenthalt für die Liebe ist. Die Menschen sind hier zu zierlich, um wahr, zu gewitzig, um offen zu sein. Die Menge von Erscheinungen stört das Herz in seinen Genüssen, man gewöhnt sich endlich, in ein so vielfaches eitles Interesse einzugreifen, und verliert am Ende sein wahres aus den Augen.«

       Heinrich von Kleist (*1777 in Frankfurt/Oder, †1811 am Kleinen Wannsee) lebte seit 1809 in Berlin. Nachdem seine publizistischen Bestrebungen mit den »Berliner Abendblättern« im Frühjahr 1811 erneut an der strengen Zensur in Preußen scheiterten, verlor er jede Hoffnung und Perspektive. Er beging gemeinsam mit Henriette Vogel am 21. November 1811 Selbstmord am Kleinen Wannsee. In der Bismarckstraße 2 in Berlin-Zehlendorf erinnert heute ein Grabstein an die Beiden.

Ludwig Thoma(1919)

      Berliner Spektakel

      Im Frühjahr 1901 war ich zu kurzem Aufenthalte in Berlin und verlebte in fröhlicher Künstlergesellschaft ein paar genußreiche Wochen. Die Reichshauptstadt, die ich zum ersten Male sah, gefiel mir außerordentlich […]. Ganz gewiß war vieles dazu angetan, diese Meinung hervorzurufen, aber es lag auch in meiner Art, mich neuen Eindrücken stark hinzugeben und feine Mängel zu bemerken, wo ich nur Vorzüge sehen wollte. […] Der Gefallen, den ich an Berlin gefunden hatte, blieb in mir wach, und als sich mir im folgenden Herbste die Möglichkeit bot, auf längere Zeit dorthin zu übersiedeln, besann ich mich nicht lange und entschloß mich, München auf einige Zeit zu verlassen.

      […] Von meiner Freude an der lauten Großstadt kam ich bald zurück.

      Zwar das Berlin, wie es geschäftig war, arbeitete und bei aller Hast und Hetze Ordnung hielt, imponierte mir noch immer; erst in späteren Jahren wurde ich mißtrauisch gegen die fixen Leute, die so viel Spektakel mit ihrer Arbeit machten und immer neue, unmögliche Pläne und Ideen am Telephon hatten und sich in der Pose der unter fürchterlicher Arbeitslast Zusammenbrechenden wohl fühlten.

      Aber auch schon damals sah ich Berlin, wie es sich unterhielt, mit kritischen Augen an, und es gefiel mir nicht mehr.

      Selbst in Abendgesellschaften merkte ich bei den geladenen Gästen, daß sie einander weder Ernst noch Heiterkeit glaubten und sich kühl beobachteten.

      Diese Leute waren einander fremd, kaum aneinander gewöhnt und ganz und gar nicht miteinander verwachsen; sie konnten nur nach Äußerlichkeiten urteilen und waren veranlaßt, ihre Art nach außen zu wenden, da sie keinen innerlichen Zusammenhang hatten. Vom Berliner Nachtbetrieb wurde oft mit einem gewissen Stolze gesprochen, als wäre in ihm der weltstädtische Charakter sicher gestellt und deutlich zur Erscheinung gebracht. Ich weiß nicht, ob dieses Ziel erreicht wurde, noch weniger, ob es irgendeinen Wert hatte. Ich sah nur dichtgedrängte Haufen von Menschen, die das eine gemeinsam hatten, daß sie sich fröhlicher gaben als sie waren. […]

       Der Schriftsteller Ludwig Thoma (*1867 in Oberammergau, †1921 in Rottach) ist vor allem durch seine realistischen und satirischen Beschreibungen des bayerischen Alltags bekannt geworden. Er war lange Jahre Autor und Chefredakteur des Satireblattes »Simplicissmus«. Zudem feierte er als Bühnenautor einige Erfolge, u. a. auch mit einem Stück für das Berliner literarische Kabarett »Überbrettl«.

Erich Kästner(1929)

      Besuch vom Land

      Sie stehen verstört am Potsdamer Platz.

      Und finden Berlin zu laut.

      Die Nacht glüht auf in Kilowatts.

      Ein Fräulein sagt heiser: »Komm mit, mein Schatz!« Und zeigt entsetzlich viel Haut.

      Sie wissen vor Staunen nicht aus und nicht ein.

      Sie stehen und wundern sich bloß.

      Die Bahnen rasseln. Die Autos schrein.

      Sie möchten am liebsten zu Hause sein.

      Und finden Berlin zu groß.

      Es klingt, als ob die Großstadt stöhnt, weil irgendwer sie schilt.

      Die Häuser funkeln. Die U-Bahn dröhnt.

      Sie sind das alles so gar nicht gewöhnt.

      Und finden Berlin zu wild.

      Sie machen vor Angst die Beine krumm.

      Sie machen alles verkehrt.

      Sie lächeln bestürzt. Und sie warten dumm.

      Und stehn auf dem Potsdamer Platz herum, bis man sie überfährt.

       Erich Kästner (*1899 in Dresden, †1974 in München) lebte von 1927 bis 1945 in Berlin. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Zeitschriftenartikel und Bücher, u. a. die weltbekannten Kinderbücher »Emil und die Detektive«, »Pünktchen und Anton« und »Das fliegende Klassenzimmer«, aber auch der Roman »Fabian – Geschichte eines Moralisten«.

       Berliner Getue

Wiglaf Droste(1997)

      Berlin, Hauptstadt der Höflichkeit

      Das deutsche Schicksal, schrieb Kurt Tucholsky, sei es, vor einem Schalter zu stehen – und das deutsche Ideal, hinter einem Schalter zu sitzen. Offensichtlich kannte der Mann Berlin und die Berliner sehr genau, denn in der Hauptstadt der Deutschen stimmt sein Diktum noch immer uneingeschränkt.

      Deshalb haben die berüchtigten Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für ihre Angestellten Benimmkurse organisiert, um ihnen immerhin das allernötigste Rüstzeug im Umgang mit der Kundschaft an die Hand zu geben – mit dem Ergebnis, daß in der U-Bahn im Anschluß an die nach wie vor geknurrte Mahnung »Zurückbleiben!« – die aber eher wie »Zöörrlll!« klingt – ab und an ein wie zwischen den Zähnen mühsam und unwirsch ausgewürgtes »Bitte!« ertönt, dem deutlich anzuhören ist, wie sehr der BVG-Mann seine Mitmenschen dafür haßt. Ihn so zu demütigen, daß er »bitte« sagen muß! Wenn seine Kollegen das gehört hätten! Die Schande, die Schande!

      Routiniert beherrscht wird der Kammerton B –wie Brüllen oder Berlin – auch von den Bediensteten der Post. Wer erfolgreich den Kriegs- und den Kriechdienst verweigert hat, bekommt hier seine Kaserne nachgereicht. »Dett Jeld is zaknittat!« pflaumt der Schalterbeamte, als ich ihm zwei Zwanziger für Briefmarken hinschiebe. Ja, das ist wahr: Ich hätte die Scheine vorher bügeln sollen. (Jetzt weiß man auch, warum diese herrlichen Menschen stets hinter Panzerglas sitzend ihre Arbeit verrichten; es ist nicht wegen der paar Räuber im Land.)

      Die Berliner Sparkasse buchstabiert ihr S-Initial ebenfalls wie Service; am Tag der Niederschrift dieser Kolumne sind in meiner Filiale sensationellerweise sogar zwei geöffnet, so daß man nicht, wie üblich, zu achtundzwanzigst in einer Schlange anstehen muß, sondern bloß zu vierzehnt in zweien. Was mag nur los sein, frage ich mich irritiert, ist heute Tag der Kunden? Oder hat der Filialleiter Geburtstag? Und trinken deswegen alle so gemütlich Kaffee?

      Zwanzig Minuten später darf ich etwas von meinem Geld abheben. Sagte ich: von meinem Geld? Das ist natürlich ein Irrtum – so, wie mich der Junge hinterm Schalter ansieht, ist das gar nicht mein Geld, sondern seins, seins ganz allein. »Ausweis!« kläfft er und vergleicht – als hätte er’s bei einem DDR-Grenzer gelernt – mehrfach Paßbild und die Erscheinung vor ihm, die er, der Wegelagerer mit Schlips, sichtlich mißbilligt.

      Vielleicht