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Mein Name sei Berlin


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mir klar, warum die Berliner Sparkasse ist, wie sie ist: Manfred Krug macht Reklame für den Verein, Krug, der ja, vor allem mit seiner Werbung für das nach Harn schmeckende Berliner Schultheiß-Bier, die Verkörperung dessen ist, was sich die Berliner selbst großtuerisch als Herz mit Schnauze attestieren – allein, wo wäre das Herz?

      So gesehen freut mich der Regierungsumzug nach Berlin, da mache ich gerne Platz: Die Bonner Unsympathen werden individuell so abgefertigt, wie ihnen das kollektiv ohnehin zukommt.

       Wiglaf Droste (*1961 in Herford) lebt seit 1983 in Berlin. Er war Redakteur der taz und der TITANIC und hat zahlreiche Bücher veröffentlich. Aufgrund seiner satirischen Schärfe und Prägnanz wird er bisweilen als der »Tucholsky unserer Tage« bezeichnet.

Theodor Fontane(ca. 1878)

      Berliner Ton

      Der Grundzug ist ein krasser Egoismus, ein naives, vollkommen aufrichtiges Durchdrungensein von der Überlegenheit und besonderen Berechtigung der eigenen Person und des Ortes, an dem die Person das Glück hatte, geboren zu werden. Um diese beiden Eitelkeiten dreht sich alles.

       Einleitung

      Ich bin viel gereist. Der Berliner Ton hat etwas Spezifisches, wodurch er sich von jedem anderen unterscheidet, auch von den nahegelegenen Städten Dresden, Weimar, Hannover. Und dann Berlin! Zu sagen, daß dieser Ton einen guten Ruf hätte, wäre nicht in der Wahrheit. Er ist aber doch besser als sein Ruf. Es heißt auch hier: »Tout comprendre c’est tout pardonner.«

      Was einem Fremden zunächst auffällt, ist das Laut-Sprechen und das Viel-Sprechen. Warum nicht laut? Ich bin ja ich; und warum nicht viel, ich weiß ja Bescheid, ich habe ja alles gesehen, gehört, gelesen. Dies hängt mit dem Persönlichen zusammen.

      Die Geschichte des Berliner Tons zu schreiben, den Nachweis, wie er sich gebildet, das wäre ein Kapitel für sich und wäre ziemlich gleichbedeutend mit einer Kulturgeschichte unserer Stadt. Ich muß auf ein eigentliches Eingehen auf diese Materie an dieser Stelle verzichten; nur ein paar Andeutungen mögen gestattet sein. Wir sprechen nicht umsonst von »Urbanität«, die »urbs« ist Schöpferin und Trägerin der feinen Sitte, der Politesse. Berlin war aber nie eine »urbs«, es war nie eine Bürger-(Patrizier-) Republik. All das war es nur dem Namen nach. Bis in neuere Zeiten hinein war es ein mit Büros und Kasernen reich ausgestattetes Dorf großen Stils, und eines Tages, um ein Diktum Lord Byrons zu variieren, erwachte es und war eine Residenz geworden. Eine Residenz mit einem Hof, einem Reichstag und einem Heuschrecken-Proletariat. Bürger hatte es nie und hat es noch nicht. Unter dem beständigen Zufluten neuen Rohstoffes, den Behörden überliefert, immer bevormundet und vor allem in seiner ungeheuren Mehrzahl bis in die »hohen Stände« hinauf von einer nur an dieser Stelle vorkommenden Bettelarmut, haben sich die Tugenden der Politesse, der Teilnahme, der Menschenfreundlichkeit, des Wohltuns nicht ausbilden können. In unglaublichem Grade tritt das Ich für sich ein, jeden als Feind ansehend, der auf den Moment wartet, wo ich »austrete«, um sofort in die Lücke einzuspringen. Alles ist Existenzfrage. Mit einer Art von infernaler Heiterkeit stößt einer den anderen von der Beresina-Brücke, um sich das nackte Leben und drüben am anderen Ufer eine »Stellung« zu retten.

      Wie ist der Berliner Ton? Ich habe vor, ehe ich zu einer versöhnlichen Schlußbetrachtung schreite, ihn in drei Haupterscheinungsformen zu besprechen: im Haus, in der Gesellschaft und im Verkehr mit Fremden (Nicht-Berlinern).

       Berliner Hauston

      Der Ton im Hause entbehrt nicht der Liebe und Herzlichkeit, aber der Pietät. Äußerlich ganz gewiß. Es zeigt sich dies in bekannten scherzhaften Bemerkungen, die der Berliner Geist gezeigt hat. Das Verhältnis der Kinder zu Vater und Mutter gipfelt in dem bekannten Satze: »Mama, wenn du den Hut mit der Feder aufsetzt, geh ich nicht mit dir. Ich schäme mich.« Und die Mama gehorcht oder lacht, denn wenn es was gibt, was die Töchter noch übertrifft, so ist es die Mutter. Entferntere Verwandtschaftsgrade müssen sich mit einem »wir sind jetzt mit einem Onkel behaftet« begnügen. Das sind Witzworte. Gewiß. Aber man sage nicht, daß sie für die hier zu behandelnde Frage nichts bedeuten. Sie sind der Strohhalm, an dem sich erkennen läßt, wie der Wind weht.

      Noch mehr als an Pietät fehlt es an Form. Es gibt viele Häuser, in denen die Begrüßungsformen ganz fortfallen. »Es ist so langweilig« oder »Wozu?« Und damit wird das heitere und immer wieder wohltuende, freundliche »Guten Morgen« einfach gestrichen. Am meisten tritt aber das Fehlen der Form bei unseren Mittagsmahlzeiten hervor. Wer nicht im Ausland gelebt hat, wird sich dessen nicht bewußt. Nur wer lange »draußen« war, empfindet dies in aller Stärke.

      In wachsender Progression haben wir jetzt Berliner Häuser, in denen die Pflege schöner Form beginnt, aber diese Berliner Häuser sind nicht Repräsentanten des »Berliner Tons«. Wo dieser in aller Herrlichkeit existiert – und er reicht unter Umständen bis hoch hinauf –, da hat er sich seine Formlosigkeit, seine Auseinandergefallenheit bewahrt, und diese gedenke ich zu schildern. Ich greife in die Mitte hinein und schildere ein Oberlehrerhaus (hatte Theologie studiert), an dessen Tisch ich gelegentlich als Gast gesessen habe.

      Ein Junge, achtjährig, läuft durch alle Stuben und ruft: »Rasch! Essen!« Alle Stubentüren offenlassend, ist er der erste in dem bekannten »Berliner Saal«, und das mit einigen Besingflecken ausgestattete Tischtuch zurückschlagend, versteckt er sich unter dem Tisch. Im Laufe der nächsten fünf Minuten, von einigen ernsteren Nachzüglern abgesehen, erscheinen nun die Mitglieder der Familie und nehmen an einer Ovaltafel Platz, auf der der Suppenrauch wie Opferrauch emporsteigt. Das »Mundrechte« ist noch nicht Mode. »Wo ist Paul?« fragt die Mutter, und im wirren Durcheinander werden von drei Schwestern und zwei halberwachsenen Brüdern wirre Vermutungen ausgesprochen, bis es unter dem Tisch leise zu »miauen« anfängt und Paul, am unteren Ende des Tisches, aus seiner Versenkung hervortritt. Bei guter Laune durch allgemeine Heiterkeit belohnt, bei schlechter Laune durch eine Ohrfeige bestraft. Letzteres führt zu Weinen. Worauf sich ein Disput zwischen den Eltern entspinnt, ob es nicht zu streng war. Die Kinder nehmen, wie ein in Majorität und Minorität geteilter parlamentarischer Körper, an dieser Debatte teil und beschließen, daß der »arme Paul« ein Schmerzensgeld erhalten soll, einen Apfel oder drei Pflaumen. Er stürzt auch sofort auf die Kommode zu, wo der Obstteller steht, und beißt in seinen Apfel rein, während die anderen noch bei der Suppe sind. Der älteste Sohn läßt sie von dem hocherhobenen Löffel in einem dünnen Strahl niederträufeln, angeblich, um sie zu pusten, in Wahrheit, um zu zeigen, wie dünn sie ist.

      Es kommt nun Fleisch mit Soße, und die zweite Tochter erzählt etwas, was der zweite Bruder im Laufe des Vormittags gesagt haben soll. Es ist das Gleichgültigste von der Welt. Nichtsdestoweniger entspinnt sich ein Streit über die Fassung dieses Zitats, und ehe noch geschlichtet werden kann, ist nicht nur die Wendung »das ist nicht wahr« dreimal gefallen, sondern der empörte Bruder erhebt sich auch ohne weiteres von der Tafel, und mit der Versicherung: »Alles gelogen, Martha lügt immer«, verläßt er das Zimmer.

      Denn alles ist Lebensfrage, und alles wird mit einer Leidenschaftlichkeit verhandelt, als ob das Schicksal ganzer Völkerschaften auf dem Spiele stünde. Am häufigsten, wenn nicht Streitszenen ausbrechen, sind die wissenschaftlichen und am liebsten die politischen Debatten, an welch letzteren teilzunehmen bis zu Paul hinunter jedem Mitgliede der Familie freisteht. Dieser Eifer über Tisch führt, bei der Gründlichkeit aller Familienmitglieder, zu beständigem Nachschlagen in Büchern und Zeitungen, wobei dann die großformatige, das Haus beherrschende »Norddeutsche All. Zeitung« in der ganzen Fülle ihres Großformats aufgeschlagen und mit ihren Spitzen in die Kompottschüssel getaucht wird. Fast immer Preißelbeeren. Allmählich verlaufen sich die Mitglieder der Tafel, die nicht aufgehoben wird, sondern sich auflöst und heute eine Stunde lang unabgedeckt bleibt, da das Mädchen in der Waschküche zu tun hat und die Fräuleins in den Zoologischen müßen. Es ist ein heißer Tag. Die Fliegen werfen sich über die Teller her, und wer den Berliner Saal um diese Stunde passiert, erschrickt.

       In der Gesellschaft

      Sie sprechen nur von sich, oder wenn ausnahmsweise ein