Frederik Hetmann

Route 66


Скачать книгу

sehr eindrucksvoll, doch wie es da stand, war es für eine lange und harte Reise bestimmt. Die Passagiere an Bord der Radnor entsprachen dieser Fracht. Im Salon sah man Santa Fe-Händler, Spieler, Spekulanten und Auswanderer, Mountain-Men, Neger und eine ganze Gruppe Kansas-Indianer, die von einem Besuch in St. Louis zurückkamen.«

       American Memories

      »Greely schrie dem überbevölkerten Osten ins Ohr: ›Go West, junger Mann!‹ Diese Überschrift eines seiner Artikel wurde zum geflügelten Wort, zur Parole für einen neuen Aufbruch nach Westen.«

       Überlieferung aus Denver, Colorado

       12. Wir in St. Louis oder Die kleine rote Postkutsche

      Das moderne Wahrzeichen von St. Louis ist ein gewaltiger, begehbarer Torbogen, der den »Eingang« zum Wilden Westen symbolisieren soll. In seiner Basis ist das Museum Of Westward Expansion untergebracht. Ich bin nicht schwindelfrei. Während meine Mitreisenden zu luftigen Höhen aufsteigen, durchstreife ich das Museum, lese Berichte von Reisen in den Wilden Westen aus dem vorigen Jahrhundert und bleibe schließlich im Vorhof vor einer kleinen roten Postkutsche stehen. Sie erscheint mir ganz einfach schön in ihren Ausmaßen, der gediegenen Verarbeitung der einzelnen Teile. Sie hat Eleganz und ist ein Symbol, ein Symbol für die Art der Fortbewegung durch dieses Land, ehe die Eisenbahn kam.

      Wie selbstverständlich braust unser Bus funkelnagelneu – der Fahrer hat ihn, ehe er uns an Bord nahm, aus dem Werk in Kanada abgeholt – über die Route 66. Und wenn auch nur das Geringste nicht in Ordnung ist und der schnauzbärtige Fahrer, dessen Souveränität man nur bewundern kann, nicht in der Lage sein sollte, die Störung selbst zu beheben, wird über Nacht aus Kanada ein Techniker eingeflogen, der alles wieder in Ordnung bringt. Damit wir, die Touristen der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, nur auf keinen Gran unserer Bequemlichkeit verzichten müssen. Und damals?

      Die Kunst des Kutschenbaus, so belehrt mich ein kleines Schild, hatte ihre Blütezeit mit Zunahme der Siedlerzüge nach Westen in dem Jahrzehnt nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Die große Zeit der Kutschen als wichtigstes Verkehrsmittel im Westen lag zwischen 1850 und 1870. Danach ersetzte die Eisenbahn zunehmend die von Pferden gezogenen Wagen als Transportmittel für Passagiere und Post. Aber in diesen zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts schob sich die Frontier, die Grenze, gemäß des zuvor erwähnten Manifest Destiny, nach Westen vor, und das Kutschengeschäft mit ihr. 1820 tauchten die ersten Fahrgäste befördernden Kutschen in St. Louis auf. 1837 verband schon ein regelmäßiger Kutschenverkehr die Orte am Mississippi. 1876 betrieb die Minnesota Stage Company eine Netz von 2000 Meilen, das bis nach Wisconsin ins Dakota-Territory und nach Kanada reichte. Im Südwesten wurde ab 1865 Santa Fe durch die Southern Stage Line mit Denver verbunden, und in Texas verkehrten 1860 schon 31 Linien. In den 50er und 60er Jahren breiteten sich die Bergwerksstädte von Kalifornien ostwärts in die Sierra Nevada und die Rocky Mountains aus. Mit jedem neuen Fund an Edelmetall schossen sie wie Pilze aus dem Boden, die Nachfrage nach Kommunikations- und Transportmöglichkeiten wuchs. Vor allem bestand der dringende Wunsch nach einem zuverlässigen Postdienst zwischen Ost und West. Dem trug der amerikanische Kongress 1857 durch ein Gesetz Rechnung, das den Postminister ermächtigte, von privaten Gesellschaften Gebote auf einen halb- oder wöchentlichen transkontinentalen Postdienst entgegenzunehmen. Den Zuschlag erhielt die Butterfield Overland Mail, und am 15. September 1858 begann sie ihren regulären Kutschenverkehr über 2812 Meilen auf der südwestlichen Route zwischen Tiptoen, Missouri, und San Francisco. Zwei Kutschen fuhren pro Woche in jede Richtung, und die normale Reisezeit lag unter 25 Tagen.

      Wenn die Kutsche damals auch noch, abgesehen von den berittenen Boten des Pony-Express, das schnellste Fortbewegungsmittel von einem Ort zum anderen darstellte, so war es doch kein einfaches und bequemes Reisen. Die Fahrgäste waren unterwegs Hitze und Kälte ausgesetzt, an Schlaf war meistens nicht zu denken; die Speisen, die man ihnen an entlegenen Orten vorsetzte, waren miserabel. 1877 erschien im Omaha Herold unter dem Titel »Hinweise für die Reisenden über die Plains«, die folgenden guten Ratschläge:

      »Der beste Platz auf einer Postkutsche ist der neben dem Kutscher. Sollten die Pferde durchgehen, bleiben Sie ruhig sitzen und halten Sie sich dies vor Augen: Wenn Sie jetzt abspringen, werden Sie in neun von zehn Fällen verletzt werden. Rauchen Sie in der Kutsche keinen starken Pfeifentabak, besonders nicht am Morgen. Spucken Sie immer auf der dem Wind abgekehrten Seite aus dem Fenster! Fluchen Sie nicht über Ihren Nachbarn, wenn dieser schläft und schnarcht! Versuchen Sie nie, unterwegs ein Gewehr oder eine Pistole abzufeuern. Es würde die Pferde erschrecken. Unterlassen Sie es, über Politik oder Religion zu diskutieren. Fetten Sie Ihr Haar vor der Abfahrt nicht ein, andernfalls wird sich der Staub dort festsetzen, und Sie müssen gewärtig sein, dass sich dort ein Fleck in Form einer Kartoffel bildet.«

      Was man damals auf einer Postkutschenfahrt, allerdings etwas weiter westlich, nämlich auf den Straßen Colorados, erleben konnte, schildert der folgende Text:

      »Während der schweren und lang anhaltenden Schneefälle war der Postkutschenverkehr zwischen Silverton und Outray eingestellt worden. Aber um den Zug noch zu erreichen, waren wir gezwungen, die Reise auf einem Schlitten über einen Pass in den Red Mountains zu machen.

      ›Ist es sehr gefährlich?‹ fragte ich einen Einheimischen, und er antwortete: ›Nun, der Mann aus dem Leihstall gibt ja wohl seine Pferde dafür her, oder? Und Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Sie seien mehr wert als so ein braves Pferd?‹

      Das klang sehr ermutigend, und um vier Uhr morgens, in Wolfsfelle eingehüllt, brachen wir auf. Die Hunde bellten zum Abschied, und in einer Spielhölle brannte noch Licht.

      Es war Vollmond, die Berge glitzerten, eine silberne Kette vor einem fernen Himmel.

      ›Ist das die Straße, auf der gestern die Kutsche umgestürzt ist?‹ fragte ich den Fahrer.

      ›Ja, aber es ist keine so üble Gegend.‹

      ›Stürzt sie gewöhnlich immer an den besten Stellen um?‹

      ›Im allgemeinen ja.‹

      ›Was halten Sie denn von dieser Fahrt?‹

      ›Da möchte ich mich lieber nicht dazu äußern, ehe wir’s hinter uns haben.‹

      ›Wie hoch ist das Red-Gebirge?‹

      ›So an die 13.000 Fuß.‹

      ›Können wir von ganz oben herunterfallen?‹

      ›Das wohl kaum. So nach 1000 Fuß würden Sie auf eine Klippe stoßen. ‹

      ›Stürzen oft Leute ab?‹

      ›Bisher erst einmal. ‹

      Mit mir reisten Eugene Banks, der Dichter, und Wallace Bruce Amsbery, dessen französisch-kanadische Dialektgedichte in der Zeitschrift Century weite Beachtung gefunden hatten. Banks starrte ins Mondlicht, Amsbery beobachtete die Pferde, wie sie sich durch den Schnee wühlten. Ich erwog meine Chancen. Vor uns die Baumgrenze, ein Anblick von schrecklicher Schönheit, der mich schaudern ließ. Aber in Ehrfurcht, wenn ich hinabsah. Man war fast gezwungen, laut zu rufen: ›Ach du arme Feder! Du lumpiger Pinsel! ‹ Alles war von einer so unerhörten Großartigkeit, dass man tausend Augen hätte haben wollen, um das Wunder in sich aufzunehmen.

       American Memories

      »Ein berühmter Outlaw, dessen Spezialität die Überfälle auf Eisenbahnzüge war, schrieb an die Union Pacific und beklagte sich darüber, dass deren Züge für den normalen Sterblichen einfach mit zu hoher Geschwindigkeit verkehrten.«

       Philip Ashton Rollins

      ›Haben wir das Schlimmste jetzt hinter uns?‹ fragte ich den Fahrer.

      ›Das Schlimmste wovon? Von der Gefahr? Wir sind noch nicht einmal auf halbem Weg!‹

      Ich meinte, das könne nicht wahr sein, aber es stimmte. Der Sturm lag hinter uns, ein geisterhaftes Tageslicht ließ den Mond verblassen. Wir kamen durch eine aufgegebene Bergwerksstadt.