andere Filmemacher wie Ince, Sennett und DeMill nach. Aber Boggs war der Pionier gewesen. Selbst der Name Hollywood soll sich nicht von einem Stechpalmenbaum herleiten, sondern von einer Ortschaft in Illinois.
Bei den ersten Beratungen des Ausschusses kam man überein, die Route von Chicago nach Springfield, Missouri, und dann westlich durch Kansas und Colorado nach Kalifornien zu führen.
Cy Avery, der inzwischen gelernt hatte, Leute dazu zu bringen, seine Vorstellungen als die ihren zu betrachten, warf ein, dass sich eine Trasse durch die Gebirge Colorados gewiss sehr malerisch ausnehmen würde. Aber bestimmt würde eine Route, die weiter südlich durch das flache Land von Oklahoma, den Texas Panhandle, New Mexico und Arizona verlief, wesentlich billiger kommen. Und wenn sie Höhenlagen vermied, würde dann diese Straße nicht auch weniger wetteranfällig sein? Die von Cy Avery vorgeschlagene Route wurde beschlossen.
Jetzt war nur noch die Frage der Bezeichnung zu klären. Nach dem schon feststehenden Netzsystem gab es drei Möglichkeiten: 62, 64 oder 66. Als Kansas mit einem Wunsch nach einer Straße zweiter Ordnung durchdrang, fiel die erste Option weg. Der Grund, warum man sich für 66 entschied, ist nicht bekannt. Aber als der Ausschuss am Waffenstillstandstag des Jahres 1926 zusammentrat, beschloss er, die Straße von Chicago nach Los Angeles »Route 66« zu nennen. Das Landwirtschaftsministerium billigte diesen Beschluss zwei Tage später.
Sich von Westen am Michigan-See nach Südwesten schwingend, führte die Route über Flüsse, durch Ebenen, Gebirge, Wüsten, Canyons in acht Bundesstaaten und durch mehrere Stammesgebiete der American Natives. Sie endete nach 2448 Meilen kurz vor dem Pazifischen Ozean.
Wie die meisten amerikanischen Fernstraßen dieser Tage war die Strecke zunächst nicht viel mehr als eine staubige transkontinentale Piste, die sich bei Regenfällen mit Wasser und Schlamm füllte. In jenen Tagen, so hört man, sei selbst der Atlantikflug Lindberghs einfacher gewesen als eine Überlandfahrt auf der 66 mit dem Automobil. Und Reisende, die es immerhin bis zur Mojave-Wüste schafften, blätterten eine beträchtliche Summe hin, wenn sie es dort vorzogen, ihre Fahrzeuge auf die Eisenbahn zu verladen, statt eine Panne in der riesigen Wüste zu riskieren. Cy wurde zum Mitbegründer der Highway-66-Association. Die Städte, die an der Route lagen, hatten jeweils 47.000 Dollar zu Werbezwecken aufzubringen, und als sich der Vorstand der neuen Vereinigung im Herbst 1927 traf, beschloss er, die neue Route »Hauptstraße Amerikas« zu nennen. Die Highway-40-Association, die dasselbe Motto schon anderthalb Jahre früher benutzte, protestierte vergebens.
American Memories
»Abhauen dorthin, wo das Klima meinen Kleidern entspricht.
Irgendwohin, wo das Wasser wie Wein schmeckt.«
Hans-Christian Kirsch,
Einem Bettler in den Hut (Poems Quarter Each)
Cy Avery, der später noch das Trinkwassersystem von Tulsa entwickelte und im gleichen Ort den Bau des ersten Flughafens durchsetzte, feierte noch viele Erfolge in seinem Leben. Aber die Erfindung der Route 66 war sein Meisterstück. Er starb 1963 im Alter von 92 Jahren.
Schon Mitte der 30er Jahre wurde die Fernstraße zum Mythos. Sie symbolisierte den ewigen Drang nach Westen. Es war John Steinbeck, der als erster die weiblich-nährende Qualität der Route 66 entdeckte und sie die »mütterliche Straße« nannte. Durch seinen Roman Die Früchte des Zorns und dessen Helden, die Joad Family, blieb die Route 66 für immer im Bewusstsein der Nation verankert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das Lied eines gewissen Bobby Troups, von dem noch zu reden sein wird, das die Straße für viele so verlockend erscheinen ließ. Diesen Ohrwurm sangen sie alle – von den Andrew Sisters bis zu den Rolling Stones. Aber es war die Aufnahme von Nat King Cole, die aus dem Song einen Super-Hit machte.
Im Verlauf dieser Ereignisse wurde die »US 66« zu viel mehr als nur zu einer transkontinentalen Straße. Für Millionen, die sie befuhren, wurde sie zu einem nationalen Symbol für die Mobilität und Vitalität der USA. In einem amerikanischen Reiseführer über sie kann man lesen: »Die Route 66 verkörpert nicht nur, wer wir als Volk sind, sondern auch, wer wir zu sein wünschen.«
Aber dann kam auch scheinbar das Ende. Die Route 66 wurde über weite Strecken hin aufgegeben oder war nur noch provinzieller Verbindungsweg. Ihre Funktion übernahmen die modernen Freeways. Als deren letztes Stück, die I-40, 1984 fertiggestellt war, kam die Anweisung, alle Spuren der 66 in Form von Straßenschildern zu tilgen. Für die Route 66 schien die letzte Stunde geschlagen zu haben. Aber da erwies sich, dass die Legende stärker war als Bequemlichkeit und moderne Zweckmäßigkeit.
Für Touristen, die auf Motorrädern, mit Bussen und Autos fuhren, lebte die alte Aura der Route 66 wieder auf. Und wenn man sich fragt, warum, so muss die Antwort wohl lauten: Weil man mit ihr nicht nur ein gutes Stück Amerika sieht, sondern auch eine Vorstellung vom amerikanischen Lebensgefühl erhält. Von der Schönheit der Natur dieses Landes, der sich manchmal ins Romantische verfärbenden Hässlichkeit ihrer Zivilisation, von der Weite, von der Freiheit und einer modernen Wildnis, die jenseits einer vom Menschen beherrschten Natur entstanden ist.
Wo beginnt die Route 66? Selbst das ist eine Streitfrage: Ursprünglich downtown in Chicago, an der Ecke Jackson Boulevard/Michigan Avenue, später dann am Lake Shore-Drive, am Eingang zum Grant-Park. Tom Snyders Route 66 Travellers-Guide empfiehlt als Fotostandort für ein erstes Bild von der Route 66 Wacker Drive mit einem aufregenden Ausblick über die Michigan Drive nach Süden. Und nun brechen wir auf.
9. Ein Baum wächst in Funks Grove
Das kleine Wäldchen mit den ahornsirupspendenden Bäumen liegt 15 Meilen südlich von Bloomington an der alten Route 66. Heute bewegt sich der Verkehr auf der neuen Interstate, und man muss einen Umweg machen, um Funks Grove zu erreichen. Dafür bekommt man ein interessantes Landschaftsphänomen zu sehen. Man befindet sich hier schon in der Prärie. Doch Funks Grove bildet als einer der letzten Ausläufer der ehemals geschlossenen Waldgebiete des Ostens eine grüne Insel. Man hat von der Erhebung, die das Wäldchen bedeckt, bei klarem Wetter einen guten Fernblick, und außerdem ist es auch noch, wie die Fama zu erzählen weiß, eine Wetterscheide. Das Grasland der Prärien hatte immer besseren Boden als das Waldland, und so schauen heute die Homesteader aus der Prärie hinüber zu der bewaldeten Insel und sagen: »Das Wetter, das über dem Grove steht, wird in zwanzig Minuten bei uns sein.«
American Memories
»Die Kaninchen sind hier so groß wie Hasen und haben die Ohren eines Esels, die Frösche haben die Körper einer Kröte und den Schwanz einer Eidechse. Die Bäume fallen bergauf, und der Blitz zuckt aus der Erde hervor.«
Brief eines Auswanderers aus Illinois heim nach Europa
Die vorherrschende Windrichtung verläuft von den Prärien zum Grove, und der Wind hat im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Prärieerde in den Wald getragen. Deswegen geben dort die Ahornbäume regelmäßig Rekordernten an Maple Sirup, der in den USA für den morgendlichen Pfannkuchen so beliebt ist. Isaac Funk aus Deutschland, der als erster in dem Wäldchen siedelte, pflegte jährlich am 1. Februar loszugehen und die Bäume anzuzapfen. Inzwischen ist es die sechste Generation, die dort
Ahornsirup produziert. Steve und Glaida Funk haben ihr Wohnhaus auf einer Lichtung nahe der Sirupkocherei errichtet. Die Geschichte ihrer Liebe ist filmreif. Steve und Glaida begegneten einander während des Zweiten Weltkriegs in Oklahoma. Er war Kampfpilot und sie ein Mädchen aus einer Kleinstadt. Nach dem Krieg kehrte Steve nach Illinois zurück und bekam einen Job als Baumschneider in der Nähe von Chicago. Aber eines Tages stürzte er und wurde arbeitsunfähig. Er fuhr zu Glaida über die 66, und sie pflegte ihn gesund. Dann brannten sie zusammen durch. Noch heute, so kann man Steve erzählen hören, ist seine Schwiegermutter nicht völlig davon überzeugt, dass er der rechte Mann für ihre Tochter sei. »Aber auf Bäume steigen konnte ich nicht mehr, und so heiratete ich Glaida.« Kurz nach ihrer Eheschließung fragte Tante Hazel das junge Paar, ob sie nicht das Grove übernehmen wollten. Und so wurden sie die neuen Besitzer. Die Sache lief ganz gut an. Gegen