Handelns: Sie bieten ein sinnstiftendes Narrativ über die Probleme des Systems und zeigen im ethischen Konsum einen einfachen und gefahrlosen Lösungsweg. Solches folkpolitische Handeln hinterlässt das Gefühl, etwas getan zu haben. Die Großbanken stehen als die Schuldigen da, und die Idee, es zeitige erhebliche Folgen, wenn einzelne Kunden ihr Geld auf kleinere lokale Banken und Kreditinstitute transferieren, scheint plausibel. Das Modell ignoriert allerdings die Komplexität (und Abstraktheit) der modernen Finanzsphäre. Die Geldzirkulation funktioniert unmittelbar global und ist zudem mit allen anderen Märkten verbunden. Sobald kleinere Banken und Kreditinstitute über Aktiva verfügen, die auf der lokalen Ebene nicht mehr profitabel zu reinvestieren sind, werden sie zwangsläufig nach anderweitigen Investitionsmöglichkeiten suchen. So offenbart ein Blick auf die Geschäfte kleinerer Banken in den USA, dass sie sich auf denselben globalen Finanzmärkten betätigen wie alle anderen Institute auch: Sie investieren in Staatsanleihen, Hypotheken oder Aktien, und sie beteiligen sich ebenso wie Großbanken an risikoreichen Kreditgeschäften mit negativen gesellschaftlichen Auswirkungen.130
Nun wäre vielleicht zu erwarten, eine reformistische Kampagne wie »Move Your Money« hätte zumindest gewisse Veränderungen im Gefüge des Bankensystems in den USA zur Folge gehabt. Doch tatsächlich erhöhten sich in der Zeit nach der Finanzkrise bis September 2013 die Aktiva der sechs größten US-Banken um 37 Prozent. So sind diese Großbanken heute in jeder Hinsicht stärker als zu Beginn der Krise und halten landesweit 67 Prozent der Vermögenswerte der gesamten Branche.131 Zwar gab es weltweit gesetzgeberische Bemühungen, die Mechanismen, die letztlich in die Krise führten, strenger zu reglementieren – indem beispielsweise die Eigenkapitalquote erhöht oder regelmäßige Stresstests eingeführt wurden, um künftig die Notwendigkeit von »Bankenrettungen« möglichst zu vermeiden –, aber risikoreiche Kredit- und Derivatgeschäfte von gigantischen Ausmaßen gibt es weiterhin.132
Die Bemühungen, der Bedeutung von Großbanken durch lokalistische Kampagnen etwas entgegenzusetzen, scheinen also zum Scheitern verurteilt; doch was ist mit Initiativen, die sich das in hohem Maße durch lokale Geldinstitute geprägte kontinentaleuropäische Bankwesen zum Vorbild nehmen? So sind beispielsweise rund 70 Prozent der Institute in Deutschland kleinere öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Institute.133 Die Genossenschaftsbanken und Sparkassen in Deutschland und der Schweiz würden, so deren Befürworter, Solidargemeinschaften bilden und Risiken gemeinsam tragen; ihre Vorteile seien ihr hoher Grad an Selbstständigkeit und ihre Kenntnis der lokalen Verhältnisse, wodurch sie im Großen und Ganzen die Finanzkrise unbeschadet überstehen konnten.134 Lokale Geldhäuser dieser Art seien eher geneigt, heißt es, kleinen Unternehmen Kredite zu gewähren, als dies die in Großbritannien und den USA stärker verbreiteten Großbanken tun. Indes wird, trotz bestimmter Vorteile eines Bankensystems mit einer starken lokalen Säule, deren Stabilität häufig übertrieben dargestellt. So gingen die Sparkassen in Spanien (die Cajas), ungeachtet ihres Status als regional organisierte, öffentlich-rechtliche Institute, in den 2000er Jahren erhebliche Risiken im Immobiliengeschäft und bei spekulativen Investitionen ein, was eine tiefgreifende Restrukturierung der Branche nach der Krise von 2008 notwendig machte. Auch wenn in den Führungsetagen der Cajas lokale Interessen repräsentiert waren, wurden Investitionsentscheidungen letztlich ohne eine wirkliche Aufsicht getroffen. Lokalisierung bedeutete in diesem Fall politische Einflussnahme der lokalen Administration auf vermeintlich neutrale Kontrollgremien, eingebettet in einen um sich greifenden Nepotismus, und manche Sparkasse wurde zu einer Investitionsplattform für spekulative Immobiliengeschäfte.135 Die regional organisierten Cajas gehörten in Spanien zu den Geldhäusern, die die Finanzkrise am schlimmsten traf, und die anschließende Restrukturierung bedeutete in vielen Fällen die Fusion lokaler Sparkassen und die Bildung größerer Institute. Selbst in Deutschland, das oft dafür gepriesen wird, weltweit über das Bankensystem mit dem am besten organisierten öffentlichen Sektor zu verfügen, gab es Probleme mit einigen regionalen Instituten. Verschiedene Landesbanken beispielsweise hatten sehr stark in strukturierte Kreditprodukte investiert, die sich in der Finanzkrise besonders schlecht entwickelten.136 Kleinere Banken oder Sparkassen sind also, soviel ist zu lernen, nicht grundsätzlich besser gerüstet, eine Finanzkrise zu überstehen – zumal es heutzutage unmöglich ist, die Ebenen des Lokalen und des Globalen überhaupt klar zu trennen. Politische Einflussnahme, die Notwendigkeit, profitable Investitionsmöglichkeiten zu finden, auch wenn diese außerhalb des regionalen Rahmens liegen, und nicht zuletzt die höheren Gewinne, die risikoreiche Investitionen versprechen, sind Faktoren, die kleinere Institute zu einem Teil der globalen Finanzsphäre machen. Auch genossenschaftliches Eigentum garantiert kein größeres Verantwortungsbewusstsein in Finanzdingen, wie etwa die Schieflage der britischen Co-operative Bank belegt, die 2009, nach einer schlecht geplanten Übernahme einer Wohnungsbaugesellschaft, beinahe zusammengebrochen wäre.137 Die strukturellen Probleme des Finanzsektors lassen sich nur angehen, wenn dieser seine Machtpositionen verliert, sei es durch eine umfassende Regulierung (wie es für kurze Zeit dem Keynesianismus der Nachkriegszeit gelang) oder durch eher revolutionäre Mittel. Die Fetischisierung des Kleinen und Lokalen scheint eher ein Weg, effektivere Maßnahmen auszublenden, mit deren Hilfe sich das System zum Besseren verändern ließe.
Widerstand ist nutzlos
Einen manifesten Ausdruck finden folkpolitische Vorstellungen in radikalen horizontalistischen Bewegungen ebenso wie in eher moderaten lokalistischen Initiativen; doch ganz ähnliche Haltungen lassen sich in vielen Strömungen der heutigen Linken entdecken. Quer durch all diese Spektren kommt es in einer Reihe von Punkten immer wieder zu Übereinstimmungen: über die Vorzüge des Kleinen und Überschaubaren (»Small is beautiful«), die ethische Überlegenheit des Lokalen, die Vorteile des Einfachen, das Bedrückende von Institutionen oder das Ende des Fortschritts. Solche Vorstellungen sind weitaus populärer als ein Nachdenken über ein gegenhegemoniales Projekt, über eine Politik also, die sich in einem wirklich großen Maßstab gegen die Kapitalmacht behaupten könnte. Im Kern ist die aktuelle Folk-Politik Ausdruck eines »tiefsitzenden Pessimismus: Er geht davon aus, dass kollektive soziale Veränderungen im großen Maßstab nicht zu erreichen sind.«138 Der Defätismus läuft in der Linken Amok – und angesichts der fortwährenden Fehlschläge der vergangenen drei Jahrzehnte hat er dazu vielleicht allen Grund.
In den Parteien der reformistischen Linken wird im
besten Fall noch nostalgisch einer längst versunkenen Vergangenheit nachgetrauert. Als radikal gilt hier schon, wer von einem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat träumt oder die Erinnerung an das »goldene Zeitalter« des Kapitalismus pflegt.139 Die einstigen Voraussetzungen des Sozialstaats existieren indes längst nicht mehr. Jenes goldene Zeitalter war abhängig von einem bestimmten Paradigma der Produktion, von industriellen Normalarbeitsverhältnissen, die (weißen, männlichen) Arbeitern Sicherheit und einen bescheidenen Lebensstandard boten; im Gegenzug bescherten jene Verhältnisse ihnen ein Leben lang unglaubliche Langeweile und gesellschaftliche Unterordnung. Das Modell gründete auf einer internationalen Hierarchie imperialer Mächte, ihrer Kolonien und unterentwickelten Peripherien sowie auf der Hierarchie innerhalb des Nationalstaats, zu der Rassismus und Sexismus ebenso gehören wie die Unterdrückung von Frauen innerhalb der Familien. Der so beschaffene Sozialstaat schloss ferner ein bestimmtes Klassenkräfteverhältnis ein – und die Bereitschaft, dieses anzuerkennen. Und selbst das war nur möglich nach der beispiellosen Verwüstung, die die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatten, sowie unter dem Eindruck der Bedrohung durch Kommunismus und Faschismus. Heute lässt sich ein Regime wie das des goldenen Zeitalters weder wiederherstellen noch wäre das wünschenswert, ungeachtet aller Nostalgie, die viele vielleicht empfinden. Und selbst wenn es einen Weg zurück zu jenem Sozialstaat gäbe, sollten wir ihn nicht einschlagen. Es gibt bessere Ziele als das sozialdemokratische Festhalten an Arbeitsplätzen und Wachstum, denn letztlich bedeutet das immer, sich und andere über den Charakter des Kapitalismus hinwegzutäuschen. Statt einer nostalgisch verklärten Vergangenheit als Modell der Zukunft sollte unser Ziel lauten, eine eigene Zukunft zu schaffen. Die Zwänge der Gegenwart hinter sich zu lassen, wird nicht durch die Rückwendung zu einem versunkenen, in der Erinnerung verklärten »menschlicheren« Kapitalismus gelingen.
Ebenso wenig wie das nostalgische