gewöhnlich im Vagen: etwa, dass verstreute Momente angeblich »eine Resonanz« fänden, alltägliche Formen des Handelns irgendwann zu einem qualitativen Sprung führten, der die gesellschaftlichen Verhältnisse »knackt«, sich Revolten und Blockaden »ausbreiten und vervielfachen«, Erfahrungen die Beteiligten »kontaminieren« würden oder Nester präfigurativen Widerstands einfach »spontan aufbrechen«.106
Wie auch immer, die Schwierigkeit, den Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Lokalen zum Globalen, vom Temporären zum Permanenten zu beschreiben, wird durch Wunschdenken übergangen. Die strategischen Notwendigkeiten – die politische Bewegung zu verbreitern, auszuweiten und zu verallgemeinern – bleiben Leerstellen.
Obgleich es Occupy insgesamt nicht gelang, Grenzen zu überwinden und die präfigurativen Räume in die Gesellschaft hinein zu erweitern, spielten die Protestcamps eine wichtige Rolle als Ausgangspunkte politischer Interventionen. Tatsächlich war es eine der bedeutendsten Errungenschaften der Occupy-Bewegungen, eine soziale und physische Infrastruktur für die verschiedensten Formen direkter Aktion zu etablieren. In verschiedenen Ländern, etwa in Griechenland und in Spanien, wurden Schuldnerstreiks organisiert oder wilde Ausstände durch Streikposten unterstützt. Andere Occupy-Bewegungen beteiligten sich an Hausbesetzungen, versorgten Obdachlose mit Nahrungsmitteln, betrieben Piratensender, mobilisierten zum Widerstand gegen Zwangsräumungen, protestierten gegen Kürzungen staatlicher Beihilfen oder leisteten nach Naturkatastrophen humanitäre Hilfe. Doch sollte die Rolle von Occupy auch nicht überbewertet werden.
Beispielsweise konnte der Widerstand gegen Zwangsräumungen und -vollstreckungen an die Arbeit bereits länger existierender politischer Kampagnen anknüpfen, etwa die der von schwarzen Aktivistinnen und Aktivisten getragenen Bewegung Take Back the Land.107 Das grundlegendere Problem ist indes, dass direkte Aktion Oberflächenphänomene aufgreift, die Wunden sieht, die der Kapitalismus schlägt, doch die zugrundeliegenden Probleme und Strukturen nicht berührt. Zwangsräumungen gibt es weiterhin zuhauf, die Verschuldung privater Haushalte erreicht neue Rekordstände, Beschäftigte werden auf die Straße gesetzt und die Zahl der Obdachlosen steigt weiter steil an. So waren es letztlich die Grenzen einer Propaganda der Tat, die Occupy offensichtlich werden ließ.108 Direkte Aktion kann erfolgreich sein, doch bleiben ihre Erfolge folkpolitisch bedingt und insofern räumlich und zeitlich beschränkt. Sie mag imstande sein, die schlimmsten Exzesse des Kapitalismus abzumildern, doch konzentriert sie sich häufig auf intuitiv erfassbare Ziele und wird daher niemals eine Antwort auf das Problem finden, wie sich eine global vernetzte Abstraktion bekämpfen lässt.109 Das Projekt einer expansiven Linken – einer Linken, deren Ziel es ist, den Kapitalismus grundlegend umzuwälzen – bleibt außen vor.
Das Bild von Occupy, das sich daraus ergibt, zeigt eine Bewegung, die untrennbar verbunden war mit bestimmten Annahmen über die politischen Vorteile lokaler Räume, kleiner Gemeinschaften, direkter Demokratie und temporärer Autonomie an den Rändern der Gesellschaft. Derartige Überzeugungen machten es unmöglich, räumlich zu expandieren, nachhaltige Veränderungen zu etablieren und sich selbst zu verallgemeinern. Wirkliche Erfolge errang Occupy als eine Bewegung der Solidarität, die den Erniedrigten und Marginalisierten eine Stimme gab und öffentliches Bewusstsein weckte. Doch insgesamt blieb sie ein Archipel präfigurativer Inseln inmitten einer unerbittlich feindseligen kapitalistischen Umwelt. Der unmittelbare Grund für die Niederlage von Occupy war die staatliche Repression, die rücksichtslose Räumung der besetzten Plätze überall in den USA durch polizeiliche Aufstandsbekämpfungseinheiten. Die strukturellen Gründe für das Scheitern aber lagen in den Überzeugungen und Praktiken der Bewegung. Ohne den Brennpunkt der besetzten Räume zerfiel die Bewegung und löste sich auf.
Letzten Endes hatte die Organisationsform von Occupy keine Antwort auf das Problem, wie die Bewegung hätte expandieren und eine Form von Gegenmacht entwickeln können, um der unausweichlichen staatlichen Reaktion Widerstand entgegenzusetzen. Was in einem bestimmten Rahmen – mit vielleicht hundert Beteiligten – möglicherwiese funktioniert, wird schwieriger, je weiter der Kreis gezogen wird.110
Sucht linke Politik wirklich die Auseinandersetzung mit globalen Akteuren – mit dem neoliberalen Kapitalismus und dessen Entscheidungsstrukturen, mit führenden Staaten samt ihrer Militär- und Polizeiapparate sowie mit all den Konzernen und Banken weltweit –, dann ist es unumgänglich, die Ebene des Lokalen zu verlassen. Von Bewegungen wie Occupy ist gewiss viel zu lernen, doch bleiben sie auf sich gestellt außerstande, die Verhältnisse im Großen zu verändern.
Argentinien
Einen Beleg für erfolgreiche horizontalistische Politik scheint, wenn überhaupt, einzig das Beispiel Argentiniens zu liefern, wo es landesweit zu einer Wende zum Horizontalismus kam und Arbeiter die Kontrolle über zahlreiche Fabriken übernahmen. Doch letztendlich wirft der Blick auf die argentinische Erfahrung vor allem ein neues Licht auf die Begrenztheit eines folkpolitischen Ansatzes. In Argentinien war es der Zusammenbruch der einheimischen Wirtschaft, der den gesellschaftlichen Wandel unmittelbar notwendig machte. Nach einer massiven Rezession im Jahr 1998 und einem danach ausbleibenden Aufschwung sank das argentinische Bruttoinlandsprodukt 2002 um mehr als ein Viertel. Einen Höhepunkt hatten die Spannungen bereits im Dezember 2001 erreicht, nach staatlichen Kürzungen und Finanzchaos kam es zu Massenprotesten. Das Ergebnis war der Rücktritt der Regierung und schließlich der Staatsbankrott. Nachdem sich der Staat als weder fähig noch willig erwiesen hatte, die Lage der Bevölkerung zu verbessern, waren die Menschen gezwungen, neue Wege zu gehen, um sich selbst zu helfen.
Angesichts der angespannten Situation nahmen es viele Argentinier selbst in die Hand, neue politische und wirtschaftliche Strukturen zu schaffen. Diese Krisenantworten waren zu einem erheblichen Teil explizit entsprechend horizontalistischer Prinzipien organisiert.111 Wie bei Occupy erwies sich eine solche Art der (Selbst‑)Organisierung in Argentinien in mehrerlei Hinsicht politisch als ein wichtiger Schritt. Vielleicht am bemerkenswertesten daran war, dass es den Bewegungen gelang, den gesellschaftlichen Common Sense des Neoliberalismus zu stören und aufzuzeigen, dass es anderes gibt als Marktindividualismus und negative Solidarität. Das Schaffen neuer Verbindungen zwischen den Einzelnen trug dazu bei, die Feindseligkeiten zu überwinden, mit denen Proteste und Streiks in manchen Teilen der Gesellschaft häufig konfrontiert sind. Wie bei Occupy, allerdings auf erweiterter Stufenleiter, waren die horizontal organisierten Bewegungen in Argentinien rasch in der Lage, unter den Bedingungen der Krise Mittel der gesellschaftlichen Reproduktion bereitzustellen.112
Die politischen Experimente mit horizontalistischen Prinzipien führten so zu einer Reihe von Erfolgen, doch traten zugleich auch verschiedene weitere Probleme zutage. Eine der wichtigsten Erfahrungen ist zweifellos die politische Begrenztheit der Asambleas oder Nachbarschaftsversammlungen. Entstanden waren die Asambleas als eine Form der Organisierung, die auf die unmittelbaren Bedürfnisse und Konstellationen inmitten der Wirtschaftskrise reagierte. Wie die General Assembly bei Occupy ermöglichte sie den bislang kaum Wahrgenommenen, ihre Stimmen vernehmen zu lassen. Doch erreichten die Nachbarschaftsversammlungen, auch wo sie mit anderen aus anderen Stadtvierteln zusammenkamen, niemals den Punkt, an dem sie den Staat hätten ersetzen oder sich als eine realistische Alternative hätten darstellen können. Selbst auf dem Höhepunkt der Mobilisierung fingen horizontalistische Bewegungen nicht an, tatsächlich Funktionen des Staates – Wohlfahrt, Gesundheit, Infrastruktur, Bildung etc. – zu übernehmen. So blieb es bei lokal begrenzten Reaktionen auf die Krise. Eine weitere politische Grenze der Asambleas zeigte sich, sobald sie mit organisierten – das heißt: kollektiven – Interessen konfrontiert waren, mit denen sie nicht umgehen konnten; sie wiesen sie zurück oder aber sie versuchten, sie zu integrieren, und unterwarfen sich ihnen.113 Denn häufig traten kollektiv artikulierte Interessen in Diskussionen und gemeinsamen Debatten übermächtig auf und waren außerstande, sich in Prozesse der Entscheidungsfindung einzubringen, ohne sie zu untergraben. So funktionierten die Asambleas problematischerweise am besten als Versammlungen von Individuen.
Eine weitere organisatorische Erfahrung in Argentinien geht auf Arbeiter zurück, die Fabriken übernahmen. Im Gefolge der Wirtschaftskrise hatten Beschäftigte verschiedentlich die Leitung geschlossener Unternehmen an sich gebracht und die Betriebe weitergeführt.