Группа авторов

Sternstunden der Wahrheit


Скачать книгу

die »wahren Schreibtische«. Gezeigt wurden die Schreibtische von Wahrheit-Redakteuren und -Autoren. Wie es im Vorspann hieß: »Jeder Koch hat seine Mise en place, seine eigene Art, in der Küche den persönlichen Arbeitsplatz einzurichten mit Gewürzen und Kochgeräten und allerlei Dingen, die zum Gelingen eines Gerichts notwendig sind. Auch Autoren und Schriftsteller inszenieren ihre Schreibtische nach sehr eigenen Vorstellungen. Die Wahrheit hat sich an den Arbeitsplätzen ihrer Köche umgesehen.« Deshalb beginnt jedes Kapitel mit dem Foto eines Schreibtischs, an dem ein Wahrheit-Autor arbeitet. Und was er dabei auf seiner Arbeitsfläche vorfindet, wird im Begleittext erklärt.

      Wir haben also versucht, die Wahrheit in zehn verschiedene Kapitel zu fassen. Da die Wahrheit sich aber nicht so leicht einordnen lässt, entzieht sich mancher Text einer Kategorisierung. So sind einige Kapitel umfangreicher geworden als andere, etwa jenes über »Feinde & Freunde«. In 18 Jahren sammeln sich da einige an – vor allem Feinde. Einige Geschichten und Figuren wandern durch verschiedene Kapitel. Wir konnten es nicht verhindern und lassen sie munter herumgeistern. Was wiederum ein paar Wahrheit-Autoren nicht mehr dürfen. Bedauerlicherweise mussten sich in den vergangenen Jahren einige Mitarbeiter von der Wahrheit verabschieden, da sie die wichtigste Spielregel der Wahrheit nicht akzeptieren wollten: Man muss immer wissen, wie weit man zu weit gehen kann. Solchen Spielverderbern können wir auch in dieser Anthologie kein Forum bieten und rufen ihnen lieber ein fröhliches »Hasta la vista, baby!« nach.

      Der größte Verlust, den die Wahrheit je erlitten hat, war der Tod von Michael Rudolf, der sich im Jahr 2007 das Leben nahm. Seit Mitte der Neunzigerjahre hatte der Bier-, Pilz- und Humorkenner für die Wahrheit geschrieben und »war einer der wenigen ernst zu nehmenden Ostautoren des deutschen Humors«, wie es in seinem Nachruf auf der Wahrheit-Seite hieß. Ihm ist ein großartiges Buch gewidmet, das zur einen Hälfte aus seinen Texten und zur anderen Hälfte aus Artikeln von Wahrheit-Autoren über Michael Rudolf besteht: »Der Mann mit den neunhundertneunundneunzig Gesichtern« (Oktober Verlag, 2008).

      Damit soll zum Schluss all jenen gedankt werden, die an der Wahrheit mitgearbeitet haben oder noch mitwirken – insbesondere allen Wahrheit-Redakteuren, die in den vergangenen 18 Jahren die Wahrheit aufgebaut und geprägt haben. Stellvertretend für sie sei Corinna Stegemann hervorgehoben, die auch schon ein paar Jährchen tapfer alles mitmacht, was auf die Wahrheit zukommt. Ein besonderer Dank geht auch an alle Wahrheit-Autoren, ohne deren Fähigkeiten die Seite nicht wäre, was sie ist.

      Die Wahrheit ist, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Arbeiten wir daran, dass die eine oder andere Wahrheit hinzukommt.

      Michael Ringel, im Januar 2009

image

image

      Auf diesem leeren Blatt (1) soll er entstehen, der Touché für morgen. Bislang hat ©Tom zwar noch nicht mal eine Idee, aber der rettende Einfall wird schon noch kommen. Da ist er ganz sicher. Zur Not hilft ein Werkzeug, das wie eine Nasenschablone (2) aussieht, und wenn die Idee nicht von alleine kommt, hilft mitunter der Blick nach draußen (3) auf den wunderbaren Alltag. Für die Stunde danach liegt das Arbeitsgerät der Betriebssportgruppe (4) schon in Reichweite.

      Doch nun muss der Mann mit den schwarz befleckten Fingern erst einmal überprüfen, ob noch genug von der nach streng gehüteter Rezeptur selbst hergestellten Geheimtusche (5) für den Kolbenfüller nebst Deckweiß für das Tilgen von Ausrutschern vorrätig ist. Das Krümelmonster (6) bewacht das Fläschchenensemble mit einer Tim-&-Struppi-Rakete. Der große Spiegel (7) erfüllt indes gleich mehrere Funktionen. Durch einen Blick in denselben kann ©Tom sofort überprüfen, ob ein Witz funktioniert: Wenn der Zeichner lacht, ist er gelungen. Auch beim Finden der richtigen Mimik hilft der Spiegel. Soll eine Figur mal traurig oder wütend gucken, ist das eigene Gesicht die beste Vorlage. Bemerkenswertes Wunder der Physik: Der Name der Zeichners (8) erscheint im Spiegel nicht seitenverkehrt.

      Kein Computer und keine Bücherstapel stören diesen streng funktionalen und leicht geschrägten Arbeitsplatz. Das ist erfrischend, wenngleich auch hier ein paar Bücher herumliegen (9). Aber das ist bloß Schleichwerbung: Die Ziegelmauer, obenauf ganz zufällig der neuste Ziegel, ist geschicktes Product-Placement als Hinweis auf die soeben erschienene neue ©Tom-Sammlung mit 500 feinen Streifen. Wie schon 3.500 Streifen zuvor wurden auch diese mit dem Paginierstempel (10) archivgerecht durchnumeriert. Wichtigstes Utensil an jedem Zeichentisch ist jedoch der Ratzefummelkrümelbeseitigungspinsel (11). Der alte Käpt’n Haddock (»Heulende Hagel und Höllengranaten!«, 12) muss jetzt in die Ecke, denn nun soll ein neuer Touché entstehen. Es sei denn, Anette ruft an (13) und hält ©Tom mal wieder von der Arbeit ab. Aber auch zehn Minuten vor Redaktionsschluss wird ein Blick in das Ideen-Notizbuch (14) den Streifen stets retten.

      Unverlangt eingesandte Gedichte sind der Traum jedes Zeitungsredakteurs. Ein Kampfbericht zwischen reisendem Poeten und Reim-Weiterverarbeitungsstelle

      Ein Anruf kurz vor Produktionsschluss in der Redaktion.

      Redakteur: »Ja.«

      Anrufer: »Erdmann hier.«

      »Ja, und?«

      »Ich hatte Ihnen da kürzlich was zugeschickt.«

      »Ja, und?«

      »Ein Gedicht.«

      »Ja, und?«

      »Ich wollte mal fragen ...«

      »Im Moment ...«

      »... ob Sie schon dazu gekommen sind, es zu lesen?«

      Die Hand des Redakteurs ertastet den Karton mit den

      »Unverlangt eingesandten Gedichten«:

      »Gedichte, sagen Sie ...«

      »Ich hatte was geschrieben.«

      Der Redakteur wühlt verzweifelt in der Gedichtekiste:

      »Ich kann mich nicht erinnern.«

      »Ich hatte Ihnen da eine Auswahl politisch-satirischer, aber auch unterhaltsamer Gedichte geschickt. Ich bin

      doch da bei der Unterhaltungsseite?«

      »Ja ... äh, nein.«

      »Sie drucken doch Gedichte?«

      »Nein.«

      »Sie drucken KEINE Gedichte?«

      »Doch, schon.«

      »Na, also!«

      »Aber nur selten.«

      »Dann können Sie doch meine Gedichte drucken. Oder gibt es da ein politisches Problem?«

      »Nein, nein.«

      Der Redakteur zieht einen Stoß Papiere aus dem Karton.

      »Ich denke da zum Beispiel an mein Antikriegsgedicht: Die Bundeswehr im Kosovo / froh wie der Mops im Paletot ...«

      »Ja, nun.«

      »... Mörder sind Soldaten / Und werfen Handgranaten.«

      »Das ist jetzt selbstverständlich ein bisschen spät.«

      »Das kann ich Ihnen im Handumdrehen aktualisieren.

      Gar kein Problem!«

      Der Redakteur legt die Papiere wieder in die Gedichtekiste:

      »Es ist jetzt leider kurz vor Produktionsschluss.«

      »Aber