bloß erlitten wird, sondern dass sich der Sterbende aktiv der Arbeit an der Gestaltung seines Ablebens zu widmen hat. Es liegt eine Zumutung darin, damit klarzukommen, dass es normal geworden ist, den Tod in eigener Regie übernehmen zu müssen.60 Denn es ist nach wie vor so, dass der überwiegende Teil der Menschen eigentlich lieber ungeplant, spontan sterben möchte: einfach einschlafen können und nicht mehr aufwachen müssen, ohne sich genauer mit dem Wie und Wann auseinandersetzen zu müssen. Es spricht manches dafür, dass die Verantwortung des Einzelnen für die Planung und Kontrolle des eigenen Sterbens in Zukunft noch zunehmen wird. Diese Aufgabe dürfte von einem Teil der Bevölkerung eher als Chance, als Zugewinn an individueller Freiheit begrüßt werden, von einem anderen Teil eher als Zumutung und Überforderung empfunden werden.61 Denn die Aufgabe, die letzte Lebens- und Sterbephase im Sinne eigener Überzeugungen und Werthaltungen selbstbewusst zu gestalten, ist allemal anspruchsvoll und kann für jeden Menschen, auch den religiös gut verankerten, durchaus zu einer Überforderung werden.62
Moralisierung des Sterbens: das eigene Sterben verantworten müssen
Wenn der Tod nicht länger einfach den Charakter eines Schicksalsschlags hat, sondern immer mehr zu einer Folge individueller Entscheide zwischen verschiedenen medizinischen Möglichkeiten wird, bringt das zwar einen unbestreitbaren Freiheitsgewinn mit sich, bürdet den Sterbenden aber zugleich eine moralische Verantwortung für ihr Sterben auf. Es findet so etwas wie eine Moralisierung oder Responsibilisierung des Sterbens, also eine moralische Zuschreibung von Verantwortung für die Gestaltung des Sterbens statt. Denn »Selbstbestimmung bedeutet zugleich, dass wir Verantwortung für unser eigenes Handeln und Unterlassen zu übernehmen haben«63 und dass Sterben in den Horizont ethischer Rechenschaftspflicht rückt. Reimer Gronemeyer hält treffend fest: »Das ist das Neue: Sterben und Tod sind für uns moderne Menschen zum ›Problem‹ geworden. Der Tod kommt nicht mehr, sondern er wird zur letzten Gestaltungsaufgabe des Menschen […] Solange der Tod ›kam‹, musste sich keiner rechtfertigen: Es bedurfte einer solchen Debatte nicht. Das moderne Subjekt, der ›homo modernissimus‹, hat sich in die fatale Lage gebracht, dass er nun selbst sein Sterben und seinen Tod zu verantworten hat«.64 Es fand so etwas wie die Transformation des Todes von einem früheren biologischen Ereignis in ein moralisches Ereignis statt, das nun ethisch zu verantworten ist.65 Wir können gar nicht mehr verhindern, in gewissem Umfang unser Sterben selbstbestimmt zu planen und dafür Verantwortung zu übernehmen: vor uns selbst, vor unseren Mitmenschen, vor der Gesellschaft, vor Gott oder vor wem auch immer – selbst wenn wir Passivität vorziehen und unseren Sterbeprozess lieber dem Schicksal oder einer Entscheidung des »Herrn über Leben und Tod« überlassen würden.66
Die Frage ist nicht, ob das wünschbar ist oder nicht, ob wir das ethisch-moralisch für sinnvoll erachten oder nicht. Es ist einfach eine Gegebenheit, um die wir nicht mehr herumkommen, mit der wir verantwortlich umzugehen lernen müssen. Ulrich H. J. Körtner, in Wien lehrender Theologe und Ethiker, ist zuzustimmen: »Mit dem nicht mehr aus der Welt zu schaffenden medizinischen Fortschritt ist dem Menschen an den Grenzen des Lebens eine Verantwortung zugewachsen, aus der er sich nicht durch willkürliche Selbstbegrenzung davonstehlen kann. […] Dieser Zuwachs an Freiheit und Verantwortung gehört zur ›Würde des Menschen‹. Der Hinweis auf Gott, den Herrn über Leben und Tod, oder die angebliche, in der Praxis aber ständig widerlegte Unverfügbarkeit des Lebens darf nicht dazu missbraucht werden, die Verantwortung Gott zuzuschieben, wo sie dem Menschen übertragen ist.«67
Die neu entstandene Situation mit dem nun einmal nicht mehr wegzudiskutierenden »Wandel von der Widerfahrnis zur Gestaltung, von der Kontingenz zum Arrangement, von der Heteronomie zur Autonomie [des Sterbens] hat weitreichende Folgen: […] Die Selbstverständlichkeit des natürlichen Todes wird abgelöst durch Wertungen – Wertungen des Patienten (wie und unter welchen Umständen will er sterben?), der ärztlichen Profession (wann besteht eine Indikation für lebenserhaltende Maßnahmen, wann nicht mehr?), der Angehörigen (wollen sie den Kranken sterben lassen?) und nicht zuletzt der Gesellschaft insgesamt (etwa bei Entscheidungen über die solidarische Finanzierung medizinischer Maßnahmen).«68
Die moralische Herausforderung bezieht sich dabei nicht nur auf Situationen, in denen ein urteilsfähiger Patient am Ende seines Lebens selbst eine aktuelle medizinische Entscheidung treffen sollte, sondern auch auf die Frage, ob es so etwas wie eine moralische Verpflichtung des Individuums gibt, vorausschauend das eigene Lebensende für den Fall zu planen, dass dies einmal aufgrund eigener Urteilsunfähigkeit nicht mehr möglich sein sollte. Nina Streeck betont, dass diese Frage sich ethisch förmlich aufdrängt, aber kaum je explizit thematisiert wird. »Es liegt ein Mantel des Schweigens über diesen Fragen, während sich zugleich der Eindruck aufdrängt, es sei angezeigt, Entscheidungen über das eigene Ableben zu treffen.«69 Denn wer sich weigert, eine solche vorsorgende Planung – zum Beispiel mittels einer Patientenverfügung – vorzunehmen, schiebt die Verantwortung eines allfälligen Entscheiden-Müssens auf Mitmenschen ab: Angehörige, Bevollmächtigte, Ärztinnen, die müssen dann stellvertretend diese unter Umständen schwierige und belastende Aufgabe übernehmen.«70 Und das dürfte doch eine eher problematische Haltung im Umgang mit der Verantwortungspflicht für das eigene Leben und Sterben sein. Die beschriebene Moralisierung des eigenen Sterbens im Zeichen des selbstbestimmten medizinischen Entscheiden-Müssens kann allerdings auch eine problematische Seite haben: Es kann leicht ein Druck auf hochbetagte, multimorbide Patienten entstehen, doch rechtzeitig auf weitere Behandlung zu verzichten und so ihrem »unwürdigen«, »unmenschlichen«, »nicht mehr lebenswerten« Krankheitszustand ein Ende zu bereiten und auf weitere lebenserhaltende Maßnahmen zu verzichten. In Deutschland wurde dafür der Ausdruck des »sozialverträglichen Frühablebens« geprägt (der zum Unwort des Jahres 1998 erklärt wurde). Dem gilt es auf jeden Fall wachsam zu begegnen. Der deutsche Gerontologe Paul B. Baltes, warnt: »Es sollte nicht dazu kommen, dass Einzelpersonen gedrängt werden, ihren Tod einzuleiten oder früher zu sterben, als sie das möchten, gleichzeitig trifft dies aber auch für das Gegenteil zu, das jetzt vorherrschende Erwartungsmuster, was eher zum späten Sterben drängt.«71
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