Erfahrungen gemacht habe. Ich habe solche am eigenen Leibe erlebt und hörte sie in ähnlicher Weise vielfach von Freunden, Kursteilnehmern, Patienten und Lesern meiner Bücher. Die eine oder andere „schlechte Erfahrung“ ist natürlich nichts Besonderes, das kommt bei jeder Therapieform vor. Wenn diese schlechten Erfahrungen jedoch auf Ergebnissen basieren, die per Muskeltest aus der untersuchten Person selbst „herausgelesen“ werden und damit doch letztlich deren „Wahrheit“ sein sollen, dann wundert mich das.
Andererseits: Konnte überhaupt alles wahr sein, was da an Testergebnissen herauskam? Wenn das stimmte, dann hatten manche Patienten zwei konträre Wahrheiten, denn es passierte nicht allzu selten, dass zwei Untersucher per Muskeltest exakt Gegenteiliges herausfanden. Oder es wurden mit dem Test Behauptungen aufgestellt, die sich schlichtweg als falsch herausstellten, beispielsweise, indem zeitlich definierte Heilungsversprechen „ausgetestet“ wurden, die der Körper des Patienten dann aber nicht einlöste.
Und nicht nur am Patienten direkt kommen manchmal widersprüchliche, unlogische oder gar gefährliche Aussagen zustande; auch Ausbilder ein und derselben kinesiologischen Richtung lehren hin und wieder diametral Gegensätzliches. Das Wunderlichste an diesem Phänomen ist, dass innerhalb seines eigenen Systems der jeweilige Anwender „beweisen“ kann, dass es nur nach seiner Fasson funktioniert, und er widerlegt seinen Kollegen, der vom Gegenteil ausgeht und dieses ebenfalls „beweisen“ kann!
Anfangs vermutete ich darin Missverständnisse oder einen Mangel an genauerer Information, doch bestätigten sich bei sorgsamer Recherche diese Differenzen immer mehr. Solche Beobachtungen machten mich stutzig. Und sie waren letztlich der Anstoß zu diesem Buch: Es nahm seinen Ausgangspunkt in etlichen Irritationen, die mich vorübergehend sozusagen ausbremsten. Wonach sollte ich mich richten, wenn es konträre Wahrheiten zu geben schien?
Widerspruch und Wahrheit
Zunächst ging ich davon aus, dass zu einem Thema entweder nur die eine oder nur die andere Behauptung wahr sein konnte. Um zwischen „richtig“ und „falsch“ unterscheiden zu können, setzte ich mich mit vielen Einzelfällen ausgiebig schriftlich auseinander. Der Berg meiner Notizen mit Anmerkungen, Beobachtungen, Thesen, Belegen und Fragen wurde größer und größer, eine Klärung war nicht in Sicht. Im Gegenteil, es kamen immer mehr Puzzleteile hinzu. Bei manchem ging es längst nicht mehr um die Kinesiologie als Methode, und doch gehörte alles zu einem Gesamtbild, das ich aber nicht erkennen konnte.
Völlig irritiert war ich beispielsweise über Therapeuten, die per Muskeltest bei fast allen Patienten dieselben Störungen fanden, während dieselben Patienten anderen Therapeuten andere Testantworten lieferten.
Ebenso wenig konnte ich begreifen, dass man den Muskeltest auf Gesundheitsmessen und in Arztpraxen zuweilen als „Verkaufsargument“ missbrauchte. Wie gesagt, je länger ich mich mit der Materie beschäftigte, desto mehr sammelte sich in meinem Körbchen.
Nachdem ich alles gesichtet und sortiert hatte, blieb die Fülle zwar bestehen, aber ich hatte zumindest einen gemeinsamen Nenner, um den es mir persönlich ging: Was sich vor mir ausbreitete, waren lauter Bruchstücke, die nicht zusammenpassen wollten und damit die Kinesiologie irgendwie unglaubwürdig wirken ließen. Da schloss sich zumindest der Kreis zu meiner persönlichen Betroffenheit. Denn mir liegt ja am Herzen, dass die Kinesiologie – für mich noch konkreter: der Muskeltest – in „seriöse“ Therapiemethoden Eingang findet. Das wird erst geschehen, wenn er durch Glaubwürdigkeit überzeugt.
Wenn ich mein gesammeltes Material unter dem Motto „Glaubwürdigkeit“ sichtete, kamen noch weitere Aspekte hinzu, die ich berücksichtigen musste. So wartet die Kinesiologie in ihrer Methodik ohnehin mit einigen Merkwürdigkeiten auf, die sich jenseits unseres gängigen Wissenschaftsverständnisses bewegen, beispielsweise, dass man Substanzen allein durch Berührung auf ihre Verträglichkeit testen oder per Muskeltest mit seinem Gegenüber sozusagen „telepathisch“ kommunizieren kann. Auch das galt es einzubeziehen, wenn ich mich für den Muskeltest starkmachen wollte. Nicht zu vergessen einige unkluge Präsentationen dieses wertvollen Instruments in der Öffentlichkeit (auch wenn das eher Randerscheinungen sind).
Mit diesem Buch möchte ich den Muskeltest aus der wissenschaftlichen „Grauzone“ herausholen. Ich verstehe mich – wie bereits erwähnt – als seine Anwältin. Ich möchte ihm mit klaren Worten mehr Anerkennung verschaffen.
Aus dem, was zunächst nur gedacht war als Vorbereitung auf meine Seminare oder Vorträge, ergab sich zu meiner großen Freude im Laufe der Zeit ein stimmiges Denkmodell, in dem sich die Widersprüche auflösen, mit dem schwierige Phänomene des Testens zumindest hypothetisch erklärt werden können und mit dem darüber hinaus sogar deutlich wird, auf welche Weise Willkür und Manipulation in den Muskeltest einfließen können. Diese Einflüsse beim Muskeltesten transparent zu machen, das kommt der kinesiologischen Arbeit und den Patienten zugute – und auch der Methode und ihrem Ansehen. Auf dieses Modell und die daraus folgenden Konsequenzen läuft dieses Buch hinaus.
Wem könnte dieses Buch also nützlich werden? Logischerweise allen, die sich mit der Kinesiologie und ihrem Muskeltest beschäftigen, sei es als Therapeuten, als Ausbilder oder als Lernende der Methode, als Privatanwender, als potenzielle Patienten oder als Kritiker. Es könnte nützlich sein, wenn Sie Kinesiologie bzw. den Muskeltest kennen, praktizieren, kennenlernen wollen, skeptisch betrachten oder noch gar nicht kennen und nur neugierig sind – im nächsten Kapitel gebe ich einen kurzen Einblick in die Kinesiologie (nicht nur für Kinesiologie-Neulinge).
Was Sie erwartet
Dieses Buches lädt Sie ein, den Muskeltest einmal aus einem ungewohnten Blickwinkel, nämlich aus der Perspektive des Bewusstseins zu betrachten. Ungewohnt mag vor allem sein, die Tragweite zu begreifen, die damit einhergeht, wenn das Bewusstsein nicht nur eine Rolle spielt, sondern letztlich Regisseur des gesamten Verfahrens ist.
Dementsprechend ist der rote Faden dieses Buches das Thema „Bewusstsein“, unter verschiedenen Aspekten und Qualitäten. Er entspringt aus einem Knoten von Unstimmigkeiten, die ich aufzudröseln versuche. Dann folgt er der Linie des Denkmodells, mit dem die Unstimmigkeiten und Widersprüche gelöst werden können, um sich danach in einzelne Teilfäden zu verzweigen, die verschiedene Konsequenzen und Erkenntnisse nach sich ziehen. Am Ende fügen sich diese Teilfäden wieder zusammen und führen zu Perspektiven, die sich aus diesen Erkenntnissen ergeben.
Konkret heißt das:
– Es beginnt mit der Einstellung zur Kinesiologie in der Öffentlichkeit und der Frage, welches Bewusstsein ihr gegenüber herrscht.
– Das Kernstück beschäftigt sich mit der Rolle des Bewusstseins in der Anwendung der Kinesiologie – als Schlüssel für das Verständnis von Ungereimtheiten, Widersprüchen und Ambivalenzen.
– Im letzten größeren Teil des Buches ziehen wir die Konsequenzen, die sich für unser Bewusstsein aus den Ergebnissen des kinesiologischen Testes ergeben.
– Zuletzt werfen wir einen Blick auf Potenziale des Bewusstseins, wie sie sich über die Kinesiologie hinaus abzeichnen.
Der Weg durch dieses Buch wird nicht immer geradlinig verlaufen, die Vielschichtigkeit des Themas verlangt gelegentlich einen Sprung hierhin oder dorthin und ich werde Sie auf den einen oder anderen kleinen Umweg mitnehmen. Aber wir wissen ja, Umwege führen bisweilen schneller ans Ziel, vor allem, wenn auf der „Autobahn“ des geradlinigen Denkens ein Stau entstanden ist.
Mein Anspruch ist die Glaubwürdigkeit, meine Ausrichtung ist die Anerkennung von Kinesiologie und Muskeltest auf einer seriösen Grundlage. Dennoch lege ich hier bewusst keine wissenschaftliche Abhandlung vor. Ebenso wenig beanspruche ich, „die“ Wahrheit gefunden zu haben, auch wenn ich hoffe, ihr mit meiner Auseinandersetzung ein Stück näher zu kommen. Meine Ideen und Hypothesen wollen Entwirrungs- und Orientierungshilfe bieten für diejenigen, die sich im kinesiologischen Dschungel zu verlaufen drohen, wollen anregen zum Beobachten, Prüfen, Mitdenken. Wenn sie durch überzeugende Argumente widerlegt werden, haben sie als Thesen ihren Zweck erfüllt. Wenn sie im Laufe der Wahrheitssuche erweitert und korrigiert werden, ebenfalls.