Die Funktionen des Muskeltests wären nicht vollständig dargestellt, würde ich an dieser Stelle nicht eine weitere wichtige Reaktionsweise ins Spiel bringen. Sie beruht auf der Tatsache, dass unser Körpersystem zwar offensichtlich recht „simpel“ auf Konfrontation mit Stressreizen reagiert, sich aber keineswegs auf diesen simplen Mechanismus beschränkt. Das heißt, im intelligenten System Mensch kann der Organismus durch Zusammenspiel mit dem Bewusstsein noch viel mehr:
Wir können die grundsätzliche Funktion des Testes, das On-Off-Phänomen der Muskelreaktion als Stressanzeige, durch Ansprechen der Körperintelligenz erweitern. Diese verbale Steuerung des Muskeltests kann man am besten auf der Grundlage der Idiomotorik verstehen, die vielen aus der Hypnotherapie bekannt sein dürfte: Dort vereinbart man mit dem Klienten, dass er sein Unterbewusstsein durch Handzeichen antworten lässt, ohne dabei willentlich zu „helfen“. Dazu bekommt er die Anweisung, dass die rechte Hand gehoben werde, wenn das Unterbewusstsein „ja“ sagen wolle, und die linke, wenn es „nein“ signalisiere.
Nur im Sinne einer solchen Vereinbarung lässt sich erklären, dass auch der Muskel(halte)test auf Ansprechen und Auffordern reagiert. Damit tritt dann die „Hardware“ des Muskeltests als reine Reaktion auf einen Reiz in den Hintergrund und macht Platz für die „Software“, in der die neuromuskuläre Entkopplung nicht mehr von einer klassischen Stresswirkung gesteuert wird, sondern von einer gewählten Vorgabe. In diesem Zusammenhang wird der Muskeltest zu einem Indikator, der unserer Intention folgt. (Dazu gebe ich im Folgenden Beispiele.) Dies kann auf zweierlei Weise geschehen, nämlich durch die Vereinbarung von Suchkriterien (= Raster) oder in einem ausformulierten Dialog.
Der Dialogtest
Jeder, der schon einmal kinesiologische Tests angewendet oder erlebt hat, dürfte den verbalen Test kennen. Da werden Worte und Sätze formuliert und das Muskelsystem wird „beauftragt“, hierauf zu reagieren. Zu diesem Zweck lassen sich entweder Fragen stellen oder Aussagen prüfen („Ist heute Sonntag?“ oder „Heute ist Sonntag.“), im Anschluss daran wird der Muskeltest vollzogen.
Logisch gesehen ist es naheliegend, dass ein gehaltener Arm „ja“, also Bestätigung bedeutet und dass sein Nachgeben „nein“ oder Negation heißt. So praktizieren es die meisten Anwender fast schon instinktiv. Allerdings ist das kein Naturgesetz, sondern durch eine entsprechende Vereinbarung kann die Reaktion auch umgekehrt erfolgen. Ich empfehle, sich bewusst zu entscheiden (und es möglichst auch dem Getesteten mitzuteilen), wie die Muskelreaktion zu interpretieren ist.
Der Muskeltest fungiert im Dialog nicht mehr als physiologische Reaktion auf einen Stressor, sondern als Indikator, der von der Körperintelligenz gesteuert wird.
Beim Dialog per Muskeltest fassen wir in Worte, was Psyche oder Körper sagen würden, wenn sie direkt zu uns sprechen könnten. Wir bieten sozusagen fertige Aussagen an, damit die Muskelreaktion sozusagen nur noch zu markieren braucht, was richtig und was falsch ist.
Dabei treten wir üblicherweise in Kontakt zu Ebenen, die unserem Tagesbewusstsein nicht zugänglich sind. Auf diese Weise lassen sich Rückversicherungen zum Behandlungsverlauf einholen („Wir sind auf dem richtigen Weg zur Lösung des Problems“ oder „Es fehlt noch etwas, um die Behandlung zu vervollständigen“), es lassen sich medizinische Fragen wie notwendige Maßnahmen oder Medikamentendosierungen ebenso klären wie Glaubenssätze in der psychotherapeutischen Arbeit und manches mehr.
Viele Ergebnisse des Muskeltests erfordern über die Einordnung als Stressor hinaus weitere, differenziertere Auskünfte. Vielleicht müssen wir klären, warum bei Berühren einer Orange der Muskel nachgegeben hat: Ist es nur diese eine Orange oder sind es Orangen generell? – Ist die getestete Frucht schadstoffbelastet, unreif oder verdorben? – Wird die Fruchtsäure nicht vertragen oder liegt eine Allergie vor? – Betrifft der Test die Schale oder auch das Fruchtfleisch? … In solchen Fällen ist der Körperdialog per Muskeltest ebenso wertvoll wie beispielsweise bei der Klärung, ob eine Operation notwendig ist oder zu welchem Zeitpunkt ein Eingriff stattfinden sollte.
So kann man sozusagen per Vereinbarung den Muskeltest nutzen, um mit dem Körper zu kommunizieren. Das ist genial, aber nicht in jeder Situation ökonomisch. Stellen Sie sich vor, Sie wären auf der Suche nach einem geeigneten Heilmittel. Alle zu prüfenden Mittel sind per se unschädlich – also müsste, da kein Stress ausgelöst wird, bei jedem Mittel der Arm gehalten werden. Damit würden wir das Gewünschte nicht finden können. Wenn Sie aber zu jedem einzelnen Mittel eine vollständige Aussage formulieren müssten, um den Körper jeweils nach der Wirksamkeit zu fragen, würden Sie bei 25 oder 93 verschiedenen Substanzen erstens sehr lange brauchen, zweitens würde der Kopf rauchen und drittens die Zunge einen „Knoten“ bekommen … Das wäre offensichtlich zu umständlich.
Der Rastertest
In dieser Situation schafft der Rastertest Abhilfe. Er kombiniert die Funktionen von Dialog und Stressor. Wir geben unsere Intention, mit der wir an den Test herangehen, als Suchkriterium schon zu Beginn des Testens vor, erteilen also dem Un(ter)bewussten bzw. dem vegetativen Nervensystem den Auftrag, von vornherein die anschließend ausgetesteten Substanzen entsprechend unserer Absicht zu selektieren. „Etwas“ in der Körperintelligenz versteht, wonach gesucht werden soll, und setzt diesen Befehl für die gesamte anschließende Testserie um.
Mit dem Rastertest setzen wir in gewisser Weise die Funktion des Stressors außer Kraft, gehen aber dennoch ähnlich vor wie beim reinen Reiz-Reaktions-Test.
Mal ganz praktisch: Stellen Sie sich vor, Ihre beiden Kinder fühlen sich unpässlich. Eines hat Halskratzen, das andere Blähbauchbeschwerden. Sie haben in Ihrer Hausapotheke etwa 20 Heiltees aus biologischem Anbau. Vorausgesetzt, dass die Kinder auf keinen der Tees allergisch sind, müsste also bei jedem der Tees der Arm gehalten werden (– der Tee löst ja keinen Stress aus). Damit kämen Sie nicht zu dem gewünschten Ergebnis, für die jeweiligen Beschwerden Ihrer Kinder den passenden Tee zu finden. Und bei jedem Tee umständlich Fragen zu formulieren, das wäre, wie gesagt, auch bei „nur“ 20 Wahlmöglichkeiten extrem aufwendig.
Der Rastertest hingegen macht es wieder einfach: Sie wählen für das Kind mit den Halsschmerzen die Vorgabe, dass der Tee dem Kind gegen Halsschmerzen helfen soll – und siehe da, vermutlich wird der Arm nur bei Salbeitee stark bleiben! Mit der Ausrichtung auf Blähbauch bei dem anderen Kind reagiert der demzufolge positiv auf Fencheltee. Bei allen anderen Tees wird der Muskel nachgeben, obwohl sie völlig unschädlich sind und somit auch keine „Stressoren“ sein können.
Diese Vorabdefinitionen bedeuten also für den Test, dass der Arm bei positiven Suchkriterien (also etwa einer geeigneten, notwendigen oder optimalen Arznei) stark bleibt und bei allem, was dem Suchkriterium nicht entspricht, nachgibt, selbst wenn es nicht schädlich ist.
Ebenso nützlich ist der Rastertest, wenn eigentlich alle zu testenden Substanzen Stressoren wären, wir unter ihnen aber einzelne nach unserem Gutdünken auswählen wollen. Beispielsweise würde bei allen alkoholischen Getränken der Muskel wegen des Alkoholgehalts abschalten. Wenn wir aber mit einer Rastervorgabe testen, können wir unter verschiedenen Weinsorten die bekömmlichste durch einen starken Muskel herausfinden – die Stressorfunktion wird in diesem Fall per Handlungsauftrag außer Kraft gesetzt und vom neuromuskulären System „ignoriert“.
Vielleicht beherrschen Sie den Muskeltest ja schon und haben nun Lust, es selbst einmal auszuprobieren?
Den Rastertest ausprobieren
Sammeln Sie einige Nahrungsmittel, Kosmetika, Waschpulver, vielleicht auch Vitaminkapseln oder Ähnliches.
Testen Sie einmal alle Substanzen ohne jeglichen Kommentar und ohne jede Absicht durch. (Vor Beginn eichen!)
Der Arm wird nur dann nachgeben, wenn etwas vom Körper als schädlich erkannt wird. So wird er vermutlich auch bei einer Sonnenmilch oder bei der Zahnpasta dem Testdruck standhalten.
Machen Sie dann eine Vorgabe, die Ihnen sinnvoll scheint, beispielsweise: Der Arm bleibt stark bei allem, was als Nahrungsmittel geeignet