beschrieben als auch die Gegenden bekannt, in denen sie beobachtet wurden. Weder die alten Chinesen, Mongolen oder Tibeter noch Acosta konnten allerdings wissen, was der pathophysiologisch ursächliche Mechanismus der allgemein schwächeren Leistungsfähigkeit und der Krankheitssymptome in der Höhe war. Dies war erst durch die Arbeiten von Garpar Berti, Evangelista Torricelli und Florin Périer möglich. Obwohl es Bertis Verdienst war, das erste Barometer zu entwickeln, wurde er später nahezu vergessen: Die Druckeinheit hieß nach seinem Konkurrenten zunächst „Torr“. Auch Périer ist vergessen, seitdem sein Cousin Pascal seine Beobachtungen publizierte, und heute wird dieser mit der SI-Einheit für den Druck geehrt. Die Arbeiten der drei Genannten bewiesen, dass die Atmosphäre ein Eigengewicht besitzt und dass dieses mit zunehmender Höhe abnimmt.
1.2 Die „klassische Zeit“ des Alpinismus
Horace Benedict de Saussure machte bei seiner ersten Montblanc-Besteigung im Jahre 1786 die ersten im heutigen Sinne als systematisch-wissenschaftlich zu bezeichnenden Beobachtungen. Als Grund für die beobachteten Veränderungen von Atem- und Herzrhythmus, Leistungsfähigkeit und AMS-Symptomen konstatierte er im Gegensatz zu manchen deutlich späteren Autoren zutreffend: „Die Druckabnahme ist die Ursache“. Auch wenn manche höhenmedizinische Erkenntnis des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts aus heutiger Sicht revidiert werden muss: Nach über 2000 Jahren Empirie hatte man begonnen, systematisch und quantitativ Daten zu erheben und auszuwerten, (Arbeits-)Leistung wurde messbar.
Das hinderte viele Mediziner jedoch keineswegs, sich weiterhin freier Spekulation über die Ursachen der Höhenerkrankung hinzugeben, wobei vor allem Ausdünstungen von Pflanzen und Mineralien diskutiert wurden. Hauptverdächtige waren Rhabarber, Heidekraut, Ringelblume, Antimon und Blei. Die Tatsache, dass die genannten Pflanzen in großer Höhe gar nicht und Blei und Antimon allenfalls lokal in nennenswerter Menge vorkommen, spielte bei dieser „wissenschaftlichen“ Diskussion offenbar keinerlei Rolle. Mayer-Ahrens machte 1854 in Zürich die Geschwindigkeit des Verdunstens von Körperflüssigkeit, die Lichtintensität, die Expansion von Darmgasen und eine Schwäche des Hüftgelenkes verantwortlich, wobei insbesondere Letztere von seinen Zeitgenossen großen Zuspruch fand. Auch wenn Meyer-Ahrens’ Aussagen heute eher als Anekdoten zu betrachten sind – eines hatte er jedoch offensichtlich zumindest geahnt: den multifaktoriellen Charakter der Einflüsse und der Auswirkung des Höhenklimas auf den Organismus. Die Auffassung eines seiner Zeitgenossen, eines amerikanischen Chirurgen, mutet dagegen fast modern-paramedizinisch an: Ursache der Höhenkrankheit sei der Erdmagnetismus.
Abb. 1.1: a Angelo Mosso (1846–1910), einer der großen Physiologen der „klassischen“ Zeit (aus Zuntz 1906). b Die Forschungsstation „Regina Margherita“ (4560 m) auf dem Gipfel der Signalkuppe im Monte Rosa-Massiv (Foto aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, aus Loewy 1931)
Fast parallel zu Saussures Untersuchungen trat ein Wandel bezüglich des Höhenaufenthaltes ein: Zunehmend rückte der sportliche Aspekt, insbesondere durch die Mitglieder des Britischen Alpenvereins, in den Vordergrund, arbeitsmedizinischleistungsphysiologische Gedanken wurden sekundär. Paul Berts epochales Werk „La pression barométrique“ bedeutete im Jahre 1878 den Beginn einer enormen wissenschaftlichen Aktivität auch heute noch bekannter Größen wie Zuntz und Mosso (Abb. 1.1a), aber auch fast vergessener Wissenschaftler wie Viault, Müntz, Jaquet, Miescher, Durig und anderer. Paul Bert formulierte dabei als Erster das „Gesetz des Sauerstoffpartialdruckes“, der unter den Gasen der Atmosphäre allein für die höhenbedingten Reaktionen des Organismus oder dessen Tod verantwortlich sei. Zuntz erkannte bereits früh auffällige Unterschiede zwischen Resultaten aus hypobaren Kammern und solchen, die in der Höhe ermittelt worden waren (Abb. 1.1b).
1.3 Das 20. und 21. Jahrhundert
Um die Wende zum 20. Jahrhundert standen sowohl den Alpinisten als auch den beruflich in der Höhe Aktiven zum Thema „Höhenaufenthalt“ die folgenden, besonders relevanten Ergebnisse zur Verfügung: Mit zunehmender Höhe nimmt die Leistungsfähigkeit ab, ursächlich verantwortlich ist die Abnahme des Sauerstoffdruckes. Die Organe sind unterschiedlich sauerstoffempfindlich, besonders empfindlich ist das Gehirn. In 4500 m Höhe beträgt der Mehrverbrauch an Energie für die gleiche Arbeitsleistung wie im Tal 14–27 % (Abb. 1.2).
Abb. 1.2: Mobile Messapparatur von N. Zuntz für seine leistungsphysiologischen Studien auf der Margheritahütte (4560 m) in den Jahren 1895–1903 (aus Zuntz 1906)
In der Höhe treten im Laufe der Zeit Adaptationsprozesse des Körpers ein, für die übereinstimmend die „Sauerstoffarmut“ als ursächlicher Reiz angesehen wurde. Mit der Höhe nimmt zusätzlich zur Hypoxie die Klimabelastung des Organismus zu. So nimmt die Temperatur um 0,63 °C pro 100 Höhenmetern ab. Diese Abnahme ist unabhängig von der geografischen Breite, schwankt jedoch leicht mit der Jahreszeit. Zudem nimmt die Wärmestrahlung weit überproportional zu, weil das Infrarotlicht durch den abnehmenden Wasserdampfgehalt der Luft immer weniger absorbiert wird (Abb. 1.3 und 1.4).
Abb. 1.3: Messapparatur von N. Zuntz für seine Studien zur Atemphysiologie 1895 auf der Margheritahütte (4560 m) (aus Zuntz 1906)
Mit diesem Wissen erreicht der Herzog der Abruzzen im Jahre 1909 immerhin 7500 m Höhe, 1924 wird Norton am Mount Everest in 8580 m Höhe zuletzt gesichtet und Kellas sagt aufgrund theoretischer Überlegungen bereits im Jahre 1920 voraus, dass eine Besteigung des Mount Everest (Chomolungma, 8848 m) vermutlich ohne Zusatzsauerstoff möglich sei. Die mit der Höhe drastisch zunehmenden physiologischen Probleme gingen nach der Höhendifferenz zwischen dem Punkt des Scheiterns der meisten „klassischen“ Expeditionen in ca. 8500 m Höhe und dem Everestgipfel als „Problem der letzten 1000 Fuß“ in die Geschichte der Alpinistik ein. Dieses Problem wurde erst 1953 von Edmund Hillary und Sherpa Tenzing Norgay, die im Gegensatz zu Norton und anderen Zusatzsauerstoff verwendeten, und von Reinhold Messner und Peter Habeler 1978 ohne Zusatzsauerstoff gelöst, 1980 von Messner sogar im Alleingang.
Abb. 1.4: Mossos Konstruktion zur Messung von Atembewegungen für die Margheritahütten-Expedition 1894 (aus: Mosso 1899). Mit dieser einfachen Anordnung konnten erstaunlich„saubere“ Messungen durchgeführt werden (vgl. Abb. 2.28)
Das besondere Verdienst von Zuntz, Mosso, von Schroetter und ihrer Kollegen war die erstmalige Kombination von Feld- und Laborversuchen. Hier wies Zuntz als Erster auf die bestehenden Unterschiede zwischen den Ergebnissen der Feld- und denen der Laborversuche hin. Er erkannte, dass die multifaktoriellen Einflüsse des Hochgebirges auf den Menschen in Laborversuchen nicht simulierbar sind.
Neuentwicklungen und Verbesserungen führten nach dem 2. Weltkrieg zu einer Unzahl an Versuchen und Ergebnissen. Die systematische Entwicklung der Fahrradergometrie durch die Arbeitsgruppe um Hollmann, die Verbesserung von Respirationsmessapparaten und die Etablierung des Laktats als Parameter für die (Ausdauer-)Leistungsfähigkeit seien beispielhaft für diese Entwicklung genannt. Selbstverständlich wurden alle diese neuen Techniken auch von der Höhenmedizin genutzt – eine detaillierte Beschreibung würde Bände füllen. Stellvertretend sei auf den Großversuch „Operation Everest II“ der amerikanischen Luftwaffe unter Ch. Houston hingewiesen, bei der in einem Druckkammerversuch der „Aufstieg“ auf den Mt. Everest simuliert wurde.
Ein Gedanke drängt sich unvermeidlich auf, wenn man die Geschichte der Höhenmedizin Revue passieren lässt: Die wirklich bahnbrechenden Ergebnisse liegen schon lange zurück, danach folgten überwiegend nur Details. Gerade vor dem Hintergrund der scheinbaren Allmacht heutiger Messtechnologie ist eine gehörige Portion Ehrfurcht vor den wissenschaftlichen Leistungen der „Alten“ angebracht.
In den letzten Jahren ist eine doppelte Entwicklung in der Höhenmedizin feststellbar, zum einen hin zu einer Spezialisierung, andererseits in die Breite. Die Spezialisierung führte beispielsweise zu einer