K. Ebel

Moderne Berg- und Höhenmedizin


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der Therapie. Parallel wurden immer weitere Aspekte und medizinische Fächer in die Höhenmedizin einbezogen und die Ausbildung einer größeren Zahl an Ärzten zur Beratung von Bergsteigern und Expeditionen oder Untersuchung von arbeitsmedizinischen Fragestellungen bei Höhenaufenthalt und alpiner (Luft-)Rettung durchgeführt.

      Trotz aller inzwischen vorhandenen Detailkenntnisse bleiben jedoch offene Fragen. So existiert abgesehen vom altbekannten, jedoch recht störanfälligen Ruhepuls nach wie vor kein Parameter, der den aktuellen Grad der Akklimatisation quantifizierbar macht oder die Vorhersage der individuellen Höhentauglichkeit ermöglicht. Auch ist nicht wirklich bekannt, wie lange eine einmal erfolgte Akklimatisation anhält, wenn man die Höhe verlässt. Noch weniger ist darüber bekannt, welche Auswirkungen ein regelmäßiger Kurzaufenthalt in der Höhe hat (sog. „intermittierende Hypoxie“). Somit haben auch zukünftige Wissenschaftlergenerationen noch genug zu tun.

      Weiterführende Literatur

      Bert P. La Pression Barométrique. Recherches de Physiologie Expérimentale. Paris: Masson, 1878.

      Loewy A. Physiologie des Höhenklimas. Monographien aus dem Gesamtgebiet der Physiologie der Pflanzen und der Tiere, Bd. 26. Berlin. Springer, 1932.

      Mosso A. Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig: Von Veit, 1899.

      Zuntz N, Loewy A, Müller F, Caspari W. Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen. Berlin: Bong, 1906.

      2 Physiologie des Aufenthaltes in mittlerer, großer und extremer Höhe

       K. Ebel, W. Domej, U. Gieseler, A. Morrison, R. Waanders, N. Netzer, M. Faulhaber, B. Jelk, T. Küpper

      Die Physiologie der mittleren und großen Höhen ist aus medizinischer Sicht ein spannendes Kapitel, obwohl viele Details bis heute nicht ausreichend geklärt sind. Die Reaktionen des menschlichen Körpers betreffen alle Organsysteme, von der einzelnen Zelle bis hin zu den großen Organen wie Herz und Lunge.

      Das Verständnis der physiologischen, chemischen Prozesse ist jedoch zu fundamental, um zu verstehen, was sich im Körper eines Einzelnen in großen Höhen ereignet. Erst daraus können die praktischen Konsequenzen für die Akklimatisation in der Höhe sowie der Diagnose und Therapie von Höhenerkrankungen entwickelt werden.

      Leider gehört das Wissen um die Veränderungen und Anpassungen des Körpers in der Höhe bis zum heutigen Tage nicht zur Ausbildung eines künftigen Arztes, allenfalls werden einige wenige Grundlagen im Studium vermittelt. So ist es nicht verwunderlich, dass genaue Kenntnisse über die Höhenphysiologie unter Ärzten weitgehend nicht vorhanden sind.

      Umso wichtiger ist es, dass jeder, der einen längeren Höhenaufenthalt plant, sich zumindest mit den Grundlagen vertraut macht, um zu verstehen, worauf er während des Aufenthaltes besonders achten muss.

      2.1 Einige physikalische Größen

       K. Ebel

       Ohne die Gesetze der Physik wäre Leben nicht entstanden. Ohne die Gravitation würden die Berge nicht existieren.

      In den Bergen ist das Leben ein intensiveres. Alles scheint anstrengender, wärmer, kälter, langsamer, aber auch klarer, einfacher, ehrlicher. Betrachtet man die Bergwelt aus dem Blickwinkel der Physik, so ist sie eine wahre Spielwiese der Mechanik und der Thermodynamik. Bei der Orientierung wird auch die Elektrodynamik (Kompass, GPS) bemüht. Die Festkörperphysik begegnet uns, wenn wir uns Gesteine oder Schnee anschauen. In diesem kurzen Kapitel wird versucht, ein grundsätzliches, gebrauchsorientiertes, Verständnis für die „Physik der Berge“ zu entwickeln.

      2.1.1 Temperatur und Wind

      Temperatur ist eine gemeinsame intrinsische Eigenschaft der Systeme, die sich miteinander im thermischen Gleichgewicht befinden. Stehen Systeme nicht miteinander im thermischen Gleichgewicht, können sie verschiedene Temperaturen haben.

      Über die Temperatur lässt sich ein Zusammenhang zur mittleren Bewegungsenergie der einzelnen Teilchen herstellen, wobei zwei Systeme mit verschiedenen Temperaturen immer bestrebt sind, den Temperaturunterschied auszugleichen.

      Der Temperaturausgleich geschieht immer, indem Wärme vom wärmeren Körper zum kälteren fließt. Es gibt verschiedene Formen des Wärmeflusses: Strahlung, Materialtransport oder Konvektion und direkter Wärmefluss.

      Während die Strahlung kein Medium benötigt, also eigentlich immer aktiv ist, so braucht man für die Konvektion den Materialtransport. Dieser Materialtransport kann auch in Form von Gasen oder Flüssigkeiten (Regen, Schnee, Graupel, Luft) vorhanden sein, die den Wärmetransport übernehmen. Beim Wärmefluss direkt von einem Festkörper in einen anderen bedarf es des Kontakts zwischen beiden. Dieser Transport ist umso effektiver, je besser der Kontakt ist (nasse Hose auf Schnee gegenüber trockener Hose auf gleich warmem Fels: Was ist wohl wärmer am Gesäß?).

      Hinweis. Ein in eine Rettungsdecke eingewickelter Körper ist nur vor Wärmeverlust durch Strahlung und Konvektion geschützt, die Wärmeleitung ist immer noch aktiv.

      Die Wärmestrahlung und die direkte Wärmeleitung lassen sich in der Praxis recht gut durch isolierende Kleidung eindämmen. Größere Probleme bereitet hier die Konvektion vor allem bei Wind oder anderen Wettereinflüssen wie Regen oder Schnee an den nicht oder nur dünn geschützten Extremitäten. Der Materialtransport und damit die Wärmeabfuhr sind in etwa proportional zur Windgeschwindigkeit, womit sich ein grober Zusammenhang zwischen Windgeschwindigkeit und auf der Haut erlebter Temperatur herstellen lässt (Tabelle 2.1).

      Hinweis. Es ist zu beachten, dass die erlebte Temperatur durchaus auch zu erlebbaren Konsequenzen wie Erfrierungen und Ähnlichem führt. Haut gefriert unterhalb von –30 °C Chill-Temperatur (gelber Bereich) nach ca. zwei Minuten, unter –45 °C (roter Bereich) nach 30 Sekunden. Windschutz ist daher neben der Isolation essenziell. Ist der Windschutz gegeben, so gilt wieder die absolute Temperatur.

      Tabelle 2.1: Zusammenhang zwischen Windstärke/Windgeschwindigkeit und gefühlter Temperatur („Chill-Temperatur“ oder „Windchill“ (Quelle: Siple PA, Passel CF. Measurements of dry athmospheric cooling in subfreezing temperature. Proc Am Philosoph Soc 1945; 89: 177–199)

      Auch Höhe steht in einem Zusammenhang mit Temperatur; so sinkt die Lufttemperatur um 0,5 bis 1 Grad pro 100 m Aufstieg. Dies geschieht, weil ein Großteil der Infrarotstrahlung der Sonne den Erdboden erreicht. Der so aufgewärmte Boden heizt die Luftschichten direkt darüber teilweise durch Konvektion, am meisten aber durch Strahlung. Die durch Strahlung aufgeheizten Kohlendioxid- und Wassermoleküle reflektieren nun ihrerseits die Wärmestrahlung, teils in Richtung Boden, teils in höhere Luftschichten. Das generelle Ergebnis dieses Prozesses ist hinlänglich als Treibhauseffekt bekannt.

      Das Aufheizen der Erdoberfläche ruft Konvektionsströmungen in den unteren Atmosphärenschichten hervor. Diese sind für Wetter- und Klimabildung verantwortlich. Normalerweise sinkt also die Temperatur mit ansteigender Höhe, es kommen aber auch Inversionslagen vor, bei denen es in der Höhe wärmer ist als am Boden (Abb. 2.1). Dies ist dann der Fall, wenn sich Bodennebel oder Wolken im Tal nicht auflösen.

      Abb. 2.1: Inversionslage – die Wolken füllen das Tal förmlich auf (Foto: K. Ebel)

      Durch die Anomalie des Wassers, das sich bei zunehmender Kälte weiter ausdehnt, wurden da, wo sich das Wasser in Ritzen gesetzt hat, vom Frost die Felsen gesprengt. Auch das Aufheizen durch die Sonne tagsüber und das Herunterkühlen in der Nacht haben zur Erosion geführt und die Felsmonolithen zerbröckelt.

      2.1.2 Gravitation und Mechanik

      Durch die Anwesenheit der Gravitation fallen das Geröll und der Schnee nach unten und werden mehr oder weniger gut am Ort gehalten. So etwa sind unsere geliebten Gipfel und Pulverhänge entstanden.

      Die Gravitation zieht aber nicht nur Feststoffe an. Auch Gase und Flüssigkeiten werden zum Mittelpunkt der Erde