Dilemma zwischen dem systemeigenen „ethischen Code“ und der im System der Kommunikationsmedien vorherrschenden Codes der Ökonomie bzw. Konsumorientierung beschrieben werden kann.
Es ist letztlich das Grunddilemma des „in der Welt, aber nicht von der Welt“-Seins (Johannes 17,9–17): Die kirchlichen Grundvollzüge kommunizieren das Heil, das Gott uns verheißen hat und das in Jesus Christus schon unter uns Wirklichkeit wird. Aber eben diese Verkündigung geschieht in Kontexten und Strukturen, die klar kommerzieller Natur sind und als Systeme völlig andere Leitcodices haben.
Dieses Dilemma wird sich dauerhaft nicht lösen lassen, da eine (bestenfalls hypothetisch mögliche) Abkehr von modernen Kommunikationsmedien gleichbedeutend mit einem Verschwinden aus der gesellschaftlichen Realität wäre24. Das umgekehrte Extrem einer rein kirchlichen Kommunikationsstruktur – also einer Aufstellung mit Kommunikationsmedien rein in kirchlicher Trägerschaft – ist angesichts des Bedeutungsverlustes von Kirche in modernen Gesellschaften ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Die Probleme, die das kirchliche Presse- und Verlagswesen in den letzten Jahren nahezu flächendeckend aufweist, sind ein deutlicher Indikator dafür. Für den Bereich der digitalen Medien verbieten sich solche Insellösungen schon von vornherein.
Hinsichtlich der eigenen publizistischen Tätigkeit wird Kirche daher im 21. Jahrhundert mehr denn je nach Zielgruppen und Milieus differenzierte Strategien erproben müssen, um dem ureigensten Auftrag des kommunikativen Handelns weiterhin gerecht werden zu können.
Auf das gesamte gesellschaftliche Handlungsfeld Kommunikation und Medien hin wird der schwierige Mittelweg darin bestehen, immer wieder kritische Zeitzeugenschaft auszuüben. Die jeweiligen Zeichen der Zeit müssen erkannt und aus der Eigengesetzlichkeit der Kommunikationsmedien heraus theologisch und ethisch gedeutet werden, um diese Deutungen in Diskurse mit Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Pädagogik einzubringen. Die Ergebnisse solcher kritischen Diskurse sind dann wiederum jeweils auch auf das eigene kommunikative Handeln von Kirche zu befragen, um auch im 21. Jahrhundert mittels digitaler Kommunikationsmedien immer mehr das Bild der lebendigen communio zu verwirklichen.
Damit kann und soll der Wert der Begegnung in der direkten personalen Kommunikation nicht geschmälert werden. Sie wird in der Kirche und für die Kirche auch im 21. Jahrhundert eine hohe Bedeutung haben. Aber wenn Kirche an der Lebenswelt der Menschen orientiert kommunizieren will, wird diese direkte Kommunikation vielfältig durch digitale Medien ergänzt werden – zur Anbahnung, Durchführung und Aufrechterhaltung von Kommunikation. Wenn dabei nicht a priori Menschen aufgrund individueller und sozialer Merkmale ausgeschlossen werden sollen, muss die Frage der Zugangs- und Beteiligungsmöglichkeiten an veränderten Kommunikationsformen, die unter dem Stichwort „digital divide“ diskutiert wird25, jeweils nochmals neu gestellt und beantwortet werden.
Literatur / Links
Baacke, Dieter: Kommunikation und Kompetenz. München 1973.
Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Opladen 2004.
Möller, Simon (2012): Vergesst das Recht auf Vergessenwerden.
Online unter: www.sinnstiftermag.de/ausgabe_11/titelstory.htm
www.dbk.de/fileadmin/redaktion/microsites/Mediensonntag/2009-botschaft_zum_43_welttag_der_soz_kommunikationsmittel.pdf; Original unter: www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/messages/communications/documents/hf_ben-xvi_mes_20090124_43rd-world-communications-day_ge.html
2 Zakon, Robert H.: Hobbes Internet Timeline, 10.2.2012.
3 Vgl. Van Eimeren, Birgit / Frees, Beate: Drei von vier Deutschen im Netz – ein Ende des digitalen Grabens in Sicht? Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2011. In: Media Perspektiven (7–8/2011), S. 334–349.
4 Vgl. Ridder, Christa-Maria / Engel, Bernhard: Massenkommunikation 2010. Mediennutzung im Intermediavergleich. In: Media Perspektiven (11/2010), S. 523–536.
5 Schmidt, Jan-Hinrik: Zum Strukturwandel von Kommunikation im Web 2.0. In: Sinnstiftermag (11/2011).
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Auf die umstrittene Forderung nach einem „Recht auf Vergessen“, das Anfang 2012 von der EU-Grundrechtekommissarin Viviane Reding gefordert wurde (vgl. ec.europa.eu/justice/data-protection/document/review2012/com_2012_11_de.pdf), kann hier ebenfalls nur verwiesen werden. Vgl. die differenzierende Kritik dazu von Simon Möller (2012): Vergesst das Recht auf Vergessenwerden. URL: www.telemedicus.info/article/2138-Vergesst-das-Recht-auf-Vergessenwerden.html.
9 Vgl. Baacke, Dieter: Kommunikation und Kompetenz. München 1973
10 Werbick, Jürgen: Art. „Kommunikation. II. Fundamentaltheologisch“. In: LThK³, S. 214f.
11 Zerfass, Rolf: Art. „Kommunikation. IV. Praktisch-theologisch“. In: LThK³, S. 216f.
12 Benedikt XVI.: Neue Technologien – neue Verbindungen. Für eine Kultur des Respekts, des Dialogs, der Freundschaft. Botschaft des Papstes zum 43. Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel am 13.09.2009.
13 Vgl. van Eimeren / Frees: (Anm. 2).
14 Initiative D21: (N)Onliner Atlas 2011. Eine Topographie des digitalen Grabens durch Deutschland.
15 Benedikt XVI.: (Anm. 11).
16 Gehrke, Gernot: Digitale Teilung – Paradigmen und Herausforderungen. In: Gapski, Harald (Hg.): Jenseits der digitalen Spaltung. Gründe und Motive zur Nichtnutzung von Computer und Internet. München 2009, S. 74–80.
17 Vgl. Gerhards, Maria / Mende, Annette: Offliner. Ab 60-jährige Frauen bilden die Kerngruppe. In: Media Perspektiven (7/2009), S. 368f. Der von Gehrke (Anm. 15), S. 78, in diesem Zusammenhang zitierte Vergleich mit dem „Mercedes-Problem“ – ich hätte gerne einen, kann mir aber keinen leisten – ist insofern irreführend, als dass es nicht um ein Luxusproblem, sondern um grundlegende Partizipationsmöglichkeiten geht. Um im Bild zu bleiben: Sich keinen Mercedes leisten zu können, ist zweifelsfrei kein Grund für entsprechende Förderprogramme. Aber sich in einer immer stärker auf individuelle Mobilität ausgerichteten Gesellschaft überhaupt kein Auto leisten zu