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Religiöse Erwachsenenbildung


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Antworten fehlen, scheint mir in einem 3. Teil ein Perspektivenwechsel verheissungsvoll: Es lohnt sich, den Blick, der bisher die grossen Entwürfe zu erfassen versuchte, zu schärfen für das, was gelingt: für innovative Einzelbeispiele der Praxis, die sich als zukunftsweisend herausstellen könnten. Sowohl die reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn23 als auch die Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung24 haben auf ihren Homepages diesen Weg gewählt. Sie stellen Projekte vor, die gelungen sind und Beispielcharakter haben. Zwei von ihnen werden hier in aller Kürze vorgestellt.

      1) In der «Nacht der Religionen», aufgeführt bei der «Ideenbörse» der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, öffnen Berner Weltreligionsgemeinschaften – Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen, Muslime, Juden, Hindus usw. – ihre Türen und laden ein, «hinein zu schnuppern und sich selber ein Bild zu machen, sich selber einen Eindruck zu verschaffen, Fragen zu stellen und ins Gespräch zu kommen».25 In der Nacht der Begegnung, die übrigens in Anlehnung an die «Museumsnacht» konzipiert wurde, sollen Differenzen nicht |22| übermalt, aber Möglichkeiten geschaffen werden, sich gegenseitig respektvoll wahrzunehmen und miteinander zu diskutieren.

      Interreligiöse Verständigung gehört zu den epochalen Herausforderungen der Gegenwart. Die Berner «Nacht der Religionen» leistet dazu einen wesentlichen Beitrag und erreicht es, durch die attraktive Anlage, die konkrete Erlebnisse und Erfahrungen ermöglicht – dies war die Forderung von Eva Baumann-Neuhaus (vgl. 2.2) –, Milieus und Altersgruppen anzusprechen, die sonst in erwachsenenbildnerischen Angeboten untervertreten sind.

      2) «Pilgern im Pott», aufgeführt auf der Homepage der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung, ist Pilgern inmitten des Ruhrgebietes, urbanes Pilgern also. Neben Wald und Wiese ist der Weg auch gezeichnet durch Industriehallen am Wegrand, durch Gleisanlagen, Kläranlagen usw. Es wird dazu eingeladen, inmitten des Lebensraums heutiger Menschen wandernd den Blick für Spuren Gottes zu schärfen. Offene evangelische Kirchen werden zu «Pilgerkirchen». Auf einer attraktiv gestalteten Website finden sich geistliche Impulse, die gleichsam eine mystagogische Funktion übernehmen:26 Den Auftakt der aufgeführten geistlichen Impulse machen Übungen, die auch für Menschen nachvollziehbar sind, die mit dem christlichen Narrativ nicht oder nicht mehr vertraut sind. Je weiter man den spirituellen Impulsen folgt, desto mehr führen sie in den Bereich des Geheimnisses des christlichen Glaubens hinein. So laden die Wegleitungen ein, christliche Traditionsstücke probezutragen: Einen Bibelvers mit auf die Wanderung zu nehmen, am Schluss einen Segen zu sprechen und dafür «die alten kirchlichen Worte zu verwenden». Auf diskrete Weise wird mit den Pilgerveranstaltungen das Angebot gemacht, eine «Maske des Glaubens» (Fulbert Steffensky)27 auszuprobieren. Zuerst einmal auf Zeit können Menschen der Gegenwart erkunden, wie es ist, wenn man sich dem Geheimnis des Glaubens anvertraut und sich darin bewegt.

      3.1 Betroffen und beteiligt

      Sowohl in der «Nacht der Religionen» als auch beim «Pilgern im Pott» werden Menschen als Betroffene und Beteiligte angesprochen: In den Erfahrungsfeldern interreligiöser bzw. spiritueller Begegnung werden Lernprozesse initiiert, in denen die Teilnehmenden als Betroffene zu Beteiligten werden, indem sie sich mit sich selbst im Blick auf den Fremden bzw. im Blick auf die Transzendenz auseinandersetzen.

      Die beiden Beispiele stehen exemplarisch für gegenwärtige Bildungsangebote, welche die Erfahrungsdimension besonders gewichten und dem «Kurssturz der |23| klassischen Wissensvermittlung»28 insofern Rechnung tragen, als klassische Katechese vermehrt zugunsten einer Bildung weicht, die bei der persönlichen Erfahrung und Entfaltung ansetzt. Wer die aktuelle Angebotspalette kirchlicher Bildungshäuser und Anbieter überblickt, stellt denn auch fest, dass zunehmend Themen individueller religiöser Selbstauslegung (bisweilen in Auseinandersetzung mit anderen religiösen Traditionen) und biografischer Selbststeuerung im Vordergrund stehen. Judith Könemann, die nach den Chancen kirchlicher Erwachsenenbildung fragt, ist überzeugt, dass die Kirchen ihren Bildungsauftrag gegenwärtig dann gelingend wahrnehmen können, wenn sie auf subjekt- und biografieorientierte Konzepte setzen:

      «Angesichts der […] Herausforderungen moderner Lebensführung – mit all den darin liegenden Möglichkeiten und Chancen, aber auch Bedrohungen und Gefahren des Scheiterns – scheint eine Orientierung am Subjekt und dessen Biographie als Grundlage kirchlicher Erwachsenenbildung unabdingbar zu sein, denn die Auseinandersetzung mit und die Reflexion über die eigene Person stellen wichtige Elemente für die Gestaltung und (Weiter-)Entwicklung personaler Identität im Kontext gesamtgesellschaftlicher Bedingungen dar.»29

      Selbstvergewisserung, -entwicklung und -verortung erweisen sich auf dem Hintergrund der pluralismusbedingt geforderten Entscheidungskompetenzen des Einzelnen und der eigenverantworteten Sinngenerierung30 als zentrale Zieldimensionen religiöser Bildung. Könemann betont allerdings, dass diese Aspekte nicht als subjektiv verengt beurteilt werden dürfen, sondern «eine fundamentale Basis für verantwortliches gesellschaftliches Leben» bieten.31 Sie schärft damit den Blick dafür, dass die Inszenierungen von Erfahrungsräumen und von Plattformen für die Selbstthematisierung nicht unbedacht dem «Wellnessverdacht» ausgeliefert werden dürfen. Auch wenn zurzeit viele erwachsenenbildnerische Angebote mit subjekt- und biografieorientierten Konzepten arbeiten, erfolgt die Behauptung, dass heutige Erwachsenenbildung im Unterschied zu denen in Zeiten mit primär innovativen Thinktanks im Rahmen von diskursiven Bildungsveranstaltungen ihr kritisches und gesellschaftsgestaltendes Potenzial eingebüsst habe, vorschnell. In Anbetracht der eingangs beschriebenen Verknappung von zeitlichen Ressourcen und der damit einhergehenden Verzweckung von Bildung scheint der Trend, auch «Entspannungsangebote», bei denen nichts geleistet werden muss, in die Angebotspalette |24| religiöser Erwachsenenbildung aufzunehmen, durchaus berechtigt. Erst solche Freiräume ermöglichen Menschen in herausfordernden Lebenssituationen – zu denken ist beispielsweise an Frauen der sogenannen Sandwichgeneration32 – sich selbst und damit ihre Verortung im gesellschaftlichen Kontext zu reflektieren.

      3.2. … und befreit zum Leben

      Die Neuorientierung, die sich in den letzten Jahren in der religiösen Erwachsenenbildung vollzogen hat, kommt in folgenden zusammenfassenden Sätzen von Könemann nochmals prägnant zum Ausdruck:

      «Nicht der zu verkündigende Glauben steht im Vordergrund, für den und in dem das Individuum gebildet werden soll, also nicht das Konzept einer Erwachsenenbildung als Verkündigung steht im Vordergrund, sondern das Individuum mit seiner Suche nach und Gestaltung von Identität sowie den Fragen seiner Lebensführung. Die materialen Gehalte christlicher Religion und christlichen Glaubens erhalten in dieser modernen Form biographischer Aneignung von Religion ihren Raum, indem sie zum einen ein Angebot zur Auseinandersetzung und Orientierung darstellen […] und indem sie zum anderen ein Korrektiv zur individuellen Sichtweise und dem daraus folgenden Handeln darstellen, das zur Veränderung ermutigt.»33

      So richtungsweisend und zentral mir – mit Könemann – die Orientierung erwachsenenbildnerischer Praxis an subjekt- und biografieorientierten Konzepten scheint, drängt sich hier dennoch ein kritischer Nachsatz auf. Wenn der Fokus in emanzipatorischer Absicht so stark auf der individuellen Gestaltung von Identität liegt, dann muss gefragt werden, ob damit nicht Bildungsziele gesetzt werden, die auch überfordern können und das Individuum in Stress versetzen. Allgemeiner formuliert: Ist die zugesprochene Möglichkeit, «Identität» selbst «gestalten» zu dürfen, im Grunde wirklich eine befreiende Aussicht? Kann man «Identität» denn überhaupt |25| selbst «gestalten»? Ist sich das Subjekt letztlich so etwas wie «zugänglich», sodass es sich selbst auslegen, verorten und umgestalten kann?

      In Auseinandersetzung mit diesen Fragen hat der US-amerikanische Praktologe Tom Beaudoin einen Aufsatz mit dem selbstredenden Titel «I was imprisoned by subjectivity and you visited me» publiziert.34 Darin diskutiert er postmoderne Subjektivitätstheorien, im Besonderen diejenige von Michel Foucault, und kommt dabei auf einen Text von Dietrich Bonhoeffer zu sprechen, auf das Gedicht aus der Haft «Wer bin ich?»35

      «Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest … Wer bin ich? sie sagen mir oft … Wer bin ich? Sie sagen mir auch … Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich