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Religiöse Erwachsenenbildung


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Differenzierung ergänzt werden, bei der die Erwartungen an den Sinn von religiöser Bildung sichtbar werden. Englerts zentrale These lautet, dass die «Bedeutung, die jemand religiöser Bildung heute zutraut, wesentlich damit zusammenhängt, wie er sein eigenes bzw. wie er des Christentums Verhältnis zur Moderne beurteilt».80 In der unterschiedlichen Einschätzung des Verhältnisses von Christentum und Moderne, deren Kern im Programm der Aufklärung gesehen wird, liegt demnach das wesentliche materiale «Unterscheidungskriterium heute vorfindlicher Erwartungen an religiöse Bildung bzw. der ihnen zugrundeliegenden Deutungsmuster».81 Es werden drei Idealtypen unterschieden:

      1 die antimodernistische Tiefenstruktur der den Vorstellungen von religiöser Bildung zugrunde liegenden Deutungsmuster (abgekürzt: antimodernistisches Deutungsmuster)

      2 die moderne Tiefenstruktur der den Vorstellungen von religiöser Bildung zugrunde liegenden Deutungsmuster (abgekürzt: modernes Deutungsmuster)

      3 die transmoderne Tiefenstruktur der den Vorstellungen von religiöser Bildung zugrunde liegenden Deutungsmuster (abgekürzt: transmodernes Deutungsmuster)

      Diese verschiedenen Deutungsmuster werden als gleichrangig und gleichberechtigt angesehen. Mit dieser methodischen Vorgehensweise will Englert exemplarisch zeigen, worin die Aufgabe einer religiösen Bildung in der Zwischen-Zeit besteht: in der Einübung einer angemessenen Umgangsweise mit der «Ungleichzeitigkeit von Glaubensstilen und Bewusstseinsformen, die auf Diskriminierung verzichtet, ohne unkritisch zu sein, die Pluriformität begünstigt, ohne in die Beliebigkeit abzudriften».82

      Es gilt daher, ein Gesamtkonzept religiöser Erwachsenenbildung zu entwickeln, das offen ist für das ganze Spektrum christlich-religiöser Milieus und Zielgruppen (Prinzip der Gleichrangigkeit) und zugleich über ein klares theologisches, pädagogisches und gesellschaftspolitisches Profil (Prinzip der Unterscheidung) verfügt. Damit ist zugleich der Anspruch beschrieben für das Konzept einer polyperspektivischen Bildungsstrategie. Diese basiert auf der These einer «inneren Entwicklungsfähigkeit aller vorfindlicher Glaubensgestalten – und zwar selbst der anscheinend nur beschränkt zukunftsfähigen».83 Das heisst: Es geht nicht darum, |38| einen Konsens zu entwickeln, denn dazu sind die Deutungsmuster und die mit ihnen korrelierenden Konzepte zu verschieden, oder unter Preisgabe des Prinzips der Gleichrangigkeit einem Modell eine höhere Wertigkeit zuzubilligen, sondern «religiöse Bildungsprozesse sollten die Teilnehmer für eine Transzendierung des eigenen Standpunktes und für Impulse in Richtung perspektivischer Verschränkung öffnen können».84 Die jeweils eigene Perspektive, die letztlich in den Deutungsmustern gründet, benötigt immer wieder «differenzierende und transzendierende Bildungsimpulse»85, um nicht durch Fixierungen das eigene Lernen und Leben zu behindern. Diese öffnende Weiterentwicklung geschieht auf der konzeptionellen Ebene durch das Entwickeln des in jeder Perspektive enthaltenen positiven Gestaltsinns. Dadurch sollen die jeweiligen religiösen Deutungsmuster ihre Enge verlieren und zu einer die jeweilige Perspektivik transzendierende Offenheit weiterentwickelt werden.

      Der positive Gestaltsinn des antimodernistischen Deutungsmusters liegt in der betonten Kirchlichkeit, der Communio-Struktur des Glaubens. Die Überzeugung, dass der Glaube bezogen ist auf tradierte Überlieferungen und eine grössere Glaubensgemeinschaft, eröffnet die Perspektive auf die Fülle und Weite des Glaubens in seiner ganzen Differenziertheit. «So würde der Gedanke der Einheit im Glauben für das kontrapunktische Motiv eines polyphonen Glaubens geöffnet.»86 Dabei muss man sich nicht vom bestehenden Welt- und Kirchenverständnis verabschieden. Wenn es in einem offenen Dialog mit anderen Sichtweisen dialogisch erweitert wird, kann der Gefahr der Verschlossenheit gegenüber Andersdenkenden begegnet werden.

      Der positive Gestaltsinn des modernen Deutungsmusters liegt in der Subjekthaftigkeit des Glaubens. Dies bedeutet weit mehr als eine bloss milieu- oder sozialisationstheoretisch zu erklärende Einstellung oder ein Für-Wahr-Halten definierter Glaubenssätze: Der Mensch bringt seine lebensgeschichtlich geprägte Identität in die Glaubensauslegung hinein bzw. er sieht die Zeugnisse des Glaubens im Lichte seiner eigenen Lebenserfahrungen. Allerdings realisiert sich Christ-Sein nicht in der Vereinzelung des Subjektes, sondern in der herausfordernden Beziehung einer Gemeinschaft der Glaubenden. Hierin liegt der Weg für das moderne Deutungsmuster: von der Subjekthaftigkeit des Glaubens zur «symphonischen Katholizität»87.

      Der positive Gestaltsinn des transmodernen Deutungsmusters liegt in der lebenswirksamen Praxisrelevanz des Glaubens. Dieser unterliegt zugleich der Gefahr einer Gesetzlichkeit, nach der Nachfolge nur für Christen mit einem spezifischen |39| Bewusstsein, die sich in sozialen Bewegungen engagieren, reserviert ist. Hier wäre zu zeigen, dass christliche Praxis im Sinne einer Option für die Armen sich nicht im konkreten Handeln erschöpfen darf, sondern darüber hinaus auch kommunikabel bleiben muss mit anderen Formen der Nachfolge. Gegen die Gefährdungen des Dünkels empfiehlt Englert den «Virus der Selbstkritik»88 zu infiltrieren.

      Mit dem nur skizzierten Modell einer polyperspektivischen, religiösen Erwachsenenbildung entwickelt Englert eine auch aus evangelischer Sicht überzeugende religionspädagogische Antwort auf die Herausforderungen der Moderne. Die bestehende religiöse Gegenwartssituation wird kategorisiert und idealtypisch verkürzt. Sie bildet – kondensiert als Deutungsmuster – die Basis für eine überaus komplexe, eher kreisende als lineare, z. T. auch redundante Theoriereflexion, die empirisch existierende Divergenzen innerhalb des katholischen Spektrums zu einem integrativen, vor allem didaktisch interessanten Modell verbindet. Das nicht bewertende Wahr- und Ernstnehmen realiter bestehender Positionen zur Verhältnisbestimmung von Christentum und Moderne, die sowohl bei Teilnehmenden an Veranstaltungen als auch bei Verantwortlichen innerhalb der (katholischen wie evangelischen) Kirche anzutreffen sind, belegen dennoch eine hohe Praxisrelevanz des Ansatzes von Englerts. Sein Theoriemodell bietet eine Fülle von Anregungen für die konkrete Makro- und Mikrodidaktik von kirchlichen Bildungsträgern.89 Die Differenziertheit und Tiefe der Reflexion lassen das Werk Englerts zu einem vorläufigen Höhepunkt der Theoriediskussion werden, angesichts dessen bestehende Vorwürfe eines generellen Theoriedefizits der kirchlichen Erwachsenenbildung zumindest relativiert werden sollten. Es ist zu wünschen, dass die Impulse Englerts auch von Bildungspraktikern wahr- und aufgenommen werden.

      4. Schlussbetrachtungen

      Abschliessend können folgende Ergebnisse festgehalten werden:

      4.1. Der Pluralität gegenwärtiger Sinnsysteme und Deutungsmuster muss mit einer polyperspektivischen Konzeption von religiöser Erwachsenenbildung begegnet werden.

      Religiöse Erwachsenenbildung kann sich nicht auf ein kulturelles Milieu (z. B. das Hochkultur-Milieu) oder einen bestimmten Frömmigkeitstypus begrenzen, |40| wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden will. Sie hat ihren gesellschaftlichen Ort an der Schnittstelle zwischen kirchlicher und kommunaler Öffentlichkeit. Durch diese Aufgabe wird sie und mit ihr die Institution Kirche zu einer Akteurin in der Zivilgesellschaft. Für viele Menschen wird die Erwachsenenbildung zum einzigen Ort, an dem sie Kirche erleben. Durch ihre inhaltliche Freiheit, ihre erwachsenendidaktische Kompetenz, ihre methodische Pluralität und ihr theologisches Profil kann sie in besonderer Weise Menschen aus kirchenfernen Milieus erreichen.

      Die religiöse Erwachsenenbildung muss durch eine milieu- und perspektivenverschränkende Konzeption diesen gesellschaftlichen, christentumsgeschichtlichen und individuellen Herausforderungen begegnen.

      4.2. Eine polyperspektivische Konzeption von religiöser Erwachsenenbildung benötigt eine entsprechende Didaktik.

      Wenn ein Theoriemodell von religiöser Erwachsenenbildung bildungspraktische Relevanz beansprucht, ist eine korrespondierende fachdidaktische Kompetenz unabdingbar. Eine kongeniale Entsprechung des Modells einer perspektivenverschränkenden religiösen Bildung von Rudolf Englert sehe ich im erwachsenendidaktischen Ansatz von Ortfried Schäffter.90 Vor dem Hintergrund gegenwärtigen Irritationen und Unsicherheiten über eine sich im Wandel befindliche Gesellschaft versucht er, diese Phänomene konstruktiv aufzugreifen und für das Feld der Erwachsenenbildung zu erschliessen. Er entwickelt daher – je nach Ausgangslage und Zielwert – vier unterschiedliche Lernmodelle, die gleichzeitig und nebeneinander eingesetzt werden können: Lernen als Prozess