Gerwalt

42 garstige Gerwalt-Geschichten


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näher kam.

      Claudia zitterte.

      »Jetzt bist du fällig, du kleine Schlampe!«

      Ein eiserner Griff umschloss ihren Fußknöchel.

      Während ihr die Erkenntnis, dass sie diese Stimme irgendwoher kannte, langsam ins Bewusstsein einsickerte, fing Claudia an, laut zu schreien und mit den Beinen auszuschlagen.

      Doch das half ihr nicht sonderlich.

      An dieser Stelle würde ich die Geschichte aus Gründen der Schicklichkeit natürlich nicht mehr weiter detaillieren.

      Wenn ich sie denn hätte erzählen wollen

       Denn, unter uns, wäre sie erzählenswert gewesen?

      Doch wohl eher nicht.

      Carrara bianco

      »Wenn Sie so nett wären, meine Liebe, und sich hier auf die Récamière legen könnten …

      Ja, so ist es gut, den Arm vielleicht noch etwas mehr angewinkelt – und könnten Sie Ihre Schenkel eine Spur weiter öffnen, das linke Knie vielleicht noch etwas höher? Jawohl, so könnte es gehen. Wenn Sie jetzt bitte genau so bleiben mögen?«

      Sie hat Rehaugen, groß, von einem dunklen, sanften Braun, als wären sie einem Gemälde von Tizian entsprungen. Die Brauen kühn geschwungen wie in einem Madonnengesicht. Die Nase gerade und fein gemeißelt, und der Mund ist ganz und gar reizend, die Oberlippe hat einen exquisit gezeichneten Verlauf, die Unterlippe ist etwas, aber nur etwas voller, mit einem hellen, rosigen Ton. Ihre Haarfarbe liegt irgendwo zwischen Kastanien- und Haselnussbraun, und der Glanz ist so, wie ihn eine künstliche Färbung keinesfalls erzeugen könnte.

      »Wissen Sie, es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich meine Liebe zur Skulptur, zur weiblichen Statue entdeckt oder besser: wahrgenommen habe. Schauen Sie, als Junge sah ich oft den Stefanien-Brunnen mit der bronzenen, überlebensgroßen Mädchenfigur in der Mitte, die schöne Nackte, welche zwei Krüge in den Händen hält. Damals fand ich das Mädchen tatsächlich etwas dicklich, ich war eben noch sehr jung zu dieser Zeit.

      Oder da gibt es diese Geschichte, jene von dem Offizier, der sich während eines Nachtlagers in einer geplünderten Kirche unsterblich in eine Statue verliebt, in die Frau eines Ritters, mit dem zusammen sie ebendort begraben ist – und als er die Statue schließlich im Liebeswahn küsst, wird er von der steinernen Faust des Ritters zermalmt.

      Ich fand diese Geschichte damals sehr merkwürdig – aber später eben auch faszinierend.

      Und ich muss gestehen, anfänglich haben mir Praxiteles, Phidias oder Skopas tatsächlich nicht viel gegeben.

      Ich habe eigentlich eher Bilder, oder zumindest Kopien davon gesammelt, die alten Italiener, Giorgione, Tizian oder meinetwegen auch die Franzosen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, Gerôme, auch Bouguereau oder Delacroix.

      Welch ein Frauenbild, welche Sinnlichkeit, was für eine Anmut.«

      Ihre Haut ist glatt und rosig und ihr Muskeltonus ganz und gar erfreulich. Doch obwohl ihr Körper tatsächlich angenehm definiert ist, hat sie einen entzückenden kleinen Bauch mit einem sehr sinnlichen und auch ein wenig kecken Schwung Ihre Brüste, zwei feste Halbkugeln mit rosigen Spitzen, sind hoch angesetzt und nicht übertrieben groß, sie fügen sich harmonisch in das Gesamtbild ein, ohne die Linie zu zerstören, und die Beine, lang und mit schlanken Unterschenkeln und runden Oberschenkeln, letztere sind diese winzige Spur zu voll, die gerade jene Sinnlichkeit erzeugt, welche der perfekt proportionierten Schönheit zwangsläufig abgehen muss.

      Ihr Hinterteil ist von einer Pflaumenform, die es auf der einen Seite gerade noch schlank erscheinen lässt, auf der anderen Seite aber genügend Wölbung darbietet, um den Zuschauer zu animieren, seine zugreifende Hand anzulegen.

      »Oh, ich sehe, Sie ermüden. Kommen Sie, entspannen Sie sich doch einen Augenblick. Ich hoffe, Ihnen ist warm genug?

      Gut, also.

      Ja, ich überlege gerade, welche Skulptur mich sozusagen erweckt hat …

      Die Venus von Willendorf ist natürlich wichtig, ich habe sie tatsächlich im Original gesehen, nicht sehr beeindruckend, leider. Sie hätte Überlebensgröße verdient, nicht diese zwei Handspannen, die sie tatsächlich in etwa lang ist.

      Ich denke, es war ›la frileuse‹ von Houdon, die mich schließlich initiierte, nicht die Bronzeversion, obwohl jene statisch ja deutlich kühner ausgeführt werden konnte, nein, die erste Figur aus Stein, weiß und rein und erhaben in ihrem schutzbedürftigen Frösteln.

      Ah! Da war es um mich geschehen.

      Ich hatte mich zum ersten Mal in eine Statue verliebt.«

      Doch ihre Schönheit drückt sich nicht nur, aber doch vor allem in ganz anderen Dingen aus.

      Da sind ihre Hände, so lang und schmal, die Finger schlank und zart, die Fingernägel sind, gottlob unbemalt, in Querrichtung von einer starken Wölbung, das Nagelbett ist rosig, und die hellen Monde sind tatsächlich bei allen zehn Fingern zu sehen.

      Die Spitzen der Nägel sind in einem gemäßigten Halbrund gefeilt, nicht plakativ, sie dominieren nicht, sondern fügen sich unauffällig in das Gesamtbild der zarten Hand ein.

      »Bitte setzen Sie sich doch wieder aufrecht und trinken Sie eine Tasse Tee. Sie können sich gerne auch etwas überwerfen, ich könnte Schamgefühle außerhalb der reinen Modelltätigkeit ohne weiteres nachvollziehen, so Sie diese jetzt hätten.

      Ja, ab dann ging ich mit offenen Augen durch die Welt. Nicht jede Figur gibt mir etwas, aber manche eben tatsächlich sehr viel.

      Neulich beispielsweise sah ich eine leider ziemlich kleine Skulptur aus Elfenbein, ›Die Schrecken des Krieges‹, sie stellt einen Soldat der Renaissance dar, der eine nackte, gebundene Frau hinwegführt, sein Schwert in ihren Rücken gebohrt. Die Figuren könnten von Georg Petel gewesen sein, ich bin mir nicht ganz sicher.

      Ja, diese bittersüße Tragik, sie ist nackt, das lange Haar offen, die Hände mit Stricken auf den Rücken gefesselt, er modisch auf der Höhe seiner Zeit, mit Spitz- und Knebelbart, Schlapphut und Straußenfedern daran, mit Stiefeln und Wams, wirklich ein sehr anregender Kontrast.

      Oder beispielsweise die Venus von Tenerani, jene liegende Schönheit, der Amor gerade einen Dorn aus dem weißen Marmorfuß zieht.

      Makellos. Einfach makellos.

      Wissen Sie, meine Liebe, in diesen Statuen verliere ich mich tatsächlich. Ihre Schönheit ist perfekt, aber Figuren selbst sind es nicht, fehlt ihnen doch das Leben an sich, sie sind ja quasi gefangen in ihrer Bewegungslosigkeit.

      Aber sie sind unvergänglich, und das ist es.

      Ja, und so bin ich selbst ein Bildhauer geworden – nun ja, zumindest etwas Ähnliches.

      Aber vielleicht könnten Sie nun Ihre Pose wieder für ein Weilchen einnehmen?«

      Ihr Hals ist lang und schlank, alabasterweiß, und bedingt durch ihre Kopfhaltung treten die Sehnen, welche ihren Kopf in seiner Neigung halten, etwas hervor, nicht viel, aber doch gerade sichtbar. Ihr Profil ist weich, und dennoch wohnt ihm eine gewisse Klarheit inne, der marmorne Blick verliert sich, die Lippen sind eine Spur weit geöffnet und von einem minimalen Lächeln erfüllt.

      »Kommen Sie, gehen wir doch einen Augenblick ans Fenster, die Bewegung wird Ihnen sicher gut tun. Glauben Sie mir, es ist mir durchaus bewusst, wie mühsam es für Sie sein muss, zu verharren, und ich weiß Ihre Mühe zu schätzen.

      Hier, sehen Sie doch in den Garten hinab, da sind sie, meine Schönen, jene, die ich bereits in Stein verewigt habe. Wie Sie sicherlich erkennen können, habe ich mich bemüht, ihnen den jeweils passenden floralen Rahmen zu schaffen, aber, und das gebe ich gerne zu, mein Vermögen mit der Pflanze, mit dem Lebendigen umzugehen, ist tatsächlich nur von ausgesprochen geringer Natur.

      Aber man tut, was man kann.

      Ja,