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Gemeinsames Gebet


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ohne Geheimnis ist Götzendienst. Ein Gottesdienst, dem das Gebet und damit die Fragilität der Gott-Mensch-Beziehung fehlt, die niemand machen kann und die sich immer nur erwarten lässt, der als dauerhafte Unterhaltung durch ein starkes liturgisches Subjekt oder eine perfekte Bühneninszenierung besticht, ist kein Gottesdienst mehr. Han schreibt weiter: «Obszön ist die Hypervisibilität, der jede Negativität des Verborgenen, des Unzugänglichen und des Geheimnisses fehlt. Obszön sind auch die glatten Ströme der Hyperkommunikation, die frei von jeder Negativität der Andersheit ist.»169 Was es bräuchte, wäre eine «Gebrochenheit», die ein Innehalten, ein «Nachsehen, ein Nachdenken» ermöglichen würde,170 ein «kontemplatives Verweilen».171

      Es wundert mich nicht, dass Han immer wieder auf religiöse Metaphern und auf religiöse Vollzüge zu sprechen kommt. Denn es geht ihm letztlich um die Wiederentdeckung einer Transzendenz inmitten der transparenten Welt. «Das Heilige ist nicht transparent. Vielmehr zeichnet es eine geheimnisvolle Unschärfe aus.»172 «Es wäre ein Sakrileg, eine Opferhandlung beschleunigen zu wollen. Rituale und Zeremonien haben ihre Eigenzeit, ihren eigenen Rhythmus und Takt.»173

      Das alles ist nicht völlig neu. Die Anleihen bei Benjamin und Agamben, Žižek, Barthes und Sennett sind deutlich zu hören. Aber es handelt sich dennoch um eine |58| kompakte Gesellschaftsanalyse, aus der ich fünf Thesen für eine Wiederentdeckung des gemeinsamen Gebetes ableite:

       (1) Wenn der Gottesdienst gemeinsames Gebet sein soll, braucht es von allen Beteiligten eine Haltung der Erwartung, eine Fähigkeit zur Stille (die über bloße Pausen, die hier und da gelassen werden, weit hinausgeht) und eine Bereitschaft zur Unterbrechung. In diese einzuführen, wäre wohl als die entscheidende transformative und Kirche stiftende Praxis des Gottesdienstes zu bezeichnen.

       (2) Gegen die Hypervisibilität und Hyperkommunikation, in der Pfarrerinnen und Pfarrer meinen könnten, «das» Evangelium zu haben und der Gemeinde nun portionsgerecht auszuteilen, braucht es verbale Enthaltsamkeit, die den Raum eröffnet für das «Andere» das sich im Gottesdienst ereignen wird und kann.

       (3) Es braucht nicht einfach liturgische «Entschleunigung» – das wäre zu wenig –, sondern eine neue Achtung vor der liturgischen Zeitkunst, der Eigenzeit von Ritual und Symbol, damit sich Gottes Zeit mitten in der Weltzeit Raum verschafft.

       (4) Es braucht eine Sprache der «Expression», die nicht einfach traditionelle Konventionen wiederholt, aber auch nicht einfach heutig sein will. Es erscheint mir zu pragmatisch, wenn im Evangelischen Gottesdienstbuch schlicht von einer Mischung von alten und neuen Texten als Lösung des liturgischen Sprachproblems ausgegangen wird. Umgekehrt erscheint es mir zu einseitig konservativ, wenn der Prince of Wales in seinem Geleitwort zu dem 2011 erschienenen Band «The Book of Common Prayer» angesichts liturgischer Neuerungen fragt: «But who was it who decided that for people who aren’t very good at reading, the best things to read are those written by people who aren’t very good at writing? Poetry is surely for everybody, even if it’s only a few phrases. But banality is for nobody.»174 Meines Erachtens ist die Sprache, die wir zu suchen haben, immer noch am ehesten in Anlehnung an die Sprache der Bibel zu gewinnen. «Gottesdienst als Textinszenierung»175, als Einwandern in die Sprache der Bibel – das scheint |59| mir ein Weg, der zu neuer sprachlicher Kreativität im Raum der liturgischen Tradition anleiten kann.176

       (5) Es braucht Pfarrerinnen und Pfarrer, die wissen, dass sie eine wichtige, aber zugleich auch eine bescheidene Rolle im Geschehen des öffentlichen Gebets haben. Im Judentum gibt es den Begriff des Schaliach Zibbur, des Beauftragten/Gesandten der Menge, als Bezeichnung für den Vorbeter. So etwas ist – evangelisch verstanden – auch ein Pfarrer/eine Pfarrerin im liturgischen Kontext.177

      3.2 Auf dem Weg zum gemeinsamen Gebet

      Die große evangelische Aufgabe bei der Weiterentwicklung des Gottesdienstes scheint mir nicht darin zu liegen, eine Einheitlichkeit des evangelischen Gottesdienstes, ein evangelisches Common Prayer in bindender Normativität zu erreichen – weder auf dem restaurativen Weg der einen Agende noch auf dem formalen Weg der einen Struktur. Dies wäre unrealistisch und kontraproduktiv. Die entscheidende Aufgabe liegt m. E. vielmehr liturgiepraktisch darin, eine gemeinsame evangelische, d. h. aus dem Evangelium kommende und immer neu auf das Evangelium wartende Gebetshaltung zu fördern sowie zu gestalten. Liturgiewissenschaftlich besteht diese Aufgabe darin, eine Theologie des Gottesdienstes nicht als abstrakte Größe zu entwickeln, sondern als Dimension einer liturgischen Spiritualität und mit Perspektiven für eine liturgische Didaktik.

      Das Ausbleiben einer Theologie des Gottesdienstes ist m. E. das große Problem der liturgischen Reformen auf dem Weg zum Evangelischen Gottesdienstbuch und bis in die Gegenwart seit den 1970er Jahren. Bereits Helmut Schwier erkannte: «Daß das Strukturpapier [1974] selbst noch keine Theologie des Gottesdienstes vorlegt, ist ihm nicht ernsthaft vorzuwerfen; daß hier allerdings die durchaus geplante Fundierung am Ende nicht durchgeführt werden konnte, markiert eine bleibende Schwäche.»178

      Die theologische Arbeit am Gottesdienst wurde, so meine ich, in den vergangenen Jahren auf problematische Weise vernachlässigt. Manche fragen nach der «Attraktivität» des Gottesdienstes und suchen nach Möglichkeiten, Formen zu finden, die der Ästhetik bisher kirchenferner Gruppen und Milieus entsprechen. Andere suchen nach «Qualitätskriterien» für den Gottesdienst und beginnen damit, Qualitätsentwickler von außen auf den evangelischen Gottesdienst blicken zu lassen. Viele fragen empirisch nach dem, was im Gottesdienst erlebt wird. All |60| das ist bestimmt nicht falsch, aber wo bleibt die theologische Nachfrage nach dem Gottesdienst und dem, was er ist und sein könnte? Auffällig erscheint mir das Papier der Liturgischen Konferenz aus dem Jahr 2009 mit dem Titel «Gottesdienst feiern». Es geht darin um die Frage nach der Neuentwicklung einer Agende. Viele anregende und weiterführende Aspekte werden benannt. Aber dann, wenn es um die «Theologie» geht, zeigt sich, dass man dieses Thema eher wie eine heiße Kartoffel mit spitzen Fingern kurz berührt, anstatt sich damit wirklich auseinanderzusetzen. Die Angst vor einer deduktiven Theologie des Gottesdienstes ist bestimmend. Und diese Angst ist so groß, dass auf die Entwicklung einer solchen Theologie verzichtet und stattdessen behauptet wird, man könne nur «theologische Theorien» des Gottesdienstes aufzeigen und miteinander ins Spiel bringen. In loser Folge werden dann Josuttis und Volp, Kunz und Wainwright u. a. genannt.179 Und nach gut zwei Seiten ist dieses Unterkapitel zu Ende.

      Christenmenschen können den Weg zum gemeinsamen Gebet in großer Erwartung und ebenso großer Gelassenheit gehen. Denn das gemeinsame Gebet ist nicht utopisch, sondern hat bereits seinen Ort und könnte insofern mit Foucault als Heterotopie im starken Sinne des Wortes bezeichnet werden. Es findet statt: in einer Zeit jenseits der Zeit und an einem Ort, der mit einer Vokabel der Unterbrechung «Himmel» genannt wird! Dort wird gebetet. Gemeinsam! In der Offenbarung berichtet der Seher von dem Thron, der im Himmel steht und auf dem einer sitzt. Um ihn die 24 Throne der 24 Ältesten. Vor dem Thron die sieben Geister Gottes und die vier himmlischen Gestalten. Und in allem das Lob des einen Gottes: «Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft» (Offb 5,11).

      Die «Integration» der vielen verschiedenen Gottesdienste auf dieser Erde ist schon längst gelungen und schon längst gegeben. Der eine Gottesdienst findet statt – vor aller Zeit, in aller Zeit, jenseits aller Zeit. Warum eigentlich sind es 24 Älteste, die feiern? Eine bereits altkirchliche Antwort lautet: weil hier die zwölf Stammväter Israels und die zwölf Apostel gemeinsam vereinigt sind im Lob des einen Gottes. Viel weiter kann eine liturgische Integrationsleistung wohl kaum reichen.

      Wo unsere Gottesdienste in ihrer Vielfalt, in ihrer wunderbaren Buntheit, in ihren eher präsenz- oder eher sinnorientierten Gestaltungen offen sind für dieses Geschehen, wo sie diejenigen, die heute zusammenkommen, einlassen in die Gemeinschaft derer, die durch die Zeiten hindurch loben, da baut Gottesdienst Kirche und da ist Gottesdienst im besten Sinn gemeinsames Gebet.

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