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Gemeinsames Gebet


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möchte».147 Es geht nicht um die Äußerlichkeit der Teilnahme, nicht um einen «liturgiefremden Aktionismus» (Benedikt Kranemann)148, sondern um die «Teilnahme am Handeln Gottes in der Eucharistiefeier».149 Aktive Teilnahme bedeutet eine Tiefenschicht unterhalb der sichtbaren Redeanteile.

      Das ist klug erkannt – und dennoch läuft die evangelische Diskussion um die aktive Beteiligung von Anfang an auch in anderen Bahnen. Bereits Joachim Stalmann wandte sich gegen die «Einmanngottesdienst[e]», bei denen ein Pfarrer eben den ganzen Gottesdienst hält.150 Einmannshows hat man das auch genannt. Um das zu verhindern, lässt man dann also die Lesungen von einem Gemeindeglied oder Kirchenvorsteher halten. Man delegiert andere Redeanteile – wie die Begrüßung oder die Abkündigungen. Man bietet musikalisch begabten Flötenkindern die Möglichkeit, eine «Einlage» zu musizieren oder der Theatergruppe der Jugendlichen die Chance auf ein «Anspiel» vor der Predigt.

      Die 2011 veröffentlichte Rezeptionsstudie zum Evangelischen Gottesdienstbuch fragte auf ähnliche Weise nach «Beteiligung» und erhielt auf die entsprechenden Fragen erstaunliche Antworten. So äußern sich zu dem Item «Wenn Gottesdienst gefeiert wird, muss immer die ganze Gemeinde dafür verantwortlich |54| und daran beteiligt sein» nur 6% voll und ganz zustimmend, 15,9% überwiegend; 13,3 % lehnen den Satz überhaupt, 31,7% weitgehend ab. 33% Unentschiedene gibt es.151 Bei der Frage, wie wichtig eine «möglichst hohe aktive Beteiligung der Anwesenden» ist, sagen 29,1 %, diese sei wichtig, 8,9% sehr wichtig, 1,6% völlig unwichtig, 18,9% unwichtig; unentschieden bleiben 41,5%.152 Bei der Frage, inwiefern der Pfarrer von sich sagt: «Ich leite die Gemeinde durch den Gottesdienst, gehe ihr voran» äußern sich 62,4% positiv; dies bedeutet aber nicht, dass sie sich theologisch als «stellvertretend für die Gemeinde vor Gott» sehen.153

      Angesichts der Bedeutung der participatio actuosa im Diskurs des 20. Jahrhunderts sind diese Werte erstaunlich. Oder eben auch nicht, wenn man bedenkt, wie einlinig und einseitig hier nach «Beteiligung» gefragt wurde. Beteiligung bedeutet auch in dieser Befragung faktisch: mitmachen! Und das wollen durchaus nicht alle – und halten nicht alle für sinnvoll. So spricht auch Wolfgang Ratzmann von den «Grenzen des Bedürfnisses nach Kommunikation durch Interaktion».154 Und Michael Meyer-Blanck entdeckt zu Recht ein Partizipationsdilemma: «Das Dilemma besteht darin, dass die Erweiterung an Partizipation gleichzeitig zu einer Verengung auf bestimmte Gruppen tendiert. Schon länger wissen wir: Je mehr sich der Gottesdienst an einer bestimmten Zielgruppe orientiert, desto mehr schließt er andere aus. Je stärker ein Gottesdienst von Gemeindeaktivitäten geprägt wird, desto mehr verliert er seinen Öffentlichkeitscharakter und wird zur Versammlung bestimmter Gemeindegruppen.»155

      Noch grundlegender erkennt Klaus Raschzok: Die aktivwerdende Gemeinde wird primär in der Rolle als Leserin und Leser von Texten in den Blick genommen. «Damit treten auch die engagierten Gemeindeglieder in der Gottesdienstgestaltung in die immer noch attraktive Pfarrer-Rolle ein und es kommt so zu einer unbeabsichtigten Prolongation der Theologen-Dominanz in der Gottesdienstgestaltung. Daran wird deutlich, dass sich die Einbeziehung der Laienperspektive eben gerade nicht auf die Eroberung der Bereiche des geistlichen Amtes beziehen darf.»156 So werde die Spaltung der Gemeinde in diejenigen, die den Gottesdienst |55| vorbereiten und für andere halten, und in diejenigen, die als Rezipienten der Veranstaltung der anderen beiwohnen, nur vertieft.157

      Stattdessen gilt es in den Blick zu nehmen, wie vielfältig Menschen am Gottesdienst partizipieren, wie etwa eine empirische Ermittlung von Katharina Stork-Denker oder die Studie von Uta Pohl-Patalong zeigen158: durch Mitsingen, aber auch wenn sie «einfach nur da sitzen und sich anrühren und ansprechen lassen», durch «Sehen und Zusehen», durch das «Hören der Predigt», durch das «Mitbeten».159

      Dieser letztgenannte Punkt erscheint mir entscheidend: durch das Mitbeten. Ist unser Gottesdienst ein gemeinsames Gebet? Oder wird er zur pädagogischen Veranstaltung, zur amüsant-unterhaltsamen Mitmachshow, zum hochkulturell-musikalischen Ereignis? Ich habe nichts gegen Pädagogik, nichts gegen Unterhaltung und nichts gegen gute Musik – aber Gottesdienst ist Wort-Wechsel zwischen Gott und Mensch oder er ist nicht Gottesdienst. Gottesdienst heißt Eintauchen in das Wechselspiel, das die hebräische Wurzel barak in ihren unterschiedlichen Wortbedeutungen «segnen» und «loben» zum Ausdruck bringt.

      Als der Lutheraner Wilhelm Löhe in der Mitte des 19. Jahrhunderts über Wege der Reform des Gottesdienstes nachdachte, meinte er, es gebe keine Chance zu einer Wiedergewinnung der Feier des Gottesdienstes, «keine rechte Liturgie ohne ein betendes, zum Gebete lustiges, durchs Gebet erfreutes Volk». Darum sei es heute nötig, «im Volke de[n] Geist des Gebets» zu wecken.160 So kann es zur Beteiligung kommen, zur Beteiligung am Gott-menschlichen Wortwechsel, an Lob und Klage, Bitte und Dank. Beteiligung am göttlichen Wort, das es zu schmecken und zu sehen gibt. Liturgische Reform bleibt immer auf halbem Wege stehen, wenn sie sich nicht zugleich auch versteht als Arbeit an der Spiritualität – oder altertümlicher: an der Frömmigkeit! – und Liturgiedidaktik als Spiritualitätsdidaktik konzipiert. Gottesdienst ist «Körperarbeit am Leib Christi», so Rainer Volp und Klaus Raschzok.161 Diese gilt es einzuüben.

      Für die Arbeit an einer neuen Agende/einem erneuerten Gottesdienstbuch scheint mir auf diesem Hintergrund eine Überlegung wichtig. Das Book of Common Prayer der anglikanischen Kirche war als Buch für den gemeinsam gefeierten |56| Gottesdienst gedacht, aber eben auch (etwa im Blick auf die Morgen- und Abendgebete) als Buch für das Gebet zu Hause. Ähnlich ist es bis heute im Judentum. Dort gibt es kein wirkliches Äquivalent für das, was wir «Gottesdienst» nennen. Das gemeinsame Gebet wochentags oder am Schabbat in der Synagoge ist bis auf einige Einschübe und Wendungen eigentlich nichts anderes als die individuell von jedem und jeder auch zu Hause zu betende Tefillah: das vorliegende Gebet am Morgen, am Nachmittag oder am Abend. Der Siddur, der das jüdische Gebet ordnet, kann sowohl zu Hause verwendet werden als auch in der gemeinsamen Feier. Wäre das eine Richtung für ein neues Gottesdienstbuch, das dann gegebenenfalls auch die Aufgabe hätte, das Gebet des Einzelnen und das Gebet in den Familien, das Gebet in Gemeinschaften und im Gottesdienst zu verbinden? Weil es genauso zum gemeinsamen Gebet hinführen und aus diesem wiederum seine Kraft nehmen würde? Weil es so eine Chance gäbe, das Gebet des Einzelnen im Wechselspiel mit dem «Gebet der Kirche» zu halten? Und weil auf diese Weise die formative Kraft des Gottesdienstes nicht nur behauptet werden könnte, sondern im Alltag der Glaubenden Gestalt gewinnen würde?

      3. Evangelischer Gottesdienst – unterwegs zum gemeinsamen Gebet

      3.1 Die Tyrannei der Sichtbarkeit und das Geheimnis der Absenz

      Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han analysiert immer wieder die Gesellschaft, in der wir leben. 2012 erschien sein Buch zur «Transparenzgesellschaft».162 Das Buch ist eine rasante Sammlung von Aperçus, Aphorismen und Fragmenten. Es lässt sich auch auf dem Hintergrund des in diesem Beitrag Erarbeiteten lesen und dann als Hinweis verstehen auf eine nicht nur aus theologischen Gründen notwendige, sondern auch angesichts der kulturell-gesellschaftlichen «Großwetterlage» angezeigte Ausrichtung liturgischer Arbeit.

      Für Han ist Transparenz ein durch und durch problematischer Begriff. Er bedeute Glätte, Gleichmacherei, Oberfläche, pornografische Sichtbarkeit und vor allem den Verlust der Kontemplation und des Anderen. Han im Wortlaut: «Transparent werden die Dinge, wenn sie jede Negativität abstreifen, wenn sie geglättet und eingeebnet werden, wenn sie sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation und Information einfügen […] Transparent werden die Handlungen, wenn sie operational werden […] Die Transparenzgesellschaft ist eine Hölle des Gleichen […] Die Negativität der Anders- und Fremdheit oder die Widerständigkeit des Anderen stört und verzögert die glatte Kommunikation des Gleichen.»163 |57|

      Daher würden das Andere und Fremde eliminiert. «Ereignisse» gingen verloren – und mit ihnen die «Zartheit», der «Respekt» vor der «Andersheit».164 Es brauche ein neues Wahrnehmen, ein neues Sehen, ein neues Hören, ein neues Reden, ja, eine «neue Aufklärung»,165 damit wieder Lücken bleiben und wir nicht der maschinellen, operationalen Oberflächlichkeit anheimfallen. «Die transparente Sprache ist eine formale, ja eine rein maschinelle, eine operationale Sprache, der jede Ambivalenz fehlt.»166 Der Transparenzzwang vernichte Spiel–Räume der Lust. Dazu brauche es nämlich «mehrdeutige Zeichen».167

      «Liebe