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Gemeinsames Gebet


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      3. Implikationen des Formativen – Anleitungen zur Praxis

      3.1 Der Geist, die Form und die Wiederholung

      Die erneute Wahrnehmung des Gottesdienstes als formendes Handeln Gottes an der Gemeinde in und durch die liturgischen Handlungen, die diese vollzieht, bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Praxis sowohl der Liturginnen und Liturgen als auch der Gemeinde insgesamt.

      Eine erste Konsequenz besteht in einer Veränderung der allgemeinen Einstellung aller Gottesdienstfeiernden. Wer den Gottesdienst als formatives Handeln versteht, begibt sich in den liturgischen Raum als einen Ort, an dem Menschen der erneuernden Wirkung des Heiligen Geistes ausgesetzt werden. Man beachte: Der Gottesdienst wird nicht als Ort betrachtet, an dem der Heilige Geist vorhanden oder verfügbar wäre, noch werden die liturgischen Handlungen als Rituale verstanden, die dank der Mitwirkung eines «Virtuosen» den Geist heraufbeschwören können. Vielmehr feiert die Gemeinde Gottesdienst im Lichte der Verheißung des Herrn (Mt 18,20) und in der Hoffnung, der dreieinige Gott möge sich der in Gehorsam gegen ihn vollzogenen liturgischen Handlungen bedienen, um die Gemeinde zu transformieren.

      Das formative Gottesdienstverständnis fördert ferner die Anerkennung des engen Zusammenhangs von Inhalt und Form der Liturgie. Erstens tritt die Unentbehrlichkeit der liturgischen Form deutlich zutage. Dass Gott an den Menschen durch liturgische Handlungen handelt, kommt daher, dass sich der Schöpfer kreatürlicher Mittel bedient, um die Menschen, die ja Kreaturen sind, zu heiligen. Gewöhnliche Dinge und Handlungen wie Wasser, Brot, Wein, die Sprache und das Hören, Essen, Trinken und Baden sind und bleiben kreatürliche Mittel, die Gott aber «weiht» und «zum heiligen Gebrauch bestimmt», damit er durch sie an den Menschen handeln kann.93 Das Zeichen ist nicht die Sache selbst, wohl aber das, was überhaupt Zugang zur Sache verschafft.94 Liturgische Formen sind also unentbehrlich. |34|

      Sie sind jedoch nicht nur unentbehrlich für die Vermittlung des Inhalts, sondern auch – zweitens – qualitativ mit dem vermittelten Inhalt verbunden. Formen sind keine neutralen Werkzeuge, die man beliebig austauschen könnte, um den vermeintlich gleich bleibenden Inhalt zu vermitteln. Formen haben vielmehr eine bestimmte «teleologische Ausrichtung»,95 sodass eine Veränderung der Form immer auch eine Veränderung des Inhalts mit sich bringt. Dies darf selbstverständlich nicht als Plädoyer für den totalen liturgischen Konservatismus missverstanden werden. Vielmehr geht es darum, ein klares Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass liturgische Reformen immer auch den Inhalt und damit die formative Wirkung der Liturgie beeinflussen, um in diesem Bewusstsein verschiedene Ideen und Vorschläge kritisch reflektieren zu können.

      Neben Unentbehrlichkeit und Nicht-Indifferenz eignet der liturgischen Form als drittes Merkmal auch die Gebrochenheit.96 Da die Mittel kratürlich sind, bleibt die liturgische Form angesichts der Gefallenheit der Schöpfung immer gebrochen. Dass sie ihre Wirkung wirklich entfaltet, hängt von Gott allein ab. Die Gemeinde begnadigter Sünderinnen und Sünder feiert ihren Gottesdienst im Zeichen der Hoffnung. Es wäre aber fatal, aus diesen Überlegungen eine Relativierung der Unentbehrlichkeit liturgischer Formen herzuleiten. Liturgische Formen sind vielmehr sowohl unentbehrlich als auch gebrochen; unentberhrlich in ihrer Gebrochenheit und gebrochen in ihrer Unentbehrlichkeit. Die Herausforderung besteht somit darin, die liturgische Form zu pflegen, indem man Spiritualismus (Leugnung der Unentbehrlichkeit) und Ritualismus (Leugnung der Gebrochenheit) meidet.

      Durch die gebrochene Form der Liturgie wirkt also der Geist. Gott handelt an der gefallenen Kreatur entsprechend ihrer Kreatürlichkeit, die er nicht aufheben, sondern heiligen will. Der Mensch bleibt homo liturgicus, wird aber durch die christliche Liturgie auf eine bestimmte Weise geformt, nämlich zum homo liturgicus christianus. Wenn man aber davon ausgeht, dass die Formung des Charakters immer liturgisch geschieht, dann impliziert dies schließlich auch eine erneute Wahrnehmung und Würdigung der Wiederholung in liturgischen Belangen. Denn die von Gott intendierte «spiritual deflection» geschieht nicht augenblicklich, sondern sie erfordert Wiederholung und «habituation»:

      There will be no sanctification of our perception apart from a regular, repeated recentering of our imagination in the Story of the gospel as rehearsed and enacted in the «practical logic» of Christian worship. So it is precisely our [the Protestants’] allergy to |35| repetition in worship that has undercut the counterformative power of Christian worship – because all kinds of secular liturgies shamelessly affirm the good of repetition. […] Unless Christian worship eschews the cult of novelty and embraces the good of faithful repetition, we will constantly be ceding habituation to secular liturgies.97

      3.2 Formation durch Liturgie – ein liturgiedidaktischer Ausblick

      Die wichtigste liturgiedidaktische Schlussfolgerung, die wir aus dem formativen Ansatz ziehen, lässt sich im Lichte unserer Ausführungen auf den einfachen Nenner bringen: Gottesdienstfeiern übt man. Damit sind zwei Bezugspunkte im Blick, auf die sich jede liturgische Didaktik bezieht. Es ist dies einerseits die Spiritualität und andererseits die Bildung. Spiritualität im Sinne einer Übung bzw. Ein- und Ausübung des Glaubens und Bildung als Ausbildung eines Habitus kommen im Gottesdienst zusammen. Anders gesagt: Wenn man dem heiligen Spiel des Gottesdienstes eine charakterbildende Wirkung zutraut, rückt die Liturgie als Ort des Feiernlernens selbst ins Zentrum. Das wiederum lässt uns zum Schluss nach Konzepten Ausschau halten, die über eine Bildung zum Gottesdienst hin nachdenken lassen und in der katholischen und orthodoxen Tradition mit dem Begriff der Mystagogie in Verbindung gebracht werden.

      Der römisch-katholische Religionspädagoge Rolf Sauer spricht in diesem Zusammenhang von der «Kunst, Gott zu feiern». Auf dem Hintergrund der konziliaren Gottesdiensttheologie und einer liturgischen Anthropologie, die er im Anschluss an Romano Guardinis Überlegungen zur Liturgiefähigkeit entfaltet, stellt Sauer den gemeinschaftlichen Vollzug des Gottesdienstes ins Zentrum.98 Aus dem Verständnis des Gottesdienstes als normativen Selbstvollzug der Kirche, in dem die Gemeinde als Subjekt und Träger des liturgischen Tuns nicht nur sich selbst, sondern Gott erfährt, leitet er die Forderung einer mystagogischen Liturgie ab. Gemeint ist damit eine Praxis, die Praktiken, die den Zugang zum Geheimnis Gottes vorbereiten, im Vollzug lehrt und üben lässt. Feier wird zur Gebetsschule.99 Sie wird zum bedeutsamsten Ort liturgischer Bildung, «der die Mitfeiernden durch den Vollzug der Liturgie liturgisch formt».100 Dies hat wiederum zur Konsequenz, dass auch der Religionsunterricht in wesentlichen Teilen zum Gottesdienst hinführen und gottesdienstfähig machen soll. Die Inhalte des Ministrantenpastorals – das Vertrautmachen mit dem Kirchenjahr, die Erschließung liturgischer Zeichen, der Aufbau der Eucharistiefeier, die Pflege des Liedgutes und die Verbundung von |36| Liturgie und Diakonie101 – werden zu elementaren Lernzielen des gesamten Katechumenats.

      In eine ähnliche Richtung zielen Überlegungen des amerikanischen Theologen Gordon W. Lathrop, der am Lutherischen Theologischen Seminar in Philadelphia eine Professur für Liturgie bekleidet und in vielerlei Hinsicht als Brückenbauer zwischen den liturgischen Kulturen der Orthodoxie und des Protestantismus gelten kann.102 Sein Dreischritt einer liturgischen Theologie, Ekklesiologie und Kosmologie103 basiert auf auf einer Kernaussage aus Cyrills von Jerusalem mystagogischen Katechesen: das Heilige den Heiligen.104 Der Zugang zu den heiligen Dingen wird von Lathrop als Vollzug einer Primary Liturgical Theology begriffen, die in einer Secondary Liturgical Theology mit Bezug auf Quellen historisch und systematisch und in einer Pastoral Liturgical Theology mit Bezug auf die Gemeinde praktisch reflektiert wird.105 Stärker als Sauer sehen wir bei Lathrop das Bemühen, die Theologie an ihre Bildungsaufgabe zu erinnern und nach dem inneren Zusammenhang der ersten, zweiten und dritten Theologie zu fragen.106

      Der Seitenblick auf Liturgiker der Schwesternkirchen am Ende unseres Beitrags soll noch einmal das Stichwort ins Gedächtnis rufen, von dem wir ausgegangen sind. Letztlich erkennen wir auch in der didaktischen Reflexion jene Grundfigur der Dialektik göttlichen und menschlichen Handelns wieder, die sich für ein theologisch fundiertes Nachdenken über den «Gottesdienst der Kirche» als zentral erwiesen hat. Die Bildung zum Gottesdienst klärt Voraussetzungen und macht Vorbereitungen, um die Bildung im Gottesdienst geschehen zu lassen. Was das heißt, muss sowohl im konfessionellen wie ökumenischen Rahmen neu bedacht werden.107 Dass wir immer noch reformierte, römisch-katholische und orthodoxe Theologie treiben, hat eben damit zu tun, dass